# taz.de -- Debatte Terror-Analyse deutscher Medien: Der Rucksack ist banal und… | |
> Der Terror in Deutschland lässt „FAZ“, „SZ“ und „Welt“ kreativ w… | |
> Leider geht jede Differenzierung im Brei medialer Begriffsbildungen | |
> unter. | |
Bild: Der Rucksack von Ansbach | |
In Zeiten des Terrorismus gedeihen auch Banalisierung und Infantilisierung. | |
Der Prozess beginnt mit der sprachlichen Bezeichnung von Taten und Tätern: | |
Der Verfassungsschutzpräsident sprach vom „Do-it-yourself-Terrorismus“, | |
[1][die FAZ vom „Graswurzel-Terrorismus“] und von | |
[2][„turboradikalisierten Einzelgängern“]. Die ganze Hilfs- und | |
Ahnungslosigkeit des kommentierenden Gewerbes wird erkennbar in der | |
Tautologie, das heißt, der „Wiederholung des bereits Gesagten“: „Der Ter… | |
schlug in seiner eigentlichen Gestalt zu als Steigerung des Schreckens“, | |
[3][wie Martina Meister in der Welt und im Zürcher Tagesanzeiger schrieb] – | |
als ob das lateinische Wort „terror“ nicht bereits „Schrecken“ bedeuten | |
würde. Die Verdoppelung des Substantivs ist unsinnig wie die Rede von der | |
„Volksdemokratie“ (Volksvolksherrschaft) oder vom „Guerilla-Krieg“ | |
(Kleinkriegkrieg). Solches Gerede verrät nur unterbelichtetes Denken. | |
Das wiederholt sich bei der Analyse von Tat und Tätern. Weil diese nicht | |
ins landläufige Schema vom ferngesteuerten Al-Qaida- beziehungsweise | |
IS-Kämpfer passten, erfand man im gedruckten Gewerbe wie in den | |
Live-Kommentaren der „Terror-Experten“ die Figur des „einsamen Wolfs“, … | |
von „Selbstradikalisierung“, „Blitz-Radikalisierung“ oder | |
„Turbo-Radikalisierung“ befallen werde wie von einem Fieber. Keine | |
Sozialisierung, auch nicht die kaum erforschte des Amokschützen, ereignet | |
sich über Nacht. | |
Trotzdem gewann die Erklärung von Taten aus psychischen Krankheiten schnell | |
an Boden. Hätte in den 70er Jahren jemand die ebenso selbstgerechten wie | |
vernagelten Mitglieder der RAF als psychisch krank bezeichnet und deren | |
Morde damit erklärt, hätte er sich der Lächerlichkeit ausgesetzt und sich | |
wahrscheinlich den Vorwurf der Verharmlosung eingehandelt. | |
Der Hinweis auf psychische Krankheiten als Ursache für die jüngsten | |
Anschläge ist in der Sache windig begründet und verrät nur das Ausmaß der | |
Entpolitisierung und Banalisierung, in denen Kommentatoren des Terrors | |
befangen sind. Sie verwechseln schon Gründe und Motive für Gewalt mit | |
Ursachen und Symptomen für psychische Erkrankungen. | |
## Ein einfacher Baumarkt taugt zum Waffenarsenal | |
Geradezu grotesk wirkt die mediale Darstellung der Instrumente des Terrors. | |
In der SZ vom 4. August 2016 hieß es dazu: „Vom 9/11-Teppichmesser in New | |
York bis zum Rucksack von Ansbach: wie unser Alltag durch Terror und Amok | |
militarisiert wird. Gerade weil der Rucksack banal ist, kann er auch böse | |
sein.“ Jedes Kind weiß, dass man ein Küchenmesser zum Schneiden von Gemüse, | |
aber auch zur Verletzung, ja Ermordung von Menschen benutzen kann. Die | |
These, „Ein einfacher Baumarkt taugt zum Waffenarsenal“, ist grobschlächtig | |
und banal. Interessant wäre nur die Frage, warum und in welchem | |
politischen, sozialen und intellektuellen Kontext Menschen Werkzeuge aus | |
dem Baumarkt besorgen, um zu morden. | |
Der Hinweis auf die Instrumente der Terroristen von Rucksack und Axt bis zu | |
Lastwagen wird nicht aussagekräftiger, wenn er durch eine Anspielung auf | |
Hannah Arendts Wort von der „Banalität des Bösen“ feuilletonistisch | |
dekoriert wird. Im Übrigen steht der Vergleich des Attentats in New York | |
(rund 3.000 Opfer) mit jenem von Ansbach nur für fortgeschrittenen | |
Verhältnisblödsinn. Jede Differenz zwischen Attentaten verschwindet im | |
Wörterbrei, der nur die Namen von Orten, an denen Terroranschläge | |
stattfanden, in eine Kontinuität einordnet und rhetorisch kausal verknüpft, | |
als ob Motivation, Ursachen und Kontexte der Taten immer gleich wären. | |
Auf der intellektuellen Schwundstufe der Analyse von Terror wird die Frage | |
nach dessen Ursachen, Kontexten und Motivationen programmatisch | |
ausgeblendet mit dem einfältigen Argument, jede Suche danach lenke ab von | |
der Schuld und Verantwortung der Täter und diene deshalb nur der | |
Rechtfertigung und Verharmlosung von Gewalt. Solche Improvisationen | |
bescheiden sich mit der bloßen Beschreibung von Gewalt, weil diese | |
angeblich keiner rationalen Erklärung zugänglich sei, und versumpfen in der | |
Tautologie, „Gewalt ist Gewalt“. Zwei Voraussetzungen vermeintlich „reine… | |
Beschreibung liegen auf der Hand. | |
## Gewalt resultiert aus vielerlei Ursachen | |
Die erste geht davon aus, dass Gewalt homogen ist. Aber Gewalt „tel quel“ | |
(so wie sie ist) gibt es nicht. Es ist immer ein historisch, sozial, | |
politisch und psychologisch bestimmtes Phänomen, das wir Gewalt nennen. | |
Eric Hobsbawm nannte drei Beispiele: Ein kalabresischer Brigant antwortete | |
auf die Frage, was böse sei: „Christen ohne schwerwiegende Gründe zu | |
töten“. | |
Im ebenso christlichen Irland stellte in den 20er und 30er Jahren jeder | |
Zeuge einer der nicht ganz seltenen Wirtshausprügeleien die Frage: „Ist das | |
hier ein privater Kampf, oder kann jeder mitmachen?“ Als jüngst Studenten | |
eine Veranstaltung störten, antwortete ihnen der Professor: „Trillerpfeifen | |
gehörten noch nie zum Instrumentarium intellektueller Auseinandersetzung. | |
Sie sind Ausdruck von Gewalt und sonst nichts“. „Gewalt ist Gewalt“? Töt… | |
mitprügeln, pfeifen? | |
Gewalt ist – zweitens – nie einfach Gewalt; Gewalt resultiert überall aus | |
vielerlei Ursachen – selbst bei den auf identifizierbare Täter fixierten | |
Juristen. Außer normativen Abstraktionen wie etwa der Differenzierung | |
zwischen Mord und Totschlag kennen sie mildernde und verschärfende | |
Umstände, die die Ursache für die Gewalt – den Täter – ent- oder belaste… | |
Individuell zurechenbare Täterschaft allein ist eine grobianische Reduktion | |
bei der Beurteilung von Gewalttaten. Für deren Verständnis sind solche | |
Vereinfachungen so nützlich wie Fausthandschuhe fürs Klavierspielen. | |
Kompensiert wird der rustikale Reduktionismus oft mit | |
mediengerecht-simplen, psychopolitischen und geschichtsphilosophischen | |
Spekulationen etwa über die Kontinuität vom „Klassenmord im Namen des | |
Proletariats“ über den „Rassenmord im Namen der Nation“ bis zum „Masse… | |
im Namen der Religion“. Befeuert von Projektionen zum „kollektiven | |
Unbewussten“ wird so aus dem Islam eine genuin gewaltbereite Religion, als | |
ob die unter der Firma „Islamischer Staat“ auftretende Ideologie mit der | |
Religion identisch wäre. | |
18 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/massenmord-in-nizza-dem-kraken-folgt-der… | |
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/kommentar-ueber-t… | |
[3] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article157129352/Diese-Attentate-werd… | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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