# taz.de -- Paul Mason über das EU-Referendum: „Nur ein linker Brexit macht … | |
> Großbritannien sollte die EU verlassen – aber nur im Fall einer | |
> Labour-Regierung, meint der Kapitalismuskritiker Paul Mason. Unter den | |
> Tories droht der soziale Kahlschlag. | |
Bild: Der EU-Ausstieg ist nicht nur in Großbritannien ein heiß diskutiertes T… | |
taz: Herr Mason, am Donnerstag stimmt Großbritannien über den Brexit ab. | |
Sie sind prinzipiell dafür, aber nicht jetzt. Warum? | |
Paul Mason: Auf lange Sicht ist es eine gute Idee für Großbritannien, die | |
EU zu verlassen. Wir müssen unsere Stahlindustrie retten. Die EU will das | |
nicht. Außerdem sind wir von Europas unablässiger Forderung, den | |
Arbeitsmarkt zu flexibilisieren, betroffen. Eine linke Labour-Regierung | |
würde deshalb mit der EU-Kommission kollidieren. Dann käme der Moment, in | |
dem ein Brexit nötig werden könnte. | |
Im Guardian haben Sie geschrieben: „Bitte lasst uns in der EU bleiben, weil | |
wir sonst Neoliberalen wie Boris Johnson ausgeliefert sind.“ | |
Es ist ein Unterschied, ob wir aus der EU austreten, wenn wir eine linke | |
Regierung haben, oder ob wir es jetzt tun. Boris Johnson steht bereit, die | |
Tories zu übernehmen – also der Mann, der als Exbürgermeister weite Teile | |
von London privaten Investoren überlassen und die staatliche Kontrolle über | |
die Bildungseinrichtungen zerstört hat. Nach dem Brexit wären unsere Rechte | |
als EU-Bürger weg, und die Tories könnten die Zeit bis zur nächsten | |
Unterhauswahl nutzen, um unsere Staatsbürgerrechte zu beschneiden. | |
Dennoch: Mit einem Brexit unter der Federführung von Labour-Chef Jeremy | |
Corbyn würden Sie eine nationale Lösung als Antwort auf die Globalisierung | |
wählen. | |
Wenn wir es nicht schaffen, die Globalisierung zu retten, indem wir den | |
Neoliberalismus untergraben, dann gibt es nur ein Element, das Macht über | |
multilaterale Organisationen hat: der Nationalstaat und darunter die | |
Kommunen. Wir sollen das globalisierte System als vorderste Front unserer | |
Demokratie verteidigen. Aber wenn diese Front überrannt wird, etwa wenn | |
China seine Währung entwertet und Stahl zu Dumpingpreisen nach Europa | |
schickt, dann ziehen wir uns hinter die nationalen Grenzen zurück. Und | |
sagen: Eines Tages werden wir zur Globalisierung zurückkehren. Aber jetzt | |
müssen wir verhindern, dass durch Massenimport billigen Stahls Zehntausende | |
arbeitslos werden und sich dem rechten Spektrum anschließen. | |
Warum ist die Stahlindustrie ein so großer Streitpunkt in der | |
Brexit-Debatte? | |
In Großbritannien sind rund 40.000 Menschen in der Stahlindustrie | |
beschäftigt. In einigen Städten ist sie der einzige Arbeitgeber. Diese Orte | |
sind nicht wohlhabend, aber es geht ihnen besser als den meisten Städten. | |
Die rechtspopulistische UKIP hat bereits große Gewinne in den früheren | |
Industriezentren in Wales erzielt. Ich will nicht, dass diese Partei das | |
frühere Kernland der Arbeiterklasse kontrolliert. | |
Corbyn ist so weit links, dass er kaum Chancen hat, britischer Premier zu | |
werden. Da ist die Frage eines linken Brexit doch eine rein theoretische. | |
Corbyn wird es in der Tat schwer haben, die Wahlen zu gewinnen. Aber nicht, | |
weil er zu links ist, sondern wegen Schottland. Im vorigen Jahr sind | |
188.000 Menschen in England und Wales Labour beigetreten und haben damit | |
die Größe der Partei verdoppelt. In Schottland sind 60.000 bis 70.000 | |
Menschen der Scottish National Party (SNP) beigetreten, von denen fast | |
alle früher Labour unterstützt haben. Logisch wäre es, wenn sie sich | |
zusammenschlössen. | |
Aber das Problem ist: Rechte Nationalisten in England mögen die | |
schottischen Nationalisten nicht. Und daraus ergibt sich eine | |
No-Win-Situation für Corbyn. Je mehr er dafür wirbt, dass eine | |
fortschrittliche Regierung mit Labour und SNP möglich ist, desto mehr | |
werden sich manche Leute in England abwenden. Trotzdem ist ein Labour-Sieg | |
in England und Wales möglich. | |
Sie sind ein notorischer Optimist. Dabei wird ein Hoffnungsträger der | |
Linken links der Sozialdemokratie nach dem anderen klein gemacht. Syriza | |
hat vor einem Jahr eine Art Kapitulationserklärung unterschrieben. Waren | |
die Griechen nicht auf die Auseinandersetzung vorbereitet? | |
Ihr Fehler war zu glauben, was ihnen Hollande und Renzi gesagt haben: „Ein | |
guter Euro ist möglich.“ Niemals würde man sie aus der EU rauswerfen, es | |
würde einen erträglichen Kompromiss geben. Dass die Eurozone Deutschland | |
und den nordeuropäischen Staaten dazu dient, die Politik mit dem Euro zu | |
steuern, hat Syriza unterschätzt. | |
Sind Sie für den Grexit? | |
Wenn Griechenland könnte, sollte es die Eurozone verlassen. Aber | |
Griechenland liegt am äußersten Rand der EU, nur zwei Grenzkontrollen vom | |
„Islamischen Staat“ entfernt und neben einer Türkei, die nicht mehr nach | |
unseren Regeln spielen will. Wir müssen uns bei Griechenland um mehr sorgen | |
als nur um den Euro. Deshalb war es richtig von Syriza, an der Regierung zu | |
bleiben. Wenn eine linke Regierung Griechenland an die Rechte zurückgeben | |
würde, wäre das Chaos wohl noch größer als ohnehin schon. | |
Der nächste Konflikt steht in Spanien vor der Tür, falls Podemos die Wahlen | |
gewinnt. | |
Das wird nicht geschehen, weil die PSOE nicht mitspielt. Sie hat nicht | |
verstanden, dass der Neoliberalismus ein sinkendes Schiff ist. Sie wird mit | |
ihm untergehen. Dazu braucht es vielleicht erst eine weitere Wahl. Podemos | |
regiert aber in drei großen Städten. Sozialdemokraten in ganz Europa werden | |
sich das ansehen und sich fragen: Warum haben wir das nicht gemacht? Warum | |
haben wir nicht zu den großen IT-Firmen gesagt, wir besitzen jetzt die | |
Daten? Warum haben wir nicht Airbnb oder Uber rausgeworfen? | |
Nur die deutsche Linke steckt in der Dauerdepression. Warum? | |
Ihr habt 4 Prozent Arbeitslosigkeit, die Griechen haben 25 Prozent und | |
Kinder, die keinen Führerschein machen, weil sie nie ein Auto besitzen | |
werden. Ihr werdet jetzt auch die Schattenseiten erleben, weil nach | |
Deutschland Millionen Flüchtlinge gekommen sind. Und es werden weitere | |
Millionen kommen, wenn in Europa nicht entschieden wird, sie auf die | |
Staaten zu verteilen. Die deutsche Linke und die Mitte wissen nicht, wie | |
sie sich dazu verhalten sollen. | |
In Deutschland existiert eine Form von grünem Linkssein. Das ist sehr | |
liebenswert und attraktiv, solange es keine Krise gibt. Aber für die 10 | |
oder 12 Prozent, die die Alternative für Deutschland wählen, hat diese Form | |
des Linksseins keine Antwort. Die Linke und die Sozialdemokratie sollten | |
sich den Rest von Europa anschauen, um dort Antworten zu finden. | |
20 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
Martin Reeh | |
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