# taz.de -- Ausnahmezustand in München: Drinnen mit der Angst | |
> Öffentliche Plätze meiden, sagt die Polizei. Ich sitze in einer | |
> Bibliothek. Fest. Alles ist in Aufruhr und doch still. Ein Bericht aus | |
> München. | |
Bild: Ein Polizist am Freitag in München | |
MÜNCHEN taz | Plötzlich waren sie da. Die Sirenen, die Hubschrauber, die | |
Angst in meinem Kopf. Jetzt ist es soweit. Nein, es darf nicht so sein. | |
Kampf im Kopf. Kampf am Olympiazentrum. Hässlicher Siebziger-Jahre-Bau. | |
Schlimme Modeketten. Und jetzt das. | |
Ein Mann im schwarzen T-Shirt rennt auf einem verpixelten Video auf die | |
Straße. Eine Frau mit weißer Hose rennt davon. Nicht hinschauen. Nicht | |
schießen. Bitte nicht. Doch. Es ist jetzt soweit. Meine Stadt, mein | |
geliebtes München ist jetzt vom Terror erfasst. Das sagt man so, dabei weiß | |
doch keiner was das bedeutet. | |
Vier Stunden nach den tödlichen Schüssen im Nordwesten der Stadt sitze ich | |
in der Uni-Bibliothek. Fest. Ich sitze dort fest. Die Polizei hat beim | |
Bibliothekar angerufen: „Bitte sagen Sie den Studenten, dass sie drin | |
bleiben sollen. Sicherheit geht vor Arbeitsschluss.“ | |
Und so werden wir hier bleiben. 30 junge Menschen, plötzlich herausgefallen | |
aus ihrer kleinen Studi-Welt. Den bitter sorgenvollen Blick zur Tür | |
gerichtet. Ist die schusssicher? Was tun wir, wenn da jemand dran | |
vorbeirennt? Können die uns kriegen? | |
## Klein. Und weit weg | |
München ist auch Medienstadt, und ich bin Teil davon als Journalistin. | |
Sofort laufen alle Kanäle bei mir durch. Twitter, ARD, Süddeutsche Zeitung | |
und Facebook. In der Bibliothek eingesperrt. Kann man da schon den | |
„Safe“-Button drücken? Kann man da liken, wenn die Freunde ihn gedrückt | |
haben? Ich muss raus. Rauchen. | |
Zwei Kollegen sind auf der Live-Schalte in der „Tagesschau“. Ich kenne sie. | |
Sie stehen da im Fernseher. Hier in der Nähe. München ist klein. Aber auch | |
ganz weit weg. Wenn jetzt jemand hier reinkommt und uns alle erschießt, | |
dann merkt das erstmal keiner. | |
Raus. Frische Luft. Die Sonne geht unter. Mein geliebter Sommerregen | |
tröpfelt. Dicke Tropfen sind das immer in München. Ganz anders als in | |
Berlin. Hier ist der Himmel höher. Ich wollte es nicht glauben, als ich | |
hergezogen bin. Aber es ist so. Der Himmel ist höher. Vielleicht sammeln | |
sich deswegen die Tropfen zu dicken Platschern auf meinem Arm. | |
## Die Familie, der Freund, die Freunde | |
Da sitzen Leute. Sie hatten eine Examens-Feier. Die Mädchen in schlecht | |
geschnittenen Abendroben, die Männer wie immer. Sie haben Rosen bei sich. | |
Es ist dieses adrenalingesteuerte Grinsen auf ihren Gesichtern, das mich | |
verunsichert. Bin ich hysterisch? Zwei von ihnen möchten etwas essen gehen. | |
Sie wollen raus. Ich lache sie aus. Adrenalingesteuert. Schweigend ins | |
Gespräch vertieft. Zwei andere finden in einem Spind vergessene Kekse. Als | |
wären sie im Lazarett, schmeißen sie sich darauf. Als ein totgeschossener | |
Hase auf der Sandbank Schlittschuh lief. | |
Mein Handy geht. Die ganze Zeit. Zum Glück. Ich bin nicht gut darin, | |
alleine zu sein. Meine Familie ruft an, mein Freund, Freunde. Bist du okay? | |
Ja, aber ich will hier nicht weg. Die Sirenen kommen immer wieder. Mal | |
mehr, mal weniger hysterisch. Alles ist in Aufruhr und doch still. | |
Spannung. Knistern. Alles ist in der Luft. Es scheint alles gesagt. Pass | |
auf dich auf. Wäre ich Attentäter, würde ich Menschen auslachen, die das | |
sagen. Pass auf dich auf. Adrenalingesteuert auslachen. Hahaha. | |
Auf dem Rasen vor der Bibliothek hoppeln Hasen. | |
Meine Tochter. Geht es ihr gut? Sie liebt Hasen. Sie hat zur Osterzeit | |
Geburtstag, die Hälfte ihrer Kuscheltiere sind Hasen. Ich bin froh, dass | |
sie in Sicherheit ist. Ich bin nicht froh, dass sie nicht bei mir ist. Denn | |
wäre sie da, hätte ich sie vom Kindergarten abgeholt. Wir wären nach Hause | |
gegangen, hätten heimlich Schokolade gegessen. Ich hätte sie in mein Bett | |
geholt. | |
Wie egoistisch ich bin. Sie schläft im Bett bei ihrer Oma in Berlin. Ich | |
bin froh, dass sie nicht bei mir ist. Sie soll mich nicht so sehen. Sie hat | |
mich gesehen, nachdem die Männer ins Bataclan gefeuert hatten. Ich habe | |
geweint, sie hat es natürlich nicht verstanden. Mama, was ist los? – Da | |
haben Männer Menschen erschossen, obwohl sie nichts gemacht haben. – Und | |
sind die jetzt im Himmel? – Ja, die sind im Himmel. | |
## Echte Angst | |
Das Handy. Sieben Menschen sind bis jetzt tot. Das sollte sich später noch | |
ändern. Ich schwimme. Ein Freund wohnt hier direkt um die Ecke. Es wären | |
nur 650 Meter, sagt Google. Aber Google sagt auch, dass die Polizei von | |
akuter Terrorgefahr spricht. Dass die Münchner zu Hause bleiben sollen. Ich | |
habe Angst. Dass sie Langwaffen tragen. Woher kommen diese Waffen? Echte | |
Angst. Keine Bilder online stellen. Keine Videos. Unterstützt die Täter | |
nicht. Ich kann die Angst nicht mehr zügeln. Ein 15-jähriges Mädchen soll | |
im Krankenhaus gestorben sein. Tränen der Wut. | |
Aber jetzt bin ich hier. Eingesperrt. Langwaffen. Das Wort kannte ich noch | |
nicht. Langwaffen. Was macht man, wenn man in so eine Langwaffe schaut? | |
Wenn sie vor einem ist? Ich glaube, man pisst sich in die Hose. Und denkt | |
an nichts mehr. Hofft nur noch, dass es vorbeigeht. Ich muss auf die | |
Toilette. Ich muss an Orlando denken. „Wir sind jetzt auf der Toilette. | |
Mama. Er schießt.“ Das haben sie gesagt. Jetzt ist es hier angekommen. | |
Sofort wieder raus. Im Flur sitzen zwei Mädchen, sie schauen die ganze Zeit | |
den Live-Stream an. | |
Gegen halb zwölf hat der Pförtner genug. Feierabend. Er wirft uns hinaus. | |
Geschlossene Tür. | |
Die Freundin einer Freundin sitzt eingesperrt im Olympia-Einkaufszentrum. | |
Sie arbeitet dort. Jetzt hat sie Angst, sitzt im Lagerraum, hofft, dass es | |
vorbeigeht. | |
Und ich denke: Das geht nicht vorbei. | |
23 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Hanna Maier | |
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