Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Rente: Ein Polster für die Armen
> Alterseinkommen sind höchst ungerecht verteilt. Wir brauchen eine neue
> Verzahnung von gesetzlicher Rente und Grundsicherung.
Bild: Demonstrantinnen forden auf einer Kundgebung „Stop. Hände weg von unse…
Die Zahlen klangen dramatisch: „Fast jedem Zweiten droht die Altersarmut“,
titelte der Westdeutsche Rundfunk (WDR) kürzlich und machte eine Rechnung
auf zu den gesetzlichen Renten der heutigen Erwerbstätigen. Von denen kämen
angeblich fast die Hälfte im Jahr 2030 nicht über Hartz-IV-Niveau hinaus.
Inzwischen hat der Sender in seinem Online-Auftritt den Titel korrigiert:
„Fast jedem Zweiten droht eine Armutsrente“, heißt es jetzt. Die Korrektur
ist immer noch nicht ganz richtig, denn nicht jeder Empfänger einer kleinen
„Armutsrente“ ist auch arm.
Ehefrauen, die wenig gearbeitet haben, bekommen oft nur kleine Renten,
profitieren aber von der Altersversorgung des Partners. Selbstständige, die
früher mal angestellt waren, erhalten später aus dem Angestelltenverhältnis
nur eine kleine Rente, haben aber längst eigenes Vermögen aufgebaut.
Deshalb liegt die Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter (in Höhe
von Hartz IV) derzeit nur bei etwas über 500.000 – wenig angesichts von 20
Millionen RentnerInnen.
Auch wenn das Rentenniveau in den nächsten 15 Jahren um fast ein Zehntel
absacken sollte, wäre es unwahrscheinlich, dass die Zahl der RentnerInnen,
die dann zum Sozialamt müssten, explodierte. Das hängt auch von den
Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Haushalte ab, die man heute noch
nicht kennt.
Trotzdem ist die Aufregung über eine drohende Altersarmut berechtigt. Denn
viele Menschen werden in den späten Jahren tatsächlich nur ein kleines
Einkommen haben, das vielleicht knapp über dem Niveau der Grundsicherung
von derzeit im Schnitt 773 Euro netto liegt. Das Rententhema
emotionalisiert: weil man sich im Alter schnell ausgeliefert fühlt. Und
weil die Einkommensverhältnisse im Alter zutiefst ungerecht verteilt sind.
Die Ungleichheiten bei den Arbeitsentgelten, den Erbschaften, im
Beziehungsstatus werden in der Altersversorgung wie unter einem Brennglas
noch einmal deutlich sichtbar, und das macht Angst und Wut.
## Unsere Parameter für Gerechtigkeit
So verdienen viele Menschen in Verschleißberufen, etwa in der Pflege, wenig
und müssen vorzeitig aus dem Beruf heraus, was zu kleinen Renten führt. Ein
Verwaltungsbeamter hingegen kann bis zur gesetzlichen Altersgrenze arbeiten
und sich dann auf die Pension freuen. Wer ein Haus erbte und verkaufen
konnte, steht später ganz anders da als jemand, der nichts von den Eltern
zu erwarten hatte. Frauen oder Männer, die einen wohlhabenden Partner
haben, sind im Alter besser gepolstert als Alleinerziehende.
Die Ungleichheiten fordern unsere Parameter für Gerechtigkeit heraus – aber
Erwartungen, dass die gesetzliche Rente all diese Gefälle mildern könnte,
sind zu hoch. Zu komplex sind die Lebenslagen. Möglich ist nur, in
künftigen Reformen der Alterssicherung Komponenten der Umverteilung
einzubauen, die den Schwächsten helfen. Die Frage ist, welche Komponenten?
Eine generelle Stabilisierung oder gar Erhöhung des Rentenniveaus (der
Horst-Seehofer-Vorschlag) wäre teuer und würde auch wohlhabende Rentner
besser stellen auf Kosten der jungen Beitragszahler. Das muss man nicht
wollen. Ein höheres gesetzliches Renteneintrittsalter (von Wolfgang
Schäuble vorgeschlagen) würde zwar eine Absenkung des Rentenniveaus
vermeiden, aber bedeuten, dass die Abschläge für die wachsen, die früher
ausscheiden, was für diese also doch eine Art Rentenkürzung wäre.
## Rente in Höhe von Hartz IV
Gruppen wie die Selbstständigen und Beamten ins gesetzliche Rentensystem
einzugliedern, um die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen, ist schwierig und
auch folgenreich. Gerade kleine Selbstständige wehren sich gegen die frühe
zwangsweise Altersvorsorge, weil ihnen, so das Argument, dann kaum noch
Geld zum Überleben bleibe. Und Beamte ins Rentensystem einzugliedern – das
klingt gut, allerdings leben Beamten auch besonders lange. Am Ende könnten
sie als Ruheständler die Kassen erst recht belasten.
Im Koalitionsvertrag steht der vage Vorschlag einer steuerfinanzierten
Rentenaufstockung, einer Solidarrente für diejenigen, die wegen geringen
Verdienstes zu wenig eingezahlt haben und nur auf eine Rente in Höhe von
Hartz IV kommen. Eine Aufstockung würde zur Finanzierung höhere Steuern
erfordern und müsste nach engen Vorgaben gewährt werden, wobei aus
Gerechtigkeitsgründen nicht nur die Erwerbsdauer, Wochenarbeitszeit,
Kindererziehung, sondern auch das Einkommen des Partners, vielleicht sogar
Vermögen berücksichtigt werden müssten. Das Verhetzungspotenzial dieses
Vorschlags ist groß.
Der Ansatz aber ist richtig, und man könnte über eine vereinfachte Version
nachdenken. Das System der gesetzlichen Rentenkasse sollte mit dem System
der Grundsicherung im Alter, die aus Steuermitteln bezahlt wird, neu
verzahnt werden. Wer bisher keine oder nur eine sehr kleine Rente bezieht,
kann diese durch die Grundsicherung bisher lediglich auf Hartz-IV-Niveau
aufstocken. Man könnte aber auch, wie die Volkswirtin und
Verteilungsforscherin Irene Becker vorschlägt, einen Teil der gesetzlichen
Rente nicht auf die Grundsicherung anrechnen.
## Die Botschaft ist klar
Solche Verrechnungssysteme zwischen steuer- und beitragsfinanzierter
Alterssicherung gibt es schon in Schweden – dort bekommen KleinrentnerInnen
zu ihrer „Einkommensrente“ eine stufenweise Aufstockung aus der
„Garantierente“, die dazu führt, dass Leute, die gearbeitet haben, am Ende
mit der Aufstockung mehr Geld zur Verfügung haben als Menschen, die nie
oder kaum in das System der Einkommensrente eingezahlt haben und daher nur
die Garantierente erhalten.
Die Botschaft ist klar: Wer in ein Rentensystem eingezahlt hat, muss am
Ende mehr zum Leben haben als nur Hartz IV. Allerdings wäre es fair, das
Partnereinkommen in eine Berechnung der Aufstockung miteinzubeziehen und
größere Vermögen mit zu berücksichtigen.
Ein solcher Vorstoß würde den SchlechtverdienerInnen, den Nichterben und
alleinerziehenden Singles von heute vielleicht etwas die Angst vor später
nehmen. Die Angst davor, in der Zukunft ganz abseits zu stehen. Eine
Rentenreform kann kein Wundermittel einer Umverteilung sein. Aber man
sollte wenigstens bei den Schwächsten ansetzen, und da machen 100 oder 200
Euro mehr im Monat einen großen Unterschied.
5 May 2016
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Riester-Rente
Rente mit 63
rente mit 67
Rente
Altersarmut
Andrea Nahles
Rente
Lesestück Meinung und Analyse
Arbeitslosigkeit
Niedersachsen
Rente
Altersarmut
## ARTIKEL ZUM THEMA
Linken-Politiker über Altersvorsorge: „Das ist eine Pokerrente“
Die geplante Betriebsrentenreform ist gefährlich, sagt Linken-Rentenexperte
Birkwald. Normal- und Geringverdiener zahlen womöglich drauf.
Alterssicherungsbericht der Regierung: Wer arm ist, wird im Alter ärmer
Das Arbeitsministerium warnt Geringverdiener davor, sich auf die
gesetzliche Rente zu verlassen. Beamte müssen sich keine Sorgen machen.
Höchstgrenze für Rentenbeiträge: Es wird nicht bei 22 Prozent bleiben
Um das Rentenniveau zu halten, müssen Beiträge erhöht werden, stellt
Arbeitsministerin Andrea Nahles klar. Eine Ausweitung der Mütterrente sieht
sie skeptisch.
Rentenkonzept der IG Metall: Niveau soll nicht weiter absinken
Die Gewerkschaft warnt vor Altersarmut. Sie legt ein eigenes Reformkonzept
für eine verlässliche und ausreichende Altersabsicherung vor.
Essay Umverteilung und die Grünen: Ein gutes Leben für alle
Ökologische Moral braucht Gleichheit. Damit tut sich das grüne Bürgertum
schwer, doch ökologischer Fortschritt geht nur mit allen.
Zukunft der Rente: Arbeiten ohne Ende
Die Regierung will flexible Rentenmodelle einführen: Es kann länger
gearbeitet werden und beim Zuverdienst zur Teilrente sind hohe Kürzungen
geplant.
Niedersachsen sichert Unterstützung zu: Weiterhin Geld für Stasi-Opfer
Das Bundesland will sich weiter um Mitbürger kümmern, die unter SED und
Stasi litten. Viele wissen nicht, dass ihnen eine Opferrente zusteht.
Kommentar Grundsicherung RenterInnen: Alt, arm und alleingelassen
Die Rentenreform wird Wahlkampfthema, doch die Große Koalition hat kein
angemessenes Konzept. Erforderlich ist eine Mindestrente.
Alternativen zur Riesterrente: Angst vor der Altersarmut
Die Gewinne sind hoch, die Auszahlungen für die Versicherten dagegen
mickrig. Trotzdem schließen viele private Rentenversicherungen ab.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.