# taz.de -- Psychiater über Amokläufer: „Mit einem Knall aus dem Leben“ | |
> Um Taten wie die in München zu vermeiden, muss das Umfeld aufmerksam | |
> sein, sagt der Psychiater Jörg Fegert. Häufig deuteten Täter ihr Vorhaben | |
> an. | |
Bild: Am Wochenende nach dem Amoklauf erinnern Blumen an die Ereignisse von Fre… | |
taz: Herr Fegert, was bringt einen Menschen zum Amoklauf? | |
Jörg Fegert: Dafür gibt es keine monokausalen Erklärungen. Die Tätermuster | |
sind unterschiedlich. Einige wenige sind psychotisch. Die allermeisten | |
Täter sind männlich. Bei vielen wird ein sozialer Rückzug beschrieben, bei | |
manchen auch eine narzisstische Persönlichkeit – die Menschen sind sehr von | |
sich überzeugt, zugleich aber extrem kränkbar. Sie leiden unter | |
Leistungsversagen, entwickeln Gewaltfantasien und den Drang, diese | |
auszuleben. | |
Der Münchner Täter soll schwer depressiv gewesen sein. | |
Es gibt sehr viele depressive Jugendliche. Gerade zu dieser Erkrankung | |
passt Gewalttätigkeit überhaupt nicht. Da muss sehr viel mehr dazukommen. | |
Ist ein Amokläufer ein zutiefst kranker Mensch? | |
Ein zutiefst besonderer Mensch. Amokläufer haben eine sehr spezielle | |
Persönlichkeitsentwicklung. Man muss immer den Einzelfall sehr genau | |
betrachten. Häufig fällt eine Vorplanung auf, immer wieder deuten die Täter | |
ihr Vorhaben an. | |
Wie hoch ist die Gefahr von Nachahmungstätern? | |
Presseberichterstattung, jede mediale Aufmerksamkeit motiviert andere | |
Menschen zur Nachahmung. Seit dem Massaker in der Schule von Columbine in | |
den USA 1999 gibt es eine Szene, die so etwas idealisiert. Verschweigen | |
oder verheimlichen kann man das natürlich nicht, es sollte aber sehr | |
zurückhaltend und differenziert berichtet werden. Mir ist in diesem | |
Zusammenhang ganz wichtig, an die Opfer, deren Angehörige, die Betroffenen | |
zu denken. | |
Man hat den Eindruck, dass solche Dinge immer häufiger passieren. | |
Amokläufe sind extrem seltene Ereignisse. Eine Zunahme in jüngster Zeit | |
kann ich nicht feststellen, es wird aber wohl viel mehr darüber berichtet. | |
Wie unterscheiden sich Amoklauf und terroristisch motiviertes | |
Selbstmordattentat? | |
Der Amoklauf ist ein innerpsychisch motiviertes „Euch zeige ich es“, das | |
sich nicht auf eine allgemeine Ideologie bezieht, auf kein | |
Heilsversprechen. Amoklauf und Selbstmordattentat sind sehr | |
unterschiedlich, auch wenn die psychische Entwicklung eines Attentäters oft | |
ursächlich mit seinem Handeln in Verbindung steht. | |
Sind Amokläufer in erster Linie Selbstmörder, denen es um den eigenen Tod | |
geht? | |
Nein, ihnen geht es primär um den Tod von anderen. Sie nehmen aber den | |
Suizid als Teil des ganzen Ablaufs in Kauf oder planen ihn ein. Sie wollen | |
mit einem riesigen Knall, mit maximaler Aufmerksamkeit aus dem Leben gehen. | |
Welche Gefahr geht von Egoshooter-Spielen aus? | |
Die Effekte solcher Computerspiele auf Gewaltausübung sind gar nicht so | |
deutlich durch die Forschung belegt. Allerdings führt das Training zu | |
Abstumpfung. Je größer der Bildschirm ist, desto einfacher werden | |
Widerstände auch im wirklichen Leben überwunden. Grundlegend für einen | |
Amokläufer ist aber dessen spezifische Persönlichkeitsentwicklung. | |
Der Begriff Amok bezieht sich eigentlich auf spontane Handlungen. Die | |
Amokläufe, von denen wir sprechen, sind aber oft über lange Zeit hinweg | |
geplant. | |
Der klassische Amokbegriff kommt aus dem indonesischen Kulturkreis und | |
meint eine Spontantat. Bei psychotischen Tätern gibt es tatsächlich | |
spontane Amokläufe. Mittlerweile hat sich der Begriff aber auch für | |
geplante Taten eingebürgert, da kann man sprachlich nicht puristisch sein. | |
Lassen sich Amokläufe überhaupt verhindern? | |
Ganz wichtig ist, dass das Umfeld genau auf alles hört. Auf Aussagen, | |
Andeutungen oder Fantasien. Ganz charakteristisch ist, dass sich solche | |
Täter sozial isolieren und in ihre Welt abdriften. Man sollte das Gespräch | |
suchen, sollte Lehrer und Schulpsychologen ansprechen, zu Beratungsstellen | |
gehen, zu Kinder- und Jugendpsychiatern. Nach dem Münchner Amoklauf werden | |
sich viel mehr Menschen als sonst mit Fällen bei uns melden, an denen | |
nichts dran ist. Das war nach der Tat von Winnenden im Jahr 2009 genauso. | |
Aber es ist besser, sich um zehn Fälle zu viel zu kümmern als um einen zu | |
wenig. | |
25 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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