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# taz.de -- Öffentlicher Umgang mit Anschlägen: Vergebliche Sinnsuche
> War der Münchener Attentäter rechtsextrem? Die Vorsicht der Medien, diese
> Tat einzuordnen, würde auch in anderen Fällen guttun.
Bild: Pourquoi – Warum? Die Frage ist kaum jemals zu beantworten
Iraner, Afghane, Syrer. Rechtsextremer, psychisch Kranker, Islamist. Kaum
ist der Knall der Explosion verhallt, kaum die Waffe aus der Hand des toten
Mörders genommen, schon beginnen Spekulationen über Motive, flankiert von
durchsickernden Zwischenergebnissen der Ermittlungen. Ein Handyvideo, die
Surfhistorie auf dem Computer des Täters, die letzten Telefonate. Ein
Amokläufer, ein Terrorist – schon lange vor der letzten Klärung hat der
Mörder einen Titel, egal ob selbst verliehen oder medial vermittelt.
Doch der Münchener Attentäter wurde anders behandelt. Zu abweichend vom
gängigen Bild – sowohl des islamistischen Terroristen, als auch des aus
Winnenden und Erfurt bekannten jugendlichen Amokläufers – war der junge
Mann. Seine Opfer waren vornehmlich Jugendliche mit familiären Wurzeln
außerhalb Deutschlands (so wie er selbst). Der [1][Spiegel machte einen
Chatpartner ausfindig], der den Deutschiraner als Rechtsextremen mit
positivem Bezug zur AfD beschreibt, [2][die FAZ will Belege für die
rechtsradikale Einstellung des Täters] haben.
Prompt wollen einzelne Stimmen Rechtsterrorismus vom Schlage des
Utøya-Massakers erkennen, doch lange hielten sich Medien, Polizei und
Politik mit entsprechenden Spekulationen auffällig zurück. Wäre eine
ähnliche Indiziendichte von einem eindeutig muslimischen Attentäter
bekannt, wäre die Zuschreibung wohl schneller in der Welt gewesen, aber das
nur nebenbei.
Letztlich wird sich auch für den Münchener Täter eine eindeutige Schublade
finden. Dass diese Einordnung mit Verzögerung passiert, muss nicht schlecht
sein. Vielmehr könnte die (zumindest anfängliche) Zurückhaltung nach den
Morden von München beispielhaft für einen anderen Umgang mit ähnlichen
Bluttaten sein. Denn die Mutmaßung, ob jemand Islamist oder Rechtsextremer
oder ein frustrierter, gemobbter Jugendlicher ist, macht die Taten eben
gerade nicht verständlich und ist somit vielleicht nicht die erste
Information, die zur Verarbeitung nötig ist; von der nicht zuletzt durch
voreilige Zuschreibung verursachten und bisweilen auch gewollten
Stigmatisierung von Personengruppen und der korrespondierenden Panikmache
einmal abgesehen.
## Immer ohne Sinn
So selten, wie offene und brutale Gewalt in einem Land auftritt, das seit
über 70 Jahren keinen Krieg mehr gesehen hat, so unverständlich, im
Wortsinne unfassbar, ist sie. Der Versuch, einen Grund, ein Motiv für das
Verbrechen zu finden, ist verständlich und unvermeidlich, nur leider kaum
zielführend. Der Versuch, wenn er denn ehrlich gemeint und nicht dem
Selbstbestätigungsdrang eigener Ideologeme dient, muss an der Tatsache
scheitern, dass der gewaltsame Tod eines Menschen, dieser ultimative
Zivilisationsbruch, selbst mit kriminalistisch erhärtetem Motiv sich einem
wirklichen Verständnis nicht erschließen kann. Jeder tote Mensch ist seines
Sinnes beraubt – wie auch jeder Mörder.
Dass wir nun den Attentätern und Amokläufern unbedingt und vor allem
schnell eine Geschichte geben wollen, ermöglicht ihnen und denen, die in
beängstigender Folge nach ihnen kommen, einen katastrophalen kognitiven
Vorsprung. Statt einen Sinn im Leben zu suchen, finden sie ihn im Tod – dem
eigenen und dem anderer Menschen. Und wir helfen ihnen dabei.
Aus diesem Dilemma zu entkommen, ist praktisch unmöglich. Wir werden aber
lernen und aushalten müssen, dass das -Warum?- nicht nur am Anfang der
Ermittlungen zu diesen Verbrechen steht, sondern auch an ihrem Ende. Im
Bewusstsein dessen finden wir als Gesellschaft im Umgang mit dem Verbrechen
vielleicht zu einer Gelassenheit, die den Schock und die Angst
selbstverständlich nicht einfach ausblenden darf, die Bluttaten aber
nüchtern aufklärt, dabei die Komplexität der Ursachen individueller
Brutalisierung im Blick behält und nicht vergisst, auch das
gesellschaftliche Umfeld, in dem solche Täterbiografien möglich sind, einer
geduldigen und umfassenden Prüfung zu unterziehen.
27 Jul 2016
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/muenchner-amoklaeufer-david-s-er-nann…
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/f-a-z-exklusiv-amoklaeufer-von-mu…
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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