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# taz.de -- Amokläufer als popkulturelle Figuren: Identität Rambo
> Jugendliche Täter, wie der von München, sind fasziniert vom Typ des
> männlichen Einzelkämpfers. Dieses Schema ist auch in der Popkultur
> präsent.
Bild: Der Einzelkämpfer ist eine häufig bediente Figur im Film. Im Bild: Sylv…
München, Würzburg, Orlando – nach allem, was bekannt ist, war keine dieser
Taten ein Terroranschlag. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass dahinter
irgendeine Form von Organisation mit über die Tat hinausweisender Strategie
stand. Ebenso wenig jedoch waren die Angriffe spontane
Kurzschlussreaktionen, wie das Wort „Amok“ mit seiner Bedeutung
„blindwütiges Verhalten“ unterstellt.
Keiner der Täter war „blind“ oder „wütete“. Ein Automatikgewehr oder …
eine Axt trägt niemand zufällig mit sich herum, der spontan durchdreht.
Die Taten waren vorbereitet, die Täter wollten etwas erreichen, wofür sie
ihren eigenen Tod billigend in Kauf nahmen. Aber was? Was kann für einen
Teenager wie den Münchner Schützen so wichtig sein, dass er bereit ist,
andere Jugendliche und schließlich sich selbst zu erschießen? Muss dahinter
nicht irgendeine Ideologie stehen, ein Weltbild, das die Tat für den Täter
mit Sinn erfüllt?
So viel ist klar: Der 18-jährige Schüler hatte Vorbilder. Und zwar nicht
die Milizionäre des selbst ernannten „Islamischen Staats“. Auf seinem
Computer fanden die ErmittlerInnen unter anderem Videos über das Massaker
an der Columbine High School von 1999. Damals erschossen zwei Schüler im
US-Bundesstaat Colorado zwölf MitschülerInnen und einen Lehrer. Ebenso wie
der Schütze von München hatten sie die Tat im Voraus geplant, genau wie er,
erschossen sie sich nach der Tat selbst. Ebenfalls bekannt ist, dass der
Münchner Täter mindestens einmal nach Winnenden in Baden-Württemberg
gefahren ist, wo 2009 ein Schüler 15 Menschen und wiederum sich selbst
erschoss.
Und schließlich orientierte sich der Schütze von München auch am Massaker
in Oslo und auf der Insel Utøya im Jahr 2011, bei dem 77 Menschen, darunter
hauptsächlich Jugendliche, starben. Nicht nur benutzte der 18-Jährige ein
Foto des Täters Breivik in den sozialen Medien, er besorgte sich auch die
gleiche Waffe und suchte sich für seine Tat den fünften Jahrestag des
Angriffs aus. Gruselig genug sind diese Parallelen, was aber sagen sie über
die Beweggründe des Teenagers aus?
## Vorbilder waren Einzelkämpfer
Die Bezugnahme auf die Morde in Norwegen haben zuletzt Mutmaßungen
ausgelöst, ob der jugendliche Täter mit einem rechtsextremistischen
Hintergrund gehandelt haben könnte. Nachdem es keine Hinweise auf einen
islamistischen Hintergrund gibt, schien dies die nächstbeste Deutung zu
sein. Wie aber passt das zu dem offensichtlichen Interesse an den
Ereignissen von Winnenden und Columbine, bei denen Rechtsextremismus keine
Rolle gespielt hat? Was wäre, wenn der Täter gar keine Ideologie kopiert
hat, sondern vielmehr ein bestimmtes Täterbild, das ihn fasziniert?
Die Vorbilder des Münchner Schülers waren Einzelkämpfer. Ohne eine
Organisation im Hintergrund, allein durch genaue Planung und die Auswahl
des geeigneten Schauplatzes gelang es ihnen, durch ihr Handeln
größtmögliche Panik und Verzweiflung zu generieren. Sie waren allesamt
einsame Wölfe, fühlten sich von der Gesellschaft im Stich gelassen – und
hatten sich im Laufe ihrer Vorbereitung ein einfaches Weltbild aufgebaut:
„ich“ gegen „alle anderen“. Was, wenn es vor allem anderen diese Rolle …
für die ein einsamer, sensibler, an Depression erkrankter Teenager sich zu
interessieren beginnt? Eine Rolle, die ihn mehr und mehr fasziniert, je
mehr er sich mit ihr beschäftigt – bis es schließlich attraktiv für ihn
wird, sie nachzuahmen?
Dieses Schema der männlichen Einzelkämpfer ist nicht zuletzt auch in der
Popkultur präsent. In etlichen Hollywoodklassikern sind sie die
Identifikationsfigur. Es sind – von dem Film „Kill Bill“ einmal abgesehen…
Männer, die alles verloren und in der Konsequenz nichts zu verlieren haben.
Die niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen, außer sich selbst. Für die
die Welt eine einzige große Gegnerschaft darstellt. Es sind Figuren wie
Clint Eastwoods „Dirty Harry“, der sich an keine Regeln halten muss, weil
ihm die Anerkennung der anderen egal ist.
Sylvester Stallones „Rambo“, schikaniert und gedemütigt von der
Gesellschaft, verarbeitet sein Trauma, indem er mit einem Automatikgewehr
Kommunisten und korrupte Polizisten massakriert. Oder Männer wie Mel
Gibsons „Mad Max“, dem eine kaputte Welt alles genommen hat, sodass es ihm
alternativlos erscheint, selbst zum grausamen Killer zu werden.
## Schwächen in Stärken umdeuten
Das heißt nicht, dass dieses Rachefeldzug- oder One-Man-Army-Genre deshalb
für Massaker in der Realität verantwortlich ist, ebenso wenig wie
sogenannte First-Person-Shooter-Videospiele, über deren Einfluss auf
potenzielle Täter nach Winnenden heftig diskutiert wurde. Weder
Hollywoodfilme noch Computerspiele machen Amokläufer. Aber die Beispiele
zeigen, dass im kollektiven Bewusstsein eine bestimmte Heldengeschichte
immer wieder auftaucht: eine, in der der Protagonist allein steht gegen
eine Welt, die grundsätzlich falsch ist – weswegen er keine moralischen
Grenzen mehr einzuhalten braucht.
Der Einzelkämpfertypus verkörpert alle die negativen Erfahrungen eines
durchschnittlichen heranwachsenden jungen Mannes: Einsamkeit, die
Unfähigkeit mit anderen zu kooperieren oder zu ihnen Nähe aufzubauen, die
überwältigende Aufgabe, sich selbst ein Bild zu machen von dem, was richtig
und falsch ist.
Die Einzelkämpfergeschichte deutet diese Schwächen in Stärken um. Der
Einzelkämpfer ist nicht einsam, er braucht niemanden. Er ist nicht
kooperationsunfähig, er ist kompromisslos. Und er hat ein einfaches
Weltbild: Ich liege richtig, die liegen falsch.
Die Täterfiguren von Columbine und Winnenden verkörpern diesen Typus in
Reinform. Die Faszination geht von der Kompromisslosigkeit ihres Handelns
aus. Sie sind Archetypen, die ein Teenager anprobiert, so wie er im Laufe
des Heranwachsens viele Identitäten anprobieren wird. Der Münchner Schüler
ist zu dem Schluss gekommen, dass dies die Identität ist, die er bis
zuletzt tragen will.
26 Jul 2016
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Amoklauf
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