# taz.de -- Trauer um Opfer von München: Es kann eben nicht jeden treffen | |
> Bei den Gedenkfeiern für die Opfer des Münchner Attentats sagte nur | |
> Oberbürgermeister Reiter, worum es wirklich ging: um rassistische Gewalt. | |
Bild: Die Trauernden kamen in der Frauenkirche zusammen – unten ihnen Dieter … | |
Nach den Gewalttaten von Würzburg und Ansbach – und spätestens nach München | |
– denken viele: Jetzt ist der Terror auch bei uns. Das stimmt aber nicht | |
ganz. | |
Wir müssen versuchen, den Hass differenziert zu beschreiben. Ist es Hass | |
mit ideologischer Beihilfe des IS? Ist es Hass aus Frust, Hass wegen | |
Krankheit oder Hass in der Tradition rechter Mörder? Abhängig davon dürfen | |
wir es Amok nennen, ein Familiendrama oder eben Terror. | |
In den meisten Fällen jedoch fällt das Differenzieren schwer, weil wir zu | |
wenig wissen oder wissen wollen. Das Attentat im Olympia-Einkaufszentrum | |
nennen wir Amoklauf. Das Gefühl einer neuen Bedrohung „nach München“ | |
bleibt, und es verfestigt sich zu einer Art gefühlten Wahrheit. Es kann | |
jeden treffen. | |
Am Sonntag kamen die Trauernden von München in der Frauenkirche zusammen. | |
Es gab einen ökumenischen Gottesdienst, später Trauerreden im Bayerischen | |
Landtag. Im Zentrum stand das Entsetzen angesichts der Unmenschlichkeit der | |
begangenen Tat. So sagte zum Beispiel Kardinal Reinhard Marx, dass nun das | |
Menschsein betont werden müsse, nicht das Trennende. | |
## Ein rassistisches Verbrechen | |
Doch so sehr wir es uns wünschen: Wir sind nicht gleich im Angesicht des | |
Hasses. Das Attentat von München war ein rassistisches Verbrechen. Der | |
Täter verehrte Hitler und wartete den fünften Jahrestag der Morde von Utøya | |
ab. Acht von neun Opfern waren Menschen nicht bio-deutscher Herkunft. | |
Der einzige Redner, der genau das am Sonntag betonte, war der Münchner | |
Oberbürgermeister Dieter Reiter: „Die grausame Tat, der fast ausschließlich | |
Menschen mit Migrationshintergrund zum Opfer fielen, [war] ein Anschlag auf | |
das bunte, das vielfältige und tolerante München.“ | |
Diese Unterscheidung ist von großer Bedeutung. Die rassistische Gewalt ist | |
schon lange da. Nach München, das bedeutet auch nach Hoyerswerda und nach | |
dem NSU. Der Rassismus, der montags auf Transparenten vor sich hergetragen | |
wird, ist auch für Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, immer | |
sichtbarer. | |
Wer die soziale Isolation des Täters besonders betont (wie Gauck) oder die | |
Sicherheit des Freistaats (wie Seehofer), der verschleiert die | |
rassistischen Motive des Täters. Der verharmlost die feindseligen Blicke | |
und die Gewalt, die Deutsche tagtäglich erleben. Deutsche, die sich | |
aufgrund ihres Namens oder ihres Aussehens für ihr Deutschsein | |
rechtfertigen müssen. | |
## Wie Stoltenberg | |
Reiter sagte: „Trotz der schrecklichen Taten und trotz der beunruhigenden | |
Terrorgefahr dürfen wir uns unsere freiheitliche, offene und tolerante Art | |
zu leben nicht nehmen lassen“. | |
Diese Worte ähneln nicht zufällig der viel zitierten Rede des norwegischen | |
Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg, die er 2011 nach dem Attentat von | |
Utøya gehalten hat. Reiter schafft es, empathisch zu sein – nicht mit uns | |
allen, sondern mit all jenen, die der Gewalt zum Opfer fielen – und sich zu | |
solidarisieren mit denen, die vom wachsenden Hass betroffen sind. | |
Genau diese Chance hat Joachim Gauck verpasst. Mit Ende seiner Amtszeit | |
hätte er noch mal ein Zeichen setzen können, indem er eine Rede hält, die | |
über seine Präsidentschaft hinausragt. | |
Stattdessen hielt Gauck eine pastorale Ansprache, wie man sie schon von ihm | |
kennt, in der nicht nur wir alle, sondern auch seine Worten selbst wie | |
gleiche unter gleichen sind. | |
1 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Amna Franzke | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Joachim Gauck | |
München | |
Terrorismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Amoklauf | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Terror | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
München | |
Amoklauf | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ermittlungen gegen Amokläufer David S.: „Türken auslöschen.docx“ | |
Er malte Hakenkreuze und sprach von „ausländischen Untermenschen“. Trieben | |
den Amokläufer von München tatsächlich nur persönliche Motive? | |
Trauertourismus in München: Hinsehen, fotografieren, wegsehen | |
Der Amoklauf von München wurde weltweit im TV übertragen. Nun ist das OEZ | |
zu einem Wallfahrtsort für Touristen geworden. | |
Besuch im Münchner Hofbräuhaus: Durst ist schlimmer als Heimweh | |
365 Tage im Jahr hat es geöffnet. Auch nach dem Münchner Anschlag im Juli | |
kommen Touristen – und die Stammgäste sowieso. Ein Sittenbild. | |
Klaus Theweleit über mordende Männer: „Körperliche Lust nur durch Gewalt“ | |
Nizza, Würzburg, München, Ansbach: Immer haben junge Männer gemordet. | |
Warum? Die Täter eint eine Grundstörung, sagt Kulturtheoretiker Klaus | |
Theweleit. | |
Angela Merkels Reaktion auf die Attacken: Keep calm und macht mal weiter | |
Die Kanzlerin gibt sich nach den Anschlägen betont nüchtern und | |
unaufgeregt. Welche Strategie steckt dahinter? | |
Kommentar Ermittlungen in München: Das Problem, nach rechts zu schauen | |
Die Ermittler zur Münchener Mordtat legten sich früh auf eine Amoktat fest | |
– zu früh. Die Möglichkeit rechtsradikalen Terrors wurde ausgeblendet. | |
Kommentar Bayerische Polizeiaufrüstung: Herrmanns Ablenkungsmanöver | |
Die Polizei hat beim Einsatz in München schwere Fehler begangen. Statt | |
diese aufzuarbeiten, sollen neue Waffen her. | |
Öffentlicher Umgang mit Anschlägen: Vergebliche Sinnsuche | |
War der Münchener Attentäter rechtsextrem? Die Vorsicht der Medien, diese | |
Tat einzuordnen, würde auch in anderen Fällen guttun. |