| # taz.de -- Politikwissenschaftler über den Euro: „Wir drehen der Rechten de… | |
| > Eine Initiative von Ökonomen und Politikern fordert den Lexit – einen | |
| > linken Ausstieg aus dem Euro. Professor Andreas Nölke sagt, warum. | |
| Bild: Proteste am 14. Juni in Paris gegen die geplanten Arbeitsgesetze, die Fra… | |
| taz: Herr Nölke, die EU-Kommission will Spanien und Portugal wegen ihrer | |
| Überschreitung der Defizitgrenze bestrafen. Würden Sie den beiden Ländern | |
| raten aus dem Euro auszuscheiden? | |
| Andreas Nölke: Ich finde Ratschläge aus dem Ausland wenig sinnvoll. Aber | |
| wenn ich in den beiden Ländern politische Verantwortung hätte, würde ich | |
| darüber nachdenken, Verhandlungen für ein solidarisches, abgefedertes | |
| Austreten aus dem Euro anzustreben. | |
| Warum? | |
| Im Euro haben sich Länder zusammengeschlossen, die viel zu unterschiedlich | |
| sind. Für Spanien und Portugal ist es im Euro schwierig, gegenüber | |
| Deutschland wettbewerbsfähig zu bleiben. | |
| Was ist das größere Problem – die deutsche Hegemonie in Europa oder | |
| Fehlkonstruktionen im Vertragswerk? | |
| Eindeutig Letzteres. So unterschiedliche Ökonomien in einer einheitlichen | |
| Währungsunion zusammenzuspannen führt zu starken wirtschaftlichen | |
| Ungleichgewichten. Die Politik zur Rettung des Euro, die sehr stark von | |
| Deutschland bestimmt wurde, hat das nur noch schlimmer gemacht. | |
| Die SPD fordert mehr Investitionen im Süden Europas. Weshalb reicht Ihnen | |
| das nicht? | |
| Es gibt nicht nur einen aktuellen Mangel an Investitionen im Süden, sondern | |
| einen fünf bis zehn Jahre andauernden Deindustrialisierungsprozess. Der ist | |
| auch die Folge davon, dass man sich in Deutschland wesentlich stärker bei | |
| den Arbeitskosten zurückgehalten hat als in vielen Staaten des Südens. | |
| Deutschland kann das aufgrund seiner in einzelnen Sektoren einheitlichen | |
| Gewerkschaften. Der Süden kann das in dieser Form nicht. Selbst wenn wir | |
| ein großes Investitionsprogramm hätten, würde es nicht ausreichen, um die | |
| Wettbewerbsprobleme in den Süd-Ökonomien einschließlich Frankreichs und | |
| Italiens zu beheben. | |
| Schürt Sigmar Gabriel Illusionen? | |
| Ich denke schon. Große Teile der deutschen Politik verkennen, wie schwierig | |
| die Situation im Euro für die südeuropäischen Staaten ist. Rein theoretisch | |
| wäre es auch aus meiner Sicht möglich, den Euro zu retten. Aber dann | |
| müssten die Löhne in Deutschland fünf bis zehn Jahre lang weit | |
| überproportional steigen. Wir bräuchten eine Lohnkoordination innerhalb der | |
| Euro-Zone und zusätzlich massive Transfers, um im Süden eine | |
| Reindustrialisierung zu finanzieren. Ich sehe keinerlei politische | |
| Bereitschaft dafür. | |
| Ihr Euro-Ausstieg ist ein Plan B, weil der Plan A – eine stärkere | |
| Wirtschafts- und Sozialunion – unrealistisch ist? | |
| Ja. Bei Plan A würden nicht nur die deutschen Arbeitgeber, sondern auch die | |
| deutschen Gewerkschaften und die deutschen Betriebsräte nicht mitmachen, | |
| weil er zu Arbeitsplatzverlusten in Deutschland führt. | |
| Derzeit wollen nicht einmal Syriza, Podemos oder die Linkspartei den | |
| Ausstieg aus dem Euro. | |
| Ja, weder die portugiesische Linke noch die spanische noch der größte Teil | |
| der griechischen Linken betreibt so etwas. Das hat vor allem | |
| politisch-symbolische Gründe. In diesen Ländern ist die Mitgliedschaft in | |
| der EU positiv besetzt, weil sie zeitgleich mit der Überwindung der | |
| Diktaturen in diesen Staaten verlief. Wenn es einen Ausstieg aus dem Euro | |
| gibt, erwarte ich ihn eher aus Frankreich oder insbesondere Italien. | |
| Sie fordern einen Lexit, also einen linken Ausstieg aus dem Euro. Den wird | |
| es nicht geben. In der Praxis müssen die Linken, die für den Ausstieg sind, | |
| wie beim Brexit ein de-facto-Bündnis mit Rechtspopulisten schließen, die | |
| aus dem Euro aus ganz anderen Gründen heraus wollen. Die Linksliberalen | |
| sind mehrheitlich Pro Euro. Leisten Sie dem Rechtspopulismus Vorschub? | |
| Es ist andersherum. Wenn nicht wir auf der Linken Pläne für einen | |
| solidarischen Ausstieg aus dem Euro entwickeln, werden die Rechtspopulisten | |
| immer stärker werden, weil die Probleme des Euro so offensichtlich sind. | |
| Wir drehen den Rechtspopulisten tendenziell den Saft ab. | |
| Nun heißt es in dem Aufruf auch: „Anders als behauptet ist die EU kein | |
| neutrales Spielfeld.“ Warum ist für Sie nicht nur der Euro, sondern auch | |
| die EU als solche ein Problem? | |
| Viele von uns Unterzeichnern kommen aus einer Tradition der EU-Kritik, die | |
| vor der ganzen Euro-Diskussion begonnen hat. Unser Problem ist die | |
| wirtschaftsliberale Ausrichtung der EU – ein Prozess, der bereits in den | |
| Römischen Verträgen angelegt war, in den letzten Jahrzehnten deutlich | |
| zugenommen hat und nicht nur von den Mitgliedstaaten, sondern auch von der | |
| Kommission und dem Europäischen Gerichtshof betrieben wird. | |
| Weshalb kämpfen Sie nicht einfach für andere Mehrheiten im Europäischen | |
| Parlament? | |
| So einfach ist das nicht. Die positive Integration, also regulatorische | |
| Eingriffe, brauchen in vielen Fällen Einstimmigkeit. Nehmen wir ein | |
| typisches, wichtiges linkes Anliegen wie die Steuerharmonisierung in | |
| Europa, also die Vermeidung von Steuerwettbewerb durch Staaten wie Irland. | |
| Das werden wir innerhalb der jetzigen EU niemals durchsetzen können. Auf | |
| der anderen Seite sind Schritte der negativen Integration, also der | |
| Abschaffung von Wettbewerbshindernissen, viel einfacher, weil die | |
| Kommission im Zusammenspiel mit dem Europäischen Gerichtshof viele dieser | |
| Hindernisse nach und nach aus dem Weg räumen kann. Deswegen hat die | |
| Europäische Union eine Schlagseite, die unabhängig von den politischen | |
| Kräfteverhältnissen in eine wirtschaftsliberale Richtung und daher weg von | |
| linken Vorstellungen weist. | |
| Sie haben kürzlich den Umbau und Rückbau der EU vorgeschlagen. Was muss man | |
| sich darunter vorstellen? | |
| Das europäische Vertragswerk müsste grundlegend modifiziert werden. Es | |
| spricht nichts dagegen, dass Staaten, die sich eine stärkere Integration | |
| wünschen, zu Teilgruppen zusammenschließen und dann etwa eine | |
| Finanztransaktionssteuer oder die Verhinderung des Steuerwettbewerbs | |
| beschließen. Zurückbauen müsste man zunächst die Institutionen, die im Zuge | |
| der Euro-Rettung geschaffen wurden und die autoritäre Eingriffe der | |
| Europäischen Union in die Mitgliedstaaten noch deutlich verstärkt haben. | |
| Den Fiskalpakt etwa, der starre Obergrenzen bei der Verschuldung auch für | |
| Nicht-Euro-Staaten vorsieht. | |
| Das ist etwas anderes als das Europa der zwei Geschwindigkeiten. Beim | |
| „Zwei-Geschwindigkeiten“-Konzept geht es für beide immer nur nach vorne, | |
| bei Ihnen geht es auch zurück. | |
| Unser Konzept könnte man mit „differenzierter Integration“ umschreiben. | |
| Beim Europa der zwei Geschwindigkeiten ist die Vorgabe dagegen | |
| beispielsweise: Alle Staaten sollen langfristig Mitglied des Euro sein. Die | |
| einen brauchen etwas länger, die anderen gehen voran. Da können Linke nicht | |
| mitmachen. | |
| Wie stehen Sie zur Freizügigkeit für Arbeitnehmer, das große Thema in | |
| Großbritannien vor dem Brexit? | |
| Dieses Thema ist bisher nicht Teil der Lexit-Initiative. Ich persönlich | |
| kann nachvollziehen, wenn EU-Staaten Probleme mit der Freizügigkeit haben. | |
| Es gibt Länder, in denen sich vor allem die Teile der Bevölkerung, die ein | |
| geringeres Qualifikationsniveau haben, sich große Sorgen deshalb machen. | |
| Diese Sorgen muss man ernst nehmen. | |
| Ich möchte gerne nochmal zum Euro zurückkehren. Sie fordern einen | |
| abgefederten Ausstieg aus dem Euro. | |
| Es wäre ja eine Katastrophe, Staaten einfach so aus dem Euro rauszudrängen, | |
| wie das Wolfgang Schäuble im Falle Griechenlands vorhatte. Er wollte ein | |
| Exempel statuieren: ein Land rauszudrängen, um damit den anderen | |
| Euro-Zonen-Ländern vorzuführen, was passiert, wenn man aussteigen will. | |
| Wie soll die Abfederung aussehen? | |
| Mindestens drei Bedingungen sollten für einen Ausstieg erfüllt sein. Das | |
| Erste ist ein größeres Unterstützungsprogramm, um die dann entstehenden | |
| wirtschaftlichen Turbulenzen zu überwinden. Zweitens ist mit großer | |
| Wahrscheinlichkeit eine Teil-Schuldenstreichung notwendig. Und drittens | |
| eine Interventionspflicht der Europäischen Zentralbank, so wie das jetzt | |
| schon im Wechselkursmechanismus mit Dänemark verankert ist. Also eine | |
| Stützung der Währung, damit sie nicht ins Bodenlose fallen und damit eine | |
| Hyperinflation bewirken kann. | |
| Ein solcher Ausstieg müsste doch auch von den Deutschen unterstützt werden. | |
| Welches Interesse sollten sie daran haben? | |
| Ich kann nachvollziehen, dass große Teile der deutschen Eliten am Euro | |
| festhalten, weil Deutschland am stärksten davon profitiert. Es ist aber | |
| keine solidarische, pro-europäische Haltung. | |
| 20 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reeh | |
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