| # taz.de -- Gewaltforscher über Terror: „Mit Anschlägen umgehen lernen“ | |
| > Nach den Anschlägen ist die Gesellschaft verunsichert, sagt | |
| > Gewaltforscher Andreas Zick. Wir müssen solche Situationen daher einüben. | |
| Bild: Kann man sich an solche Bilder gewöhnen? (hier: Ansbach, 25.7.16) | |
| taz: Herr Zick, derzeit haben wir fast täglich Meldungen von furchtbaren | |
| Gewaltverbrechen: Würzburg, München, Reutlingen, jetzt Ansbach. Auch wenn | |
| die Taten alle unterschiedlich gelagert sind: Was macht das mit einer | |
| Gesellschaft? | |
| Andreas Zick: Die Konsequenz ist eine massive Verunsicherung. Das sieht man | |
| nicht nur vor Ort, sondern auch, wenn man sich die Medien und die sozialen | |
| Netzwerke anschaut. Diese Verunsicherung ist für viele schwer auszuhalten, | |
| man sucht nach Sicherheit. Unsere Daten zeigen: Nach Anschlägen wird der | |
| Ruf nach öffentlicher Kontrolle und Sicherheit lauter und der nach | |
| Prävention und Sozialarbeit für die Gruppen, die ein Problempotential auf | |
| sich ziehen, leiser. Dabei ist letzteres sehr wichtig. Die Daten zeigen | |
| auch, dass nach islamistischem Terror oder der Kölner Silvesternacht die | |
| Distanzierung von Muslimen und die Islamfeindlichkeit steigen. | |
| Welche Rolle spielen Vorurteile beim Umgang mit dieser Unsicherheit? | |
| Wer für Vorurteile anfällig ist – zum Beispiel gegen Flüchtlinge und | |
| Muslime – findet hier eine Erklärung für das Geschehen. Populismus hat da | |
| leichtes Spiel. In München hat man gesehen, dass die Menschen sehr viele | |
| Informationen aufsaugen – und da sind eben auch falsche dabei. | |
| Bei der Tat von München scheint es sich um einen lokal begrenzten Amoklauf | |
| gehandelt zu haben. Waren die Reaktionen angemessen? | |
| Wir hatten die Anschläge von Nizza, Paris und Brüssel. Die Informationen | |
| werden vor diesem Hintergrund wahrgenommen. Die Leute wissen auch, dass es | |
| eine erhöhte Terrorgefahr im Land gibt. Sie haben schon während der | |
| Ereignisse sehr viel über die neuen Medien kommuniziert. Einerseits | |
| verschafft der Informationstausch Sicherheit, andererseits fiebern sie mit, | |
| und es hat Erlebnischarakter. Die Massenkommunikation ist ein Weg um mit | |
| dieser Verunsicherung umzugehen, die latent schon vorher vorhanden war. | |
| In München wurde das deutlich, als die Information kursierte, es könnten | |
| drei Täter sein mit Langwaffen sein. Da dachten viele sofort: Das ist der | |
| Anschlag, den wir lange befürchtet haben. Durch die Modernisierung der | |
| Medien werden solche Informationen unfassbar schnell ausgetauscht, | |
| interpretiert und kommentiert. Das Fernsehen hat diesen Ausnahmezustand | |
| übernommen, weil es wie der erste große Terroranschlag aussah. Die Polizei | |
| hat besonnen reagiert, hat die Medien schneller, umfänglicher informiert. | |
| Das ist gut. Menschen, die maximal verunsichert sind und keine | |
| Informationen haben, neigen dazu, sich fehlzuverhalten. Aber insgesamt ging | |
| das alles zu schnell, weil Sicherheit Besonnenheit erzwingt. | |
| Wie kann man Geschwindigkeit rausnehmen? | |
| Es hört sich zynisch an, aber wir müssen einüben, wie man mit solchen | |
| Situationen umgeht. In Ländern, die Erfahrung mit Terroranschlägen haben, | |
| wie etwa Israel, hat man solche Abläufe gelernt. Wir kennen das zum Teil. | |
| In Schulen wird zum Beispiel trainiert, was bei Amokverdacht zu tun ist. | |
| Der Ablauf in München weist darauf hin, dass Menschen lernen sollten, wie | |
| man zum Beispiel mit dem Handy umgeht. Stellt man Filme ein? Leitet man sie | |
| an die Polizei weiter, oder legt man besser das Handy zur Seite und schreit | |
| den Täter an? | |
| Da stehen wir noch ganz am Anfang, obgleich nun allen klar ist, wie einfach | |
| Regeln sein können: Keine Fehlinformationen oder Gerüchte ins Netz stellen. | |
| Insgesamt müsste man die Bevölkerung viel stärker darüber aufklären, wie | |
| man Terror, Radikalisierung und Amok erkennt, was man tun kann und wie man | |
| Verdächtigungen zurückhält. Auch wenn es paradox erscheint in einer | |
| Gefahrensituation: Man braucht Ruhe, um genau zu sehen, was passiert. | |
| Die Täter aus Würzburg und Ansbach sind als Flüchtlinge ins Land gekommen. | |
| Was bedeutet das für die gesellschaftliche Debatte? | |
| Wir sehen in den unseren Daten aus den vergangenen zwei Jahren deutlich, | |
| dass die Ablehnung von jungen Migranten massiv angestiegen ist. In unserer | |
| letzten Umfrage zwischen Dezember 2015 und Februar 2016 stimmten 49 Prozent | |
| der Befragten der Meinung zu: „Je mehr Flüchtlinge Deutschland aufnimmt, | |
| desto größer ist die Gefahr von Terrorismus“. Bei Vorurteilen bleibt es | |
| nicht. Auf europäischer Ebene haben wir gesehen: Wenn es eine subjektiv | |
| erlebte Terrorgefahr gibt, dann wollen die Leute Diskriminierung. Man will, | |
| dass etwas mit der Gruppe, die verdächtigt wird, geschieht. | |
| So mancher Politiker der AfD wirft alles in einen Topf und versucht, daraus | |
| politischen Profit zu ziehen: Immer ist die Kanzlerin schuld, die mit den | |
| Flüchtlingen den Terror ins Land geholt haben soll. Und die Linke und ihre | |
| vermeintlich Multi-Kulti-Ideologie. Was bedeutet das? | |
| Wir hatten in den vergangenen zweieinhalb Jahren viele Hatecrimes und | |
| Angriffe auf Asylunterkünfte. Populisten haben die öffentliche Debatte | |
| bestimmt. Viele haben erschreckt bemerkt, dass sich Gesellschaft | |
| polarisiert. Bei der Kommentierung der Münchener Amoktat hat sich die AfD, | |
| weil sie die Dinge so extrem vorurteilsbeladen kommentiert hat, keinen | |
| Gefallen getan. Sie hat eine Grenze überschritten. Da war die Reaktion | |
| weitgehend ablehnend. Das ist auch die Chance einer offenen, medialen | |
| Gesellschaft, die begreift, dass Vorurteile schädigen. | |
| Was wäre eine gesellschaftlich wünschenswerte Reaktion? Was müssen wir tun? | |
| Wir können nur appellieren, dass bei einem Anschlag Vorverurteilungen die | |
| Lage nicht klären. Sie erhöhen die Sicherheit nicht, sondern mindern sie. | |
| Wir brauchen Mäßigung. Jetzt muss man entscheiden, wie man eine | |
| Sicherheitsdebatte führt, ohne sie populistisch in den Wahlkampf zu ziehen. | |
| Ob die Politik das schafft, wird sich bald zeigen. | |
| 26 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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