# taz.de -- Anschlag in Ansbach: Die Tage nach dem Knall | |
> Es war das erste islamistische Selbstmordattentat in Deutschland. Nun | |
> sucht man in Ansbach Antworten – dabei gibt es nur Fragen. | |
Bild: Die Geflüchteten in Ansbach wollen klarstellen, dass sie mit dem Täter … | |
Das mit dem Terror tut ihm leid, sagt er. Die Blicke aber, die tun weh. Ob | |
ihm denn niemand glaubt, dass er auch Angst hat? Die Leute, sie denken | |
bestimmt, ein Rucksack, getragen von so einem Mann, das bedeutet Gefahr. | |
Das glaubt Malak Othman seit einigen Tagen in den Gesichtern der Deutschen | |
zu lesen. Also hält er ein Schild hoch. | |
Acht Männer, zwei Frauen, aus Irak, Syrien, Iran, sind an jenen Ort in | |
Ansbach gekommen, wo vor einigen Tagen ein Mann während eines | |
Musikfestivals eine Bombe gezündet hat. „Meine Religion ist Liebe“, haben | |
sie auf ein Schild geschrieben. „Wir sind Muslime, keine Terroristen“, auf | |
ein anderes. Neben ihnen stehen zwei Polizisten und schreiben mit. Für das | |
Einsatzprotokoll. Die Journalisten fragen: Warum seid ihr hier? „Es tut uns | |
leid, was passiert ist“, sagt Malak Othman. | |
Als sich die Stadt nach Tagen des Stillstands wieder regt, sind es die | |
Fremden, die den ersten Schritt machen. Diese Männer und Frauen sind | |
Geflüchtete, solche, die das Glück hatten, schon in einem Sprachkurs unter | |
zu kommen. Dort haben sie über ihre Angst gesprochen, die sie spüren, seit | |
die Bombe in ihrem Ort explodiert ist. „Was sollen wir tun?“, haben sie | |
ihre Lehrerin gefragt. Irgendetwas, hatte die geantwortet. Deshalb stehen | |
sie hier, wenige Schritte neben den Kreideumrissen des verstorbenen | |
Attentäters. Es ist Tag zwei nach dem großen Knall. | |
Ansbach, eine Kleinstadt in Mittelfranken, 41.000 Einwohner, eine | |
Markgrafenresidenz mit verwinkelten Gassen. In Ansbach drängen dieser Tage | |
Fragen, über die sich Politiker, Stammtische und Internetforen in ganz | |
Deutschland entzweien: Müssen wir Angst vor Terror haben? Und was, wenn er | |
eintritt? | |
## Die Bombe im Rucksack | |
Es ist ein warmer Sommerabend, als der Terror in Ansbach eintrifft. 2.000 | |
Menschen, ein Musikfestival im alten Gemäuer des Stadtschlosses und der | |
Mann der keine Eintrittskarte hat, aber eine Bombe aus Metallteilen und | |
Kieselsteinen im Rucksack. Der Einlass wird ihm verwehrt. Dann explodiert | |
der Rucksack. Der Mann stirbt, 15 Umstehende werden verletzt. Deutschland | |
erlebt sein erstes islamistisches Selbstmordattentat. | |
Nina Müller hat den Terror verschlafen. Sie hatte im Fernsehen zugehört, | |
wie Politiker über den Amoklauf in München diskutieren. Was für ein Glück, | |
hatte sie gedacht, ehe sie sich schlafen legte, dass so etwas hier nicht | |
passieren wird. Sie wacht auf, als die Hubschrauber über der Stadt kreisen. | |
Tag 1. Eine Geflüchtete schreibt auf WhatsApp: „Geht es Ihnen gut?“ Müller | |
antwortet: „Uns geht es gut. Es war ein Anschlag. Bombe. Terror.“ | |
Geflüchtete: „Wer hat das getan? Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie | |
Sicherheit.“ Müller: „27-Jähriger Syrer, seit zwei Jahren in Ansbach. Tä… | |
ist tot.“ Geflüchtete: „Das ist bedauerlich.“ | |
Dieser Chat ist ein Beispiel von vielen. Nina Müller ist eine von | |
zahlreichen Ehrenamtlichen, die in Ansbach Geflüchtete betreut. 30 Leute | |
intensiver, sagt sie, noch viel mehr in unregelmäßigen Abständen. Sie sucht | |
Wohnungen, Möbel, liest Briefe von Ämtern für sie, macht Ausflüge mit den | |
Kindern, übt deutsche Grammatik, manchmal an jedem Tag der Woche. Heute | |
versucht sie, Geflüchteten zu erklären, dass nun auch in Deutschland | |
passiert ist, wovor sie geflohen waren. | |
## Besorgnis unter den Geflüchteten | |
Der Attentäter lebte unter ihnen, in einer Flüchtlingsunterkunft. Der IS | |
reklamiert die Tat für sich, Ermittler finden das Material für die Bombe in | |
seinem Zimmer. Die Geflüchteten hören Gerüchte. Weder die Stadt noch die | |
Träger hätten sie umfassend über das Attentat und seine Folgen informiert, | |
sagen sie. | |
Ein Mitglied aus dem Ansbacher Stadtrat rät Helfern wie Nina Müller, | |
vorerst nicht öffentlich über ihr Ehrenamt zu reden. Eine Unbekannte | |
schreit sie im Supermarkt an: „Wegen Gutmenschen wie euch ist das | |
passiert!“ Deshalb möchte Nina Müller nicht, dass ihr echter Name in der | |
Zeitung steht. | |
Anfangs hatte es Widerstand in Ansbach gegeben, damals, als Geflüchtete in | |
großer Zahl in die Stadt zogen. Doch letztlich haben sich die Kritiker | |
gefügt, die Bemühungen der Stadt gelten als vorbildlich. Einmal kam der | |
Landesjustizminister Winfried Bausback persönlich nach Ansbach, um ein | |
Pilotprojekt zu eröffnen: ein Seminar in Rechtskunde für Geflüchtete. In | |
Ansbach gibt es nicht einmal einen AfD-Ortsverband. | |
Ansbach ist auch die Stadt mit dem unbekanntesten Amoklauf Deutschlands: | |
2008 stürmte ein Attentäter ein Gymnasium und verletzte Schüler seiner | |
Jahrgangsstufe. Niemand starb, der Täter sitzt im Gefängnis. | |
## Trillerpfeifen und Tröten | |
Vor dem Rathaus wehen schwarze Bänder an den bunten Flaggen. Internationale | |
Kamerateams filmen, was die Polizei ihnen überlassen hat: Glassplitter, | |
zurückgelassene Spielkarten, die mit Kreide gezeichneten Umrisse des | |
Attentäters sind noch zu sehen. Was fehlt sind Kerzen, Blumen, | |
Absperrungen, Polizeiwachen – Symbole des Innehaltens. „Ist ja nur der | |
Attentäter selbst gestorben“, sagt ein Passant und: „So viel Herz haben die | |
Ansbacher dann doch nicht.“ | |
Am Abend nach dem Attentat postieren sich ein paar Dutzend Demonstranten | |
vor dem Schloss. „Asylflut stoppen“, steht auf ihren Schildern. Es sind | |
Anhänger der Partei „Der dritte Weg“, Rechtsextremisten. Sie sind dafür | |
angereist. Die Gegendemonstranten sind aus Ansbach, etwa doppelt so viele. | |
Jedes Mal, wenn eine Demonstrantin ansetzt, etwas in ihr Megafon zu | |
rufen, übertönen die Ansbacher sie mit Trillerpfeifen und Tröten. Die Nazis | |
verlassen die Stadt, als die Sonne untergeht. | |
Nina Müller ist nicht gekommen, um gegen sie zu demonstrieren. Seit Sonntag | |
hat sie Angst. | |
Tag 2. Die Geschäfte in der Innenstadt und die Cafés sind gut gefüllt. | |
Eiskaffee und Sekt. Wohin geht’s in den Urlaub? Welche Kita ist gut für das | |
Kind? | |
Nina Müller hat für ein Treffen ein Café abseits des Zentrums ausgesucht. | |
Sie spricht leiser, sobald jemand am Tisch vorbeikommt. Sie fühlt sich | |
schlecht informiert. Weder von der Stadt noch von den Verbänden, die die | |
Unterkünfte betreiben, hat sie eine Nachricht bekommen, wie sie sich nun | |
verhalten soll. Nur: Die Ehrenamtlichen müssten sich nun anmelden, bevor | |
sie in eine Unterkunft dürfen, sagt sie. | |
Nina Müller hat Fragen: Wer kümmert sich um die Geflüchteten? Gibt es | |
andere, die sich unbemerkt radikalisiert haben? Hätten die Ehrenamtlichen | |
Anzeichen dafür sehen können? | |
## Wie damit umgehen? | |
Oberbürgermeisterin Carda Seidel ist eine unabhängige Politikern. Sie trägt | |
ein graues Spitzenkleid und die braunen Locken offen. Sie gibt Interviews | |
im Akkord; für dieses setzt sie sich an einen langen Holztisch in ihrem | |
Büro, schenkt sich Wasser in ein Glas ein, um gegen ihre raue Stimme | |
anzutrinken. Sie bietet keines an. Ihre Augen sind müde. „Der Anschlag hat | |
eine ganz empfindlichen Stelle getroffen“, sagt sie, „unsere | |
Sorglosigkeit.“ | |
Der Attentäter, so viel ist nun bekannt, war psychisch krank. Zweimal hatte | |
er versucht, sich umzubringen. Seine psychiatrische Behandlung, so lautet | |
der bisherige Ermittlungsstand, hat er erst vor wenigen Wochen wieder | |
aufgenommen. Unmittelbar vor seinem Tod stand er offenbar in Kontakt zu | |
einer bislang unbekannten Person im Nahen Osten. | |
Nur: Wie soll eine Gesellschaft innehalten, wenn das einzige Todesopfer der | |
Attentäter selbst ist? Es gibt kein Krisenprotokoll. Die ersten Schritte: | |
die Lage klären, Bevölkerung evakuieren, Verletzte versorgen, galten nur | |
für die erste Nacht. Und dann? | |
Die Geflüchteten, sagt Oberbürgermeisterin Seidel, seien von den | |
Sicherheitskräften informiert worden, aber waren nicht der erste Fokus. Und | |
die Ehrenamtlichen? Mit denen würde man sich demnächst zusammensetzen. | |
Frau Seidel, bekommen Sie Unterstützung von der Bundesregierung? Von der | |
Landesregierung? „Als im vergangenen Jahr die Flüchtlinge hier ankamen, hat | |
uns auch niemand unterstützt. Jetzt hat man mir gesagt, dass man Polizisten | |
schicken könnte, wenn wir wollen.“ | |
## „Auch wir haben Kinder“ | |
Was muss sich ändern? Die soziale Kontrolle unter den Flüchtlingen müsse | |
verstärkt werden, sagt Bürgermeisterin Seidel. Geflüchtete lebten zusammen, | |
sollten einander beobachten, spüren, wenn sich jemand radikalisiert. Das | |
ist ihre Antwort auf den Terrorakt. | |
Tag 3. In Frankreich ist ein Pfarrer in seiner Kirche ermordet worden, in | |
Berlin tötet ein Mann seinen Arzt. „Pfefferspray, neu eingetroffen“, steht | |
an einem Tabakgeschäft in der Ansbacher Innenstadt angeschrieben. | |
Die Geflüchteten, die tags zuvor mit Schildern zu den Journalisten zogen, | |
haben wieder Unterricht. Eine andere Gruppe steht draußen im Flur. Sie | |
hatten gehört, dass eine Journalistin zu Besuch ist und Schilder gemalt. | |
„Es tut mir leid“, steht da. Und: „Ich bin traurig“. | |
In ihrem alten Leben waren diese Menschen Lehrer, Ingenieure, Lkw-Fahrer | |
und Studenten. In Ansbach, glauben sie, seien sie nun nur die, die aussehen | |
wie der Attentäter. „Auch wir haben Kinder und fragen uns, ob Zugfahren | |
sicher ist“, sagt einer von ihnen. Ein Schüler erzählt, dass er zwei Tage | |
nicht zum Unterricht gegangen ist, weil er sich nicht auf die Straße traut. | |
Schon gar nicht mit einem Rucksack. | |
28 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Christina Schmidt | |
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