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# taz.de -- ARD-Sendung über Öko-Lebensmittel: Das schöne Bio-Leben mit Hart…
> TV-Koch Tim Mälzer stellt mit einer gut situierten Familie das Leben von
> Armen nach. Die Sozialpornografie bleibt allerdings unvollständig.
Bild: Eindeutig ärmliche Wohnumstände: Tim Mälzer berät Familie I.
Ach, wie einfach ist doch das Hartz-IV-Leben. Der Staat zahlt einem den
Unterhalt, und die großzügig bemessenen Hartz-IV-Sätze reichen sogar noch
für gute Bio-Lebensmittel. Das hat jüngst Fernsehkoch Tim Mälzer [1][im
ARD-Lebensmittel-Check herausgefunden]. Eine Woche lang sollte eine
fünfköpfige Familie nur Bioprodukte konsumieren – und dabei nicht mehr als
die vom Jobcenter ausgesprochen großzügig ausgezahlten 155,50 Euro
Wochenbudget für Lebensmittel ausgeben. Zu Beginn des Experiments wird das
Geld in bar auf den Tisch gelegt. Visuelle Unterfütterung ist wichtig im
Fernsehen.
„Ich kann es mir leisten, Biolebensmittel zu kaufen“, sagt Mälzer. „Aber
wie ist das, wenn man mit wenig Geld auskommen muss?“ Um das
herauszufinden, fährt der TV-Star in einen Ort „nördlich von Hamburg“. Do…
wohnt Familie I. in einem stilvoll eingerichteten Bauernhaus mit riesigem
Wohnzimmer. An der Wand hängt ein moderner Flatscreen-Fernseher, den
Esstisch schmückt eine Obstschale. Hier ist man offenkundig nah dran an der
sozialen Realität durchschnittlicher Arbeitslosengeld-II-Empfänger.
Vielleicht haben die Produzenten mit den noblen Protagonisten im hohen
Norden aber auch alles richtig gemacht. Menschen, die wirklich von 409 Euro
im Monat leben müssen, wären der fröhlichen „Bio-ist-geil“-Atmosphäre w…
eher abträglich gewesen. Am Ende hätte man mit den Betroffenen noch über
die sozialen Konsequenzen eines Lebens am Existenzminimum sprechen müssen.
Und das ist doch wirklich deprimierend.
Und so wird Armut zum TV-Kuriosum. Mälzer veranstaltet eine Art
Hartz-IV-Challenge. Einmal mit dem Rucksack durch Südamerika reisen oder
Freiwilligendienst im indischen Slum sind als Mittelschichtfantasie wohl
nicht mehr gefragt, da ist es wohl aufregender, für einen
selbstverständlich begrenzten Zeitraum das entbehrungsreiche Leben der
Abgehängten zu imitieren. Es ist ein Hartz-IV-Experiment im Sandkasten,
frei von allen sozialen Härten, mit denen Betroffene sonst zu kämpfen
haben.
## Hoffentlich hält der Edelstahlkühlschrank
Tim Mälzer steht in der geräumigen Küche rund um die Mittelkonsole samt
noblem Gasherd und edler Dunstabzugshaube und bereitet die Challenge vor.
Man kann für Familie I. nur hoffen, dass der große Edelstahlkühlschrank im
Wochenverlauf nicht den Geist aufgibt. Denn im Regelsatz für
Hartz-IV-Empfänger sind laut [2][Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz] monatlich
nur 24,34 Euro für Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände,
sowie die Haushaltsführung vorgesehen. Geht der Kühlschrank kaputt, müsste
Familie I. beim Jobcenter ein Darlehen beantragen, das anschließend mit der
Regelleistung verrechnet wird. Aber das nur am Rande.
Für Tim Mälzer und Frau I. geht es erst einmal auf den Biomarkt zum
Einkaufen. Aber wie sind die beiden eigentlich dorthin gekommen? Mit dem
Familienauto – oder doch eher mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil der
Unterhalt eines Automobils mit Hartz IV für viele Menschen nicht
finanzierbar ist.
Eine Fahrt mit dem Bus wäre aber auch teuer geworden, denn der Hartz IV
Regelbedarf sieht nur 32,90 Euro monatlich für Transport vor. Familie I.
wohnt bekanntlich nördlich von Hamburg. In der Hansestadt selbst kostet
eine für ALG-II-Empfänger subventionierte Monatskarte 85,40 Euro. Im Umland
dürfte es nicht bedeutend billiger sein. Warum berücksichtigt die Sendung
das eigentlich nicht? Wenn schon Sozialpornografie, dann doch bitte mit
allen Extras.
## Die „Gewohnheiten“ sind schuld
Auf dem Markt kauft Mälzer dann erstmal einen Batzen Fleisch für 29 Euro,
was das Budget sogleich stark dezimiert. Aber der TV-Koch weiß sich zu
helfen. Der Trick: Die Lebensmittel werden mehrfach verwendet. „(Die
Familie I.) lernt jetzt effektiv kochen, Zutaten clever aufteilen und
vielfach nutzen“, sagt eine Stimme aus dem Off.
Familie I. glauben trotz anfänglicher Skepsis nun an den Erfolg des
Experiments. „Ich hab das Gefühl, ich schaffe das jetzt die Woche“, sagt
Frau I.. Dann geht es zum fröhlichen Gemüse schnibbeln mit der ganzen
Familie auf der Veranda. Am Ende zieht auch Tim Mälzer ein positives
Resümee. Bio, aber günstig, das funktioniere, „wenn man seine Gewohnheiten
überdenkt“. An guten Hinweisen für Hartz-IV-Empfänger zur Lebensgestaltung
mangelt es nicht.
Und wenn das nächste Mal eine Debatte über Hartz IV und den Regelbedarf
entbrennt, brauchen die Verfechter niedriger Regelsätze ja nur darauf zu
verweisen, dass man sich als ALG-II-Empfänger ja sogar Bio-Lebensmittel
leisten könne.
15 Dec 2017
## LINKS
[1] http://www.daserste.de/information/ratgeber-service/lebensmittelcheck/sendu…
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/rbeg_2017/BJNR315910016.html
## AUTOREN
Jörg Wimalasena
## TAGS
Hartz IV
Arbeitslosengeld
Bio-Lebensmittel
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
Lesestück Meinung und Analyse
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