# taz.de -- Verkehrswende im Automobilbereich: „Brauche ich ein eigenes Auto?… | |
> Christian Hochfeld über das Ende des Verbrennungmotors, Mobilitätspässe, | |
> Carsharing und warum sich deutsche Automobilhersteller mit all dem immer | |
> noch schwertun. | |
Bild: Derzeit steht ein Pkw im Schnitt 23 Stunden am Tag rum | |
taz: Herr Hochfeld, ist der Dieselabgasskandal für die Autoindustrie, was | |
Fukushima für die Energiekonzerne war – das Aus für das alte | |
Geschäftsmodell? | |
Christian Hochfeld: Es ist auf jeden Fall der größte anzunehmende Unfall, | |
der GAU, für das Vertrauen in die Unternehmen. Allerdings hat die Politik | |
auf Fukushima sehr schnell reagiert mit dem Atomausstieg und der | |
Energiewende. Eine Verkehrswende sehe ich bisher nicht. Das muss die | |
Regierung ändern. | |
Viele Leute fahren gerne Auto. Ist das schlimm? | |
Wer mit seiner Familie zu Ikea fahren und dort einen Großeinkauf machen | |
möchte, nimmt am besten einen Kombi oder Transporter. Für die Fahrt ins | |
Ferienhäuschen, das mit der Bahn nicht zu erreichen ist, tut es auch schon | |
ein kleineres Auto. Es ist überhaupt kein Problem, das Auto für bestimmte | |
Zwecke zu nutzen. Die Frage ist: Brauche ich ein eigenes Auto? | |
Auf dem Land? | |
Erst einmal geht es um die Zentren, wo sich der Verkehr staut, die Luft | |
schlecht ist. Derzeit steht ein Pkw im Schnitt 23 Stunden am Tag rum. Die | |
Stadt Singapur hat das mal durchrechnen lassen: Machen Sie nur Carsharing, | |
brauchen Sie nur noch etwa ein Drittel aller Autos. Sie gucken dann einfach | |
auf Ihr Smartphone und suchen sich je nach Bedarf ein passendes Auto in der | |
Umgebung. Die Lebensqualität nimmt zu. Die Städte gewinnen wertvollen Platz | |
für andere Nutzungen zurück. | |
Das ist dann die von Ihnen geforderte Verkehrswende? | |
Elektroautos von Tesla, Roboterautos von Google, vielleicht iCars von Apple | |
– da drängen derzeit neue Unternehmen auf den Markt. Ohne digitale, | |
intelligente Technik wird nichts mehr gehen. Aber es reicht nicht, nur den | |
Antrieb der Autos zu wechseln. Am Ende haben Sie eine Art Mobilitätspass, | |
der es Ihnen erlaubt, hauptsächlich Bus und Bahn zu fahren und mal das Rad, | |
das Taxi oder das Auto zu mieten. Erst in so einem Verkehrssystem können | |
die neuen Technologien ihre Vorteile dann tatsächlich voll entfalten. | |
VW-Chef Mathias Müller beschäftigt sich die Hälfte seiner Arbeitszeit mit | |
der Mobilität der Zukunft, Dieter Zetsche will Daimler „radikal zu einem | |
anderen Unternehmen entwickeln“. Ist die deutsche Branche für die neue | |
Konkurrenz gerüstet? | |
Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass wir in Zukunft nicht mehr nur | |
Fahrzeuge der heute großen Marken fahren. Die müssen sich umstellen. Doch | |
argumentieren sie noch viel zu oft, dass nur mit dem alten Geschäftsmodell | |
so viel Geld zu verdienen sei, um ein Teil davon dann in die Forschung | |
stecken zu können. | |
Was ist daran falsch? | |
In China zum Beispiel überführen die Automobilkonzerne das Geschäft mit den | |
Elektroautos in mehr oder minder unabhängige Gesellschaften. So hat die | |
Beijing Automotive Industry Corporation, kurz BAIC, mittlerweile eine | |
eigene Tochter, die Beijing NEV, die Elektrofahrzeuge herstellt. Die kann | |
sich ähnlich wie der US-Elektroautohersteller Tesla oder die südchinesische | |
Firma Build Your Dream, BYD, leichter Geld vom Kapitalmarkt holen und damit | |
forschen. Die Investoren wollen sicher sein, dass ihr Geld allein in die | |
neuen Technologien geht. Das ist bei Konzernen, die auch noch | |
Verbrennungsmotoren entwickeln, nicht gegeben. | |
Daimler und Co bekommen ein Geldproblem? | |
Das nicht. Aber sie müssen schneller umsteuern. Institutionen wie der | |
saudische Staatsfonds investieren 3,5 Milliarden Dollar in den | |
US-Fahrtenvermittler Uber. Das kennen wir aus der Energiebranche. Da | |
testeten Investoren vor rund zehn Jahren auch zunächst mit Spielgeld die | |
Erneuerbaren. Heute ziehen sie bewusst Geld aus alten Energieformen ab. | |
Wieso tun sich die deutschen Konzerne so schwer? | |
Daimler plant zwar, eine neue Untermarke für Elektromobilität zu gründen. | |
Volkswagen erwägt eine eigene Batterieproduktion. Und BMW hat schon ein | |
eigenes Kompetenzzentrum zum Stadtverkehr. In diesen Konzernen hat es aber | |
grundsätzlich noch schwer, wer an das Neue glaubt. Das Gros der Kollegen | |
hat schließlich über Jahrzehnte für den Verbrennungsmotor gearbeitet, davon | |
löst man sich nicht hopplahopp. Allerdings habe ich das Gefühl, da ändert | |
sich gerade etwas. | |
Die Bundesregierung traut den Autokonzernen die Wende aber nicht zu. Warum | |
sonst die Prämie für E-Autos? | |
Eine Regierung, die E-Autos auf die Straße bringen will, muss etwas tun. | |
Die Stadt Peking mit 20 Millionen Einwohnern, also einem Viertel der | |
Bundesrepublik, hat zum Beispiel … | |
… die Verkehrs- und Umweltprobleme sind dort viel extremer als hier … | |
… sicher, da passiert alles im Zeitraffer. Aber sie begrenzt die | |
Neuzulassungen auf 150.000 Autos im Jahr. Diese werden über eine Lotterie | |
verlost, bei der es zwei Töpfe gibt. Einen für E-Autos und einen für | |
Verbrennungsmotoren. Anfangs war die Aufteilung 20.000 E-Autos und 130.000 | |
Benziner. 2017 geht es schon um 60.000 E-Autos und nur noch 90.000 | |
Verbrenner. Jedes Jahr ändert sich das; denkt man den Rhythmus bis 2020 | |
weiter, würden dann quasi nur noch E-Autos zugelassen. | |
Dann fahren nur noch Reiche? | |
Auch in China sind E-Fahrzeuge trotz aller Subventionen noch teurer als | |
Verbrenner, aber es sind dort weniger Premiumfahrzeuge, sondern Kleinwagen | |
für die Mittelklasse. | |
In Deutschland ist eine solche Regelung undenkbar. | |
In Peking gibt es derzeit jeden Tag für 20 Prozent aller Autos Fahrverbote. | |
Montags müssen die stehen bleiben, deren Kennzeichen mit der Ziffer 1 oder | |
6 endet, dienstags die mit 2 oder 8 und so weiter. Das ist sehr | |
willkürlich. Und wird hier auch so nicht kommen. Aber es ist eine Illusion, | |
zu glauben, dass das Verkehrssystem sich bei uns nicht auch grundlegend | |
ändern wird. | |
Sicher? | |
Deutschland hat zusammen mit 195 Staaten dieser Welt das Pariser | |
Klimaschutzabkommen beschlossen. Das bedeutet für uns, bis 2050 | |
weitestgehend treibhausgasneutral zu wirtschaften. Die Investoren nehmen | |
das bereits ernst. Sie haben verstanden: Der Strukturwandel kommt – so oder | |
so. Je früher wir uns auf ihn einstellen, ihn auch gemeinsam mit den | |
Gewerkschaften in den Unternehmen vorbereiten, umso besser wird das | |
ablaufen. | |
Was, wenn ich vielleicht gerade die Ausbildung bei VW abgeschlossen habe? | |
Die größten Veränderungen wird es bei den Motoren und Getrieben geben, weil | |
der E-Motor nicht viel gemeinsam hat mit dem alten Verbrenner. Kümmert sich | |
die Politik frühzeitig, können diese Kollegen über Fortbildungsprogramme | |
andere Arbeit finden. Die allermeisten haben ja eine hervorragende | |
Grundausbildung. Und wo es gar nicht anders geht, werden | |
arbeitsmarktpolitische Instrumente gebraucht. Es hilft nicht, die Zukunft | |
zu ignorieren. Sonst werden die Auswirkungen für Arbeitnehmer später | |
problematischer sein. | |
Würden Sie noch irgendwem zum Kauf eines Diesels raten? | |
Das kommt darauf an, wo und wie lange Sie das Fahrzeug noch fahren wollen | |
und ob Sie erwarten, dass es dann in fünf Jahren noch viel wert ist. Ich | |
würde Ihnen jedenfalls nicht versprechen, dass Sie in den kommenden Jahren | |
in den Innenstädten mit einem Diesel uneingeschränkt werden fahren können. | |
Was erwarten Sie von der Bundesregierung? | |
Daimler hat erst kürzlich bekannt gegeben, dass das Management noch mal | |
drei Milliarden Euro in die Entwicklung eines neuen Dieselmotors | |
investiert, der peu à peu bis 2020 auf den Markt kommt. Normalerweise | |
rentiert sich eine solche Investition erst mehr als zehn Jahre später. Die | |
Politik muss den Unternehmen jetzt die richtigen Signale zum Umsteuern | |
geben, damit sich ihre Investitionen auch lohnen, statt den nötigen Wandel | |
zu bremsen. | |
Was wäre das richtige Signal? | |
Für die Energiewende hatten wir einen Regierungsbeschluss. Für die | |
Verkehrswende haben wir diesen gesellschaftlichen Konsens, der sich in | |
einem politischen Ziel widerspiegelt, explizit noch nicht. Er muss aber im | |
nächsten Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2017 stehen. | |
27 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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