Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Amoklauf in München: Die ganz große Notstandsübung
> Die Münchner Geschehnisse belegen, in was für einem hysterischen Zustand
> sich die Gesellschaft befindet. Sogar die Bundeswehr stand bereit.
Bild: Polizeipräsenz am Samstag vor der Schnellimbiss-Filiale, in deren Nähe …
Die Angst vor dem Terror macht bislang Undenkbares denkbar – auch in der
Bundesrepublik. In München hätte es sogar zu einem Einsatz der Bundeswehr
kommen können. [1][Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte
am Freitag nach eigenen und von Innenminister Thomas de Maizière
bestätigten Angaben bereits eine Einheit der Feldjäger in Bereitschaft
versetzt]. Es wäre der Höhepunkt einer Nacht der Irrationalität gewesen.
Wenn zusätzlich zu den 2.300 Polizeikräften inklusive der GSG 9 auch noch
die Feldjäger in die bayerische Landeshauptstadt ausgerückt wären, wäre das
ein Tabubruch gewesen – allerdings einer mit Ansage. In der Bundesregierung
gibt es schon lange Überlegungen, die Bundeswehr auch zur
Antiterrorbekämpfung im Inneren einzusetzen. Dabei beruft sie sich auf ein
Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2012, das die bis dahin
äußerst begrenzten Möglichkeiten des Soldateneinsatzes im Inland deutlich
erweitert hat.
Im Grundgesetz ist festgeschrieben, dass die Bundeswehr nur zur „Abwehr
einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische
Grundordnung“ (Artikel 87a Absatz 2 GG) oder im Falle „einer
Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“ (Art 35
Abs. 2, Abs. 3 GG) zur Unterstützung der Polizeikräfte im Inneren einsetzen
darf. Die Karlsruher Richter definierten vor vier Jahren, unter einem solch
besonders schweren Unglücksfall sei eine ungewöhnliche Ausnahmesituationen
von katastrophalem Ausmaß zu verstehen, die auch „absichtlich
herbeigeführt“ werden könne. Nach Interpretation der Bundesregierung kommt
das auch „bei terroristischen Großlagen in Betracht“, [2][wie es im gerade
veröffentlichten Weißbuch heißt].
Eine solche Auslegung des Grundgesetzes ist höchst fragwürdig und
umstritten. Doch auch wenn der vorbereitete Feldjäger-Einsatz in München
verfassungskonform gewesen wäre, stellt sich die Frage, was in diesem Land
los ist, dass er überhaupt erwogen wurde. Denn was ist am Freitag
geschehen? So fürchterlich [3][das Blutbad im Olympia-Einkaufszentrum] auch
gewesen ist: Es handelte sich um die räumlich und zeitlich begrenzte Tat
eines Einzelnen. Für die Angehörigen der neun Todesopfer und die
zahlreichen Verletzten ist das selbstverständlich kein Trost. Aber diese
Feststellung ist entscheidend für die Einschätzung der Tat.
Gegen 20.30 Uhr, also etwa zweieinhalb Stunden nach dem Amoklauf, hat sich
der 18-jährige Täter in der Nähe des Einkaufszentrums vor den Augen von
Polizeibeamten erschossen. Damit hätte der polizeiliche Großeinsatz beendet
sein können. Stattdessen lief er dann erst auf vollen Touren. Auf der Basis
der Fehlinterpretation eines wegfahrenden Autos und unzutreffender
Zeugenaussagen („Langwaffen“) wurde aus einem „ganz normalen“ Amoklauf …
vermeintlich terroristischer Akt, von dem ganz München bedroht schien. Bis
weit nach Mitternacht wurde die gesamte Stadt in einen bisher nicht
gekannten Ausnahmezustand versetzt. Eine derartige Notstandsübung hat die
Republik noch nicht erlebt.
## Zu naheliegende Szenarien
Vom Brandanschlag auf das Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde 1970,
bei dem sieben jüdische Hausbewohner getötet wurden, über die Geiselnahme
und Ermordung israelischer Sportler bei den Olympischen Sommerspielen 1972
bis zum neonazistisch motivierten Attentat auf das Oktoberfest 1980, bei
dem 13 Menschen getötet und 211 verletzt wurden: In der jüngeren Geschichte
Münchens gab es schon mehrere schlimme Terrorakte. Doch niemals zuvor
führten sie zu derart drastischen Reaktionen.
Diesmal allerdings schien der Deutschland oft prophezeite große
dschihadistische Angriff zu naheliegend, als dass noch Platz für
Besonnenheit gewesen wäre. Die Intensität der staatlichen Maßnahmen
entsprach dabei dem Panikgrad der Bevölkerung, wie [4][die zahllosen
Fehlmeldungen über angebliche Schießereien] eindrücklich belegen. Auch das
gehört zu der neuen Qualität dessen, was am Freitag in München geschehen
ist.
Dass an diesem Freitagabend nichts mehr abwegig schien, ist durchaus
verständlich angesichts der schrecklichen Terrorakte am 13. November 2015
in Paris, wo es eben nicht nur einen lokal eingrenzbaren Anschlag gab,
sondern Attentate an gleich acht verschiedenen Orten in der Stadt. Deswegen
wäre es auch wohlfeil, mit dem Wissen von heute die polizeilichen
Aktivitäten vom Freitag in Grund und Boden zu kritisieren. Sicher waren sie
im Nachhinein betrachtet unverhältnismäßig, weil sie auf falschen Prämissen
fußten. Aber immerhin haben die Sicherheitsbehörden demonstriert, dass sie
auf den Fall der Fälle vorbereitet sind.
Die Münchner Geschehnisse belegen aber auch, in welch hysterischem Zustand
sich die Republik befindet. Dazu gehört, dass von der Leyens Erwägung eines
Einsatzes der Bundeswehr im Inneren am Freitag zu keinem Aufschrei der
Empörung mehr führt. Was passiert erst mit diesem Land, wenn es wirklich zu
einem terroristischen Anschlag kommt? Darüber nachzudenken, bereitet großes
Unbehagen.
24 Jul 2016
## LINKS
[1] /Amoklauf-in-Muenchen/!5327556/
[2] /!5322164/
[3] /Schuesse-in-Muenchen/!5327543/
[4] /Die-Nacht-in-Muenchen/!5327551/
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
München
Amoklauf
Bundeswehr
Oktoberfest
Bundeswehr
Bundeswehr
Thomas de Maizière
Ursula von der Leyen
Schwerpunkt Rassismus
München
German Angst
München
München
München
München
München
Bundeswehr
München
München
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ermittlungen im Oktoberfest-Attentat: Der Verfassungsschutz ist unwillig
Die Mithilfe des Geheimdienstes bei neuen Ermittlungen zum
Oktoberfestattentat bleibt verhalten. Auch die Bundesregierung verweigert
Auskünfte.
Kommentar Bundeswehreinsatz im Inland: Ein schäbiges Schauspiel
Im Namen des Kampfs gegen den Terror soll der Boden für künftige Einsätze
der Bundeswehr im Innern bereitet werden. Warnende Stimmen fehlen.
Bundeswehreinsatz im Innern: Dein Freund und Helfer in Flecktarn
Noch gilt der Bundeswehreinsatz im Innern als Tabu. Doch die Union möchte,
anders als die SPD, bald den Ernstfall proben lassen.
Kommentar Terrorabwehr: Die AfD lässt grüßen
Die CDU will ihre Wähler mit neuer Härte begeistern. Hoffentlich sind sich
wenigstens die Grünen dafür zu schade.
Bundeswehreinsätze nach Terrorangriffen: Mission im Inland in Vorbereitung
„Im Ernstfall müssen die Alarmketten stehen“, sagt die
Verteidigungsministerin. Demnächst werde entschieden, welche
Einsatzszenarien geübt werden müssten.
FAZ über den Angriff in München: Täter war offenbar rechtsextrem
Der Attentäter von München war stolz darauf, dass sein Geburtstag mit dem
Hitlers zusammenfiel, schreibt die FAZ. Es wird geprüft, ob er bewusst
Migranten tötete.
Psychiater über Amokläufer: „Mit einem Knall aus dem Leben“
Um Taten wie die in München zu vermeiden, muss das Umfeld aufmerksam sein,
sagt der Psychiater Jörg Fegert. Häufig deuteten Täter ihr Vorhaben an.
Gefühlte Unsicherheit: Unsere Angst ist ihre Macht
Der Amoklauf in München hat vor allem eines gezeigt: Was wir inzwischen
bereit sind, uns vorzustellen. Das sollte uns beunruhigen.
Kommentar Bundeswehr im Inneren: Trauer und Kalkül
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen versucht, sich die Terrorangst
zunutzezumachen. Das ist kein Zeichen von Größe.
Nach dem Amoklauf in München: Tat akribisch vorbereitet
Die Ermittler gehen nicht von einem politischen Hintergrund der Tat aus.
Der 18-Jährige litt unter Depressionen und verfasste ein Manifest.
Bundeswehr-Einsätze im Inland: Streit um die Feldjäger
Die Bundeswehr war in der Amok-Nacht von München für einen Einsatz bereit.
Den Sozialdemokraten geht das zu weit.
Nach Amoklauf in München: Suche nach dem Motiv läuft
Nach den tödlichen Schüssen ist das Motiv des Täters weiterhin unklar. In
der Politik gibt es Forderungen nach einem Einsatz der Bundeswehr im
Inneren.
Mutmaßlicher Amoklauf in München: Der Tag danach
Geschäfte und Kneipen bleiben geschlossen. In der Nähe des Tatortes finden
sich Menschen ein und versuchen, das Erlebte zu verstehen.
Amoklauf in München: Soldaten standen in Bereitschaft
Während die Umstände der Bluttat in München noch nicht bekannt waren,
sollen sich Bundeswehrsoldaten für einen Einsatz mit der Polizei
vorbereitet haben.
Die Nacht in München: Real ist die Panik
Gerüchte, Unsicherheit und Angst: Was sich als die Tat eines Einzelnen
herauszustellen scheint, hat in der Nacht zu dramatischen Szenen geführt.
Nach der Schießerei in München: Eine Stadt unter Schock
Nach den tödlichen Schüssen befindet sich die bayerische Hauptstadt im
Ausnahmezustand. Die Stadt wird abgeriegelt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.