| # taz.de -- Anmerkungen zum Amok-Diskurs: Binsenweisheit Achtsamkeit | |
| > Alle sollen besser aufeinander aufpassen, dann geschieht so etwas wie in | |
| > München oder Ansbach – nicht? Oder seltener? | |
| Bild: Junge Männer auf der Straße ansprechen und nach ihrem Befinden fragen? … | |
| „Was tun gegen Amok?“ hat die taz am Montag auf ihrer ersten Seite gefragt, | |
| nachdem ein Münchner Schüler gezielt neun Menschen und sich selbst | |
| erschossen hatte. Das war keine rhetorische Frage. Es war eine angemessene | |
| Titelzeile, weil niemand eine gute Antwort hatte. Und je länger ich darüber | |
| nachdenke, umso ratloser werde ich. | |
| Was um Himmels willen kann man tun dagegen, dass 18- oder 20-jährige junge | |
| Männer mit Messern, Pistolen oder Rucksackbomben losziehen, um möglichst | |
| viele Menschen umzubringen? Egal, ob sie an ihrer Schule töten, ob sie auf | |
| wildfremde Touristen im Zug einschlagen oder sich im Namen irgendeines | |
| Gottes oder Führers mitten in einer Menschenmenge in die Luft sprengen. | |
| An mehr oder minder guten Erklärungen und Gedankenspielen zu dem Thema hat | |
| es mir in den letzten Tagen jedenfalls nicht gefehlt. Die Bundeswehr zu | |
| holen zählte eindeutig zu den schlechteren – kühlen Kopf zu bewahren, sich | |
| nicht ins Bockshorn jagen zu lassen zu den besseren. | |
| Ja, und nun? | |
| Ich habe mittlerweile genügend Interviews mit Psychologen und anderen | |
| Fachleuten gelesen, die sich über die Motive der Täter Gedanken machen: | |
| dass die in der Regel einsam sind, gemobbt werden, sich auf den dunklen | |
| Seiten des Internets bewegen, angestachelt von anderen, und sich immer | |
| stärker in Gewaltfantasien hineinsteigern; dass sie sich gekränkt fühlen, | |
| Rache an der Welt üben und ihr als uncool und freudlos empfundenes Leben | |
| lieber mit einem gewaltigen Knall verlassen wollen, als sich Hilfe zu | |
| holen. | |
| Am Ende sind sich alle – bis hinauf mindestens zum Innenminister – einig. | |
| Einen absoluten Schutz gibt es nicht. Und: Die Gesellschaft müsse sich | |
| stärker um diese Jugendlichen kümmern, achtsamer sein. | |
| Solche Forderungen machen mich ehrlich gesagt nervös. Sie hören sich im | |
| ersten Moment gut an – aber wie soll das gehen? Mir scheint, da verkleide | |
| sich etwas als Appell an meine Mitmenschlichkeit – „seid achtsam“, was do… | |
| nicht im Moralischen stecken bleiben darf. | |
| Wenn „die Gesellschaft“ sich besser kümmern soll, dann möchte ich konkret | |
| hören, was sie dafür tun soll. | |
| Es ist eine Binsenweisheit, dass bessere Schulen besser helfen, Jobs zu | |
| finden, eine Zukunft aufzubauen. Das heißt Schulen mit mehr, pädagogisch | |
| gut ausgebildeten und motivierten Lehrern. | |
| Es ist auch klar, dass vernünftig ausgebildete Polizisten – und genug davon | |
| – das Gefühl von Sicherheit verstärken können. Jeder weiß, dass die | |
| Sparpolitik der Regierung hier besonders schädlich ist. | |
| ## Junge Männer auf der Straße ansprechen? | |
| Es ist eine Binsenweisheit, dass man weniger leicht auf üble Gedanken | |
| kommt, wenn man sich respektiert und geliebt fühlt und keine Angst vor der | |
| Zukunft haben muss. Das stimmt für alle Menschen, ob ihre Familie nun seit | |
| Urgroßmutters Zeiten in Deutschland gelebt hat oder aus anderen Ecken der | |
| Welt stammt. | |
| Und es ist auch kein Geheimnis und nicht neu, dass die Faszination an der | |
| Gewalt im Internet und in vielen Filmen die Fantasien unglücklicher Leute | |
| beflügelt. Das ist grässlich – und trotzdem gibt es hierzulande ganz | |
| offenbar keinen Konsens, dagegen zu steuern. | |
| Ich bin aber keine Lehrerin, auch keine Mutter von gefährdeten | |
| Jugendlichen, ich komme gewöhnlich also weder beruflich noch privat mit | |
| ihnen zusammen. Ich kann auch nicht junge Männer auf der Straße ansprechen | |
| und nach ihrem Befinden fragen, weil sie, Kapuze tief über dem Kopf, düster | |
| aufs Handy starren oder einfach nur so vor sich her laufen. Die würden sich | |
| bedanken. | |
| Also was heißt das, ich müsse achtsam sein – außer dass ich mich ganz | |
| normal zivil und höflich benehme, wie sonst auch? | |
| 28 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jutta Lietsch | |
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