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# taz.de -- Anschlag in Ansbach: Das nächste Drama
> Mit Projekten hatte sich Ansbach um Flüchtlinge gekümmert. Nun zerstört
> der Anschlag alle Bemühungen – und verschärft die Flüchtlingsdebatte.
Bild: Ansbach, am Tag nach der Tat: Polizeiabsperrband liegt noch auf dem Veran…
„Traumhafte Künstler, traumhaftes Wetter, traumhaftes Publikum.“ So posten
es die Veranstalter des Ansbach Open am Sonntagabend kurz nach 21 Uhr auf
Facebook. Dazu stellen sie ein Video: eine Menschenmenge, die zum Auftritt
des Songwriters Joris die Arme in der Luft schwenkt. Ausgelassene Stimmung
an einem lauen Sommerabend. Eine Stunde später explodiert eine Bombe.
Nun also Ansbach. Die Amoktat von München mit zehn Toten lag gerade erst 48
Stunden zurück, das Axt-Attentat von Würzburg mit vier Schwerverletzten
sechs Tage, jetzt trifft es Ansbach. Die Motive der Taten sind
unterschiedlich, aber wieder wird Bayern von einer schweren Gewalttat
erschüttert.
In Ansbach war der Täter laut Ermittlern Mohammad D., ein 27-jähriger
Flüchtling aus Syrien. Am Abend läuft er vor dem Festivalgelände, das 2.000
Menschen besuchen, auf und ab. Der Einlass war ihm verwehrt worden, da er
keine Eintrittskarte hatte. Vor einem Weinlokal dann beugt er sich laut
Zeugen nach vorne, in seinem Rucksack explodiert eine Bombe. Der Mann
stirbt, fünfzehn weitere Menschen werden verletzt, vier von ihnen schwer.
Und wieder beginnt das Rätseln. Was war das Motiv? Hätte sich die Tat
verhindern lassen?
## Eine Bombe, gespickt mit Metallblechen
Noch in der Nacht reist Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann nach
Ansbach, um drei Uhr tritt er vor die Journalisten. Eine Woche wie diese
habe er noch nicht erlebt, sagt er. Und Herrmann legt sich fest. Es sei
„naheliegend“, dass es ein islamistischer Anschlag war. Die Rucksackbombe
war mit scharfkantigen kleinen Metallblechen gespickt, die offenbar viele
verletzen sollten. Später wird auch CSU-Justizminister Winfried Bausback
kundtun: Würzburg und Ansbach zeigten, „dass der islamistische Terror
Deutschland erreicht hat“.
Die Ermittler bleiben zunächst vage: Die Motivlage sei noch ungeklärt. Dann
aber stoßen Beamte im Zimmer von Mohammad D. im Ansbacher Flüchtlingsheim
auf weiteres Material zum Bombenbau: einen Benzinkanister mit Diesel,
Salzsäure, Alkoholreiniger, Lötkolben, Drähte, Batterien. Auf
Facebookseiten von Mohammad D. finden sie islamistische Beiträge, auf
seinem Handy schließlich ein Video. Darin bekennt sich der 27-Jährige zu
IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi. Er kündigt eine Vergeltungstat gegen
Deutsche an, weil diese Muslime umbrächten.
Als dies am Nachmittag bekannt wird, erklärt auch die IS-nahe Agentur Amaq,
D. sei laut einer Insiderquelle ein „Soldat des ‚Islamischen Staates‘“
gewesen. Er sei dem Aufruf gefolgt, Angehörige der Nationen anzugreifen,
die den IS bekämpfen.
Eine direkte Verbindung des Syrers zu der Terrormiliz sehen Ermittler
bisher nicht. Mit dem Video, sagt Herrmann am Nachmittag auf einer zweiten
Pressekonferenz, sei dennoch „unzweifelhaft“, dass es sich um eine
islamistische Tat handele. Es wäre der erste Selbstmordanschlag in
Deutschland.
## Ein Terrorist? Ein psychisch Gestörter?
Parallel äußert sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin
– merklich zurückhaltender. Ein islamistischer Anschlag sei ebenso möglich
wie eine Tat aufgrund einer psychischer Störung oder eine Kombination aus
beidem.
Denn: Mohammad D. soll schon zweimal versucht haben sich umzubringen. Er
war in psychiatrischer Behandlung, zeitweise stationär. Bei der Polizei war
er wegen Nötigungen und eines kleineren Drogendelikts bekannt. Am Abend
aber sieht auch die Bundesanwaltschaft, die bei Terrorismusverdacht
zuständig ist, Ansbach als Fall für sich – und zieht die Ermittlungen an
sich. Es bestehe der Verdacht, dass Mohammad D. als Mitglied des IS
gehandelt habe. Zu prüfen sei deshalb, ob es weitere Hintermänner gebe.
Im Juli 2014 kam D. kam nach Deutschland. Im Dezember darauf erhielt er
eine Abschiebeandrohung nach Bulgarien: Dort wurde er zuerst registriert
und erhielt bereits 2013 eine Anerkennung als Flüchtling. Die Ausweisung
wurde ausgesetzt wegen D.s psychischer Probleme. Vor zwei Wochen allerdings
erhielt der 27-Jährige eine erneute Ausreiseaufforderung.
## „Unauffällig, nett, freundlich“
Seine radikalen Ansichten wurden offensichtlich nicht bemerkt, für die
Sicherheitsbehörden war Mohammad D. ein unbeschriebenes Blatt. Reinhold
Eschenbacher, Leiter des Ansbacher Sozialamtes, sagt, Mitarbeiter hätten
ihn als „unauffällig, nett, freundlich“ beschrieben. Am Montag nimmt die
Polizei aber kurzzeitig einen Dolmetscher fest, der mit D.
zusammenarbeitete. Wusste er mehr? Der Mann wird später wieder
freigelassen.
Für die Stadt ist die Tat ein Drama. 600 Asylbewerber leben in Ansbach.
Erst im März hatte die Stadt das Projekt „Ankommen in Ansbach“ gestartet.
In sieben Sessions werden Flüchtlinge über das Ansbacher Leben informiert,
über die Gesetzeslage oder das Arbeitsleben. Referenten sind der
Landgerichtspräsident, der Polizeidirektor oder der örtliche Imam. Ein
Versagen in der Flüchtlingsbetreuung könne sie nicht sehen, sagt
Bürgermeisterin Carda Seidel (parteilos). Die Stadt unternehme alles, um
„möglichst nah an den Menschen zu kommen“.
An Mohammad D. kam man offenbar nicht sehr nah heran. Und die politische
Debatte steuert in eine andere Richtung. Bayerns Innenminister Herrmann
drängt auf eine Verschärfung des Straf- und Aufenthaltsrechts. Selbst
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht fordert, der Staat müsste jetzt
alles tun, „damit die Menschen wieder sicher sind“.
Die Bundesregierung warnt derweil, Flüchtlinge nicht pauschal unter
Terrorverdacht zu stellen. 59 Ermittlungen gegen Flüchtlinge gibt es
aktuell wegen Terrorverdachts. Die allermeisten Hinweise hätten sich aber
als unwahr herausgestellt, betont Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
Er mahnt zur Besonnenheit. Gleichzeitig beordert er die Bundespolizei, mehr
Präsenz an Flughäfen und Bahnhöfen zu zeigen.
25 Jul 2016
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Ansbach
„Islamischer Staat“ (IS)
Joachim Herrmann
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Thomas de Maizière
Innenminister
Flüchtlinge
Schwerpunkt Angela Merkel
Terrorismus
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