# taz.de -- Frauen in der Landwirtschaft: „Einfach eine Männerdomäne“ | |
> Immer mehr Frauen übernehmen bäuerliche Betriebe, doch in den Verbänden | |
> bleiben sie unsichtbar. Johanna Böse-Hartje ist da eine Ausnahme. | |
Bild: Hat den Hof ihrer Familie übernommen, auch wenn das eigentlich mal ganz … | |
taz: Frau Böse-Hartje, warum sind Ställe, Trecker und Felder noch | |
Männersache? | |
Johanna Böse-Hartje: Das stimmt so nicht. Immer mehr Frauen übernehmen Höfe | |
und entscheiden sich für den Landwirtschaftsberuf. | |
Aber in der Öffentlichkeit sieht man immer nur ältere Männer, wenn es um | |
Landwirte geht. | |
Ja, dass die Landwirtschaft überaltert ist, ist ein Problem. Das hängt | |
damit zusammen, dass die Bauern oft keine Nachfolger mehr für ihre Höfe | |
finden. Man kann es seinen Kindern bei so unsicheren Zukunftsaussichten | |
kaum guten Gewissens raten, einen Hof zu übernehmen. | |
Warum sind Sie Landwirtin geworden? | |
Das war erst gar nicht geplant. Ich habe Germanistik und Politik auf | |
Lehramt studiert. Aber als sich das ergeben hat, dass ich mit meinem Mann | |
den Hof von meinen Eltern übernehmen konnte, habe ich das gern gemacht. | |
Hatten Sie keinen Bruder, dessen Rolle das klassischerweise gewesen wäre? | |
Nein, ich habe eine Schwester, die Tierärztin ist und auch immer viel auf | |
dem Hof mitgearbeitet hat. Hätte ich einen Bruder gehabt, wäre das | |
vielleicht anders gekommen. | |
Warum sind die Frauen in der Landwirtschaft heute immer noch so wenig | |
sichtbar? | |
Die stehen im Stall und melken, während sich die Männer bei den | |
Versammlungen treffen. Das war schon immer so. Für Frauen ist es nicht | |
einfach, in den Bauernverbänden Fuß zu fassen. Das ist einfach so eine | |
Männerdomäne. Gerade wenn man sich diese Versammlungen anguckt, da sind | |
hauptsächlich Männer. | |
Dann hat es Sie sicher Mut gekostet, nach vorne zu treten und Ihre erste | |
Rede zu halten. | |
Ja, klar. Das ist einem ja nicht in die Wiege gelegt. Aber man wird da | |
nicht dümmer von. | |
Hat man es Ihnen auf dem Weg an die Spitze des Bundesverbands Deutscher | |
Milchviehhalter (BDM) schwer gemacht? | |
Nein, ich hatte viele Unterstützer. In unseren alternativen Verbänden, wie | |
dem BDM oder der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, laufen | |
Frauen mit vorneweg. Das ist anders als im Bauernverband. | |
Der ist konservativer? | |
Natürlich. Da haben Frauen und Männer noch ihre angestammten Rollen und die | |
sind auch organisatorisch getrennt. Da gibt es das Landvolk für die Männer | |
und den Landfrauenverband. | |
Warum engagieren Sie sich in einem Verband? | |
Weil ich gesehen habe, dass es so nicht weitergeht für die Milchbauern. Als | |
mein Sohn mit in den Betrieb kam, hatte ich auch endlich die Zeit, um mich | |
politisch zu engagieren. Und wenn man erst mal anfängt, sich einzumischen, | |
ist es schwierig, wieder aufzuhören. | |
Dabei gucken Sie nicht nur auf Niedersachsen, sondern Sie waren auch beim | |
alternativen G20-Gipfel in Hamburg. Warum? | |
Weil wir als Landwirte eine Verantwortung für den Klimaschutz haben. | |
Letztendlich ist unsere europäische Landwirtschaft, besonders die | |
industrialisierte, nicht klimaschonend. 30 Prozent unseres Futters holen | |
wir aus den Ländern des Südens, in Form von Soja. Wir klauen den Menschen | |
praktisch das Essen vom Teller, produzieren damit unsere Überschüsse. Die | |
ruinieren unsere Preise und somit auch unsere Betriebe. Und die Überschüsse | |
dumpen wir dann zu Preisen in andere Länder, zu denen auch dort niemand | |
kostendeckend produzieren kann. | |
Was für Folgen hat das? | |
Da geht alles kaputt. Die Leute in vielen afrikanischen Ländern haben keine | |
Chance. Entweder gehen sie zum „IS“ oder sie kommen nach Europa. Und dann | |
stellen wir uns hier hin und reden über Wirtschaftsflüchtlinge. Das ist | |
menschenverachtend. | |
Geht Ihre Milch auch in den Export? | |
Nein. Die Biomilchbranche ist noch sehr regional. | |
Wie war es eigentlich, auf dem Bauernhof groß zu werden? | |
Als ich das erste Mal Trecker gefahren bin, natürlich nicht auf der Straße, | |
musste ich noch im Stehen die Kupplung treten. Das fing damit an, dass man | |
im Frühling die Weiden schleppt. | |
Das heißt? | |
Man hat ja immer Maulwurfshügel auf den Weiden. Die werden eben gemacht, | |
indem man alte Reifen oder Eisenringe hinterm Trecker herzieht. Das hat den | |
Hintergrund, dass man später nicht so viel Erde ins Futter kriegt. Das | |
haben wir als Kinder tagelang betrieben. Nachher haben wir auch mit | |
gemolken. Es war viel Handarbeit angesagt. | |
Klingt ziemlich anstrengend. | |
Klar hat mich das auch manchmal genervt. Zum Beispiel wenn wir Runkelrüben | |
hacken mussten und die anderen Kinder zum Baden gegangen sind. Da habe ich | |
auch gedacht, das will ich später nicht machen. | |
Haben Sie schon mal daran gedacht, alles hinzuschmeißen? | |
Natürlich gab es solche Situationen, aber man möchte nicht diejenige sein, | |
die aufgibt. Der Hof meiner Familie wurde um 1643 das erste Mal erwähnt. | |
Fühlen Sie sich gut damit, dass Ihr Sohn weitermacht? | |
Ja, der ist schon als Bauer geboren. Als Kind hat er nur mit Treckern | |
gespielt, egal was man ihm angeboten hat. Und ich bin froh, dass er hinter | |
der Bio-Idee steht. Dass wir 1989 von konventioneller Milchkuhhaltung auf | |
die Bio-Landwirtschaft umgestellt haben, ist mir wichtig. Vorher war das | |
ein ganz klassischer Bauernhof mit Schweinen, Milchkühen und Zuchtstuten. | |
Warum wollten Sie einen Biohof? | |
Ich kam aus der Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung. Da passte es zu meinen | |
Idealen. Seitdem mein Sohn mit in den Hof eingestiegen ist, haben wir zu | |
den Milchkühen auch noch Hühner, die bei uns in mobilen Ställen leben. | |
Außerdem ziehen wir Ochsen auf, deren Fleisch wir auf dem Hof direkt | |
vermarkten. | |
War Ihr Hof von der Milchkrise betroffen? | |
Nein, der Biomilchmarkt hat sich vom konventionellen Markt abgekoppelt. | |
Biomilch ist gefragt, wir produzieren keine Überschüsse. Deshalb haben wir | |
mehr Geld für unsere Milch bekommen als die konventionellen Bauern. Aber | |
von denen sind viele über die Wupper gegangen. In den letzten zwei Jahren | |
haben etwa sieben Prozent aufgegeben. Von diesen Milchpreisen konnte außer | |
den Molkereien niemand leben. | |
Warum die Molkereien? | |
Für die spielt der Milchpreis nicht so eine große Rolle. Sie verkaufen ihre | |
Produkte, ziehen vom Erlös ihre Kosten und Gewinne ab und den Rest bekommen | |
die Bauern. Die tragen also das ganze Risiko und die Verluste. | |
Ist das Höfesterben in Niedersachsen vorbei? | |
Nein. Wir haben jetzt einen Preis von 32 bis 36 Cent pro Liter Milch bei | |
den konventionellen Milchbauern. Damit kann man gerade die Kosten decken, | |
aber das reicht bei Weitem nicht, um Investitionen zu tätigen, Schulden | |
abzubezahlen oder an die Altersversorgung zu denken. | |
Kennen Sie Bauern, die Hartz IV beziehen mussten? | |
Das weiß ich nicht. Das sagt auch keiner. Aber ich kenne keinen | |
konventionellen Milchbauern, der es nicht nötig gehabt hat, zur Bank zu | |
gehen. Normale Familienbetriebe kriegen allerdings kaum noch Kredite. Nur | |
wenn ich einen großen Stall mit 400 und mehr Kühen plane, kriege ich ohne | |
Ende Geld von den Banken, weil es dann auch für Investoren interessant ist, | |
in den Betrieb einzusteigen. | |
Zwischen Gewinn und Bankrott der Bauern liegen bei den Milchpreisen nur 20 | |
Cent. Ärgern Sie sich, dass die Verbraucher nicht mehr für die Milch | |
ausgeben? | |
Nein, man kann die Verbraucher nicht verantwortlich machen. Es macht für | |
sie keinen Sinn, das teurere Produkt zu kaufen. Es ist nicht zwingend, dass | |
bei einer teuren Milch mehr Geld beim Bauern ankommt. | |
Also bringt es gar nichts, wenn die Kunden im Supermarkt zu Ihrer Biomilch | |
greifen? | |
Doch. Bei Biomilch wird nach strengeren Kriterien produziert. Es gibt | |
natürlich einen Unterschied in den Haltungsbedingungen und der Produktion | |
des Futters. Aber bei konventioneller Milch macht es für die Verbraucher | |
keinen Unterschied, ob sie billige No-Name-Milch kaufen oder die teure mit | |
dem Bären. Da ist die gleiche Milch drin. Es darf einfach keine billige | |
Milch mehr geben. | |
Was ist die Alternative? | |
Wir haben gerade mit Unterstützung des Landwirtschaftsministeriums in | |
Niedersachsen die Weidemilch auf den Markt gebracht. Da kommt der Mehrwert | |
beim Bauern an, genau wie bei der „Fairen Milch“. Die wird von den Bauern | |
selbst vermarktet. | |
Trotzdem haben die Verbraucher wenig Ahnung, wie Lebensmittel produziert | |
werden. Glauben Sie, dass das daran liegt, dass sich Bauern so ungern in | |
die Ställe gucken lassen? | |
Das würde ich nicht so verallgemeinern. Ich habe eigentlich immer einen | |
offenen Stall. Gerade als Milchbäuerin ist man 365 Tage im Jahr für seine | |
Kühe verantwortlich. Dann hat man wenig Chancen, mal rauszukommen. Da haben | |
mein Mann und ich gesagt, wenn wir schon nicht in die Welt kommen, dann | |
muss die Welt zu uns kommen. | |
Das ist aber nicht die Regel. | |
Wenn ich Schweine oder Geflügel in großen Stallanlagen halte, habe ich | |
natürlich ein wesentlich höheres Infektionsrisiko als in einem | |
Milchviehbetrieb. Die Schweineställe sind auch klimatisiert, da kann ich | |
nicht immer die Türen aufreißen. | |
Also sehen Sie das nicht so kritisch, dass sich einige Bauern hinter Zäunen | |
verstecken? | |
Doch. Bei diesen großen Anlagen ist das schon oft der Fall und es entsteht | |
der Eindruck, man hätte etwas zu verbergen. | |
Sie sind jetzt 64 Jahre alt. Was machen Sie, wenn Sie den Hof an Ihren Sohn | |
übergeben haben? | |
Da fällt mir bestimmt etwas ein. Ich hab ja noch meine Vermarktung. Das ist | |
ein eigener Betriebszweig. Ich denke, das werde ich noch ein bisschen | |
machen. | |
Ganz loslassen können sie dann noch nicht? | |
Nein, man muss das ja ein bisschen im Auge behalten. | |
16 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft | |
Landwirtschaft | |
Architektur | |
Hartz IV | |
Landwirtschaft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung zu Frauen in der Architektur: Sie baut ausnahmslos alles | |
Wie kaum eine andere Disziplin ist Architektur seit jeher eine | |
Männerdomäne. Eine Ausstellung zeigt, dass selbstverständlich auch Frauen | |
bauen. | |
ARD-Sendung über Öko-Lebensmittel: Das schöne Bio-Leben mit Hartz IV | |
TV-Koch Tim Mälzer stellt mit einer gut situierten Familie das Leben von | |
Armen nach. Die Sozialpornografie bleibt allerdings unvollständig. | |
Bäuerin über Landwirtschaft mit Zukunft: „Manche nehmen sich das Leben“ | |
Die niedersächsische Nachwuchsbäuerin Elisabeth Fresen hat erlebt, wie | |
ringsum die Bauern aufgaben. Trotzdem will sie den Hof ihres Vaters | |
übernehmen. |