Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte AfD und Populismus: Stolz auf den „Wirtschaftsstandort D�…
> Bei der AfD gehen Neoliberalismus und Rechtspopulismus eine Synthese ein.
> Auch deshalb ist die Partei so erfolgreich.
Bild: Speerspitze des Rechtspopulismus: AfD-Vorsitzende Frauke Petry auf dem St…
Was die „Republikaner“, der Bund freier Bürger (BfB) und die Schill-Partei
nicht geschafft haben, könnte der Alternative für Deutschland (AfD) trotz
heftiger Flügelkämpfe, zwischenzeitlicher Auswechslung des Spitzenpersonals
und Abspaltung ganzer Richtungsgruppierungen gelingen: in alle ostdeutschen
und mehrere westdeutsche Landesparlamente einzuziehen und damit eine solide
Machtbasis für den Sprung in den Bundestag aufzubauen.
Die überraschenden (Wahl-)Erfolge der noch jungen Partei verdanken sich
nicht bloß der geschickten Rhetorik ihrer Führungsriege, die provokative
Äußerungen mit schnellen Dementis einfängt, und einem guten taktischen
Gespür, das sie nach den „Euro-Rettungspaketen“ zum richtigen Zeitpunkt die
„Flüchtlingskrise“ sowie anschließend den Islam, kulturelle Überfremdung
und Terrorgefahren auf die Agenda setzen ließ. Noch entscheidender ist die
Synthese neoliberaler und rechtspopulistischer Argumentationsfiguren.
Aus einer ökonomischen Theorie, die in den 1930er Jahren als Reaktion auf
die damalige Weltwirtschaftskrise und den Keynesianismus als
staatsinterventionistischem Lösungsansatz entstand, hat sich der
Neoliberalismus zu einer Sozialphilosophie entwickelt, welche die
Gesellschaft nach dem Modell von Markt und Leistungskonkurrenz
(um)gestalten will.
Mittlerweile ist der Neoliberalismus eine Weltanschauung, ja eine
politische Zivilreligion geworden, welche die Hegemonie, das heißt die
öffentliche Meinungsführerschaft, erobert hat. „Globalisierung“ fungiert
als Schlüsselkategorie und darüber hinaus – neben dem demografischen Wandel
und der Digitalisierung – als dritte große Erzählung unserer Zeit, die
Neoliberale benutzen, um ihre marktradikale Ideologie zu verbreiten und den
„Um-“ bzw. Abbau des Sozialstaates zu legitimieren.
## Ökonomisch verwertbar und gewinnträchtig
Neoliberale reduzieren den Menschen auf seine Existenz als Marktsubjekt,
das sich im Tauschakt selbst verwirklicht. Letztlich zählt für sie nur, wer
oder was ökonomisch verwertbar und gewinnträchtig ist. Aufgrund dieses
ausgeprägten Utilitarismus, seines betriebswirtschaftlichen
Effizienzdenkens, seiner Leistungsfixierung und seines Wettbewerbswahns
bietet der Neoliberalismus ideologische Anschlussmöglichkeiten zum
Rechtspopulismus.
Populistisch ist jene Gruppierung innerhalb des Rechtsextremismus wie des
Brückenspektrums zwischen diesem und dem (National-)Konservatismus zu
nennen, die besonders das verunsicherte Kleinbürgertum anspricht, dessen
Vorurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat nährt, dabei wirtschaftsliberale
Ziele verfolgt, Minderheiten abwertende Stammtischparolen aufgreift, den
Stolz auf das eigene Kollektiv, die Nation beziehungsweise deren Erfolge
auf dem Weltmarkt (Standortnationalismus) mit rassistischer Stimmungsmache
oder sozialer Demagogie verbindet und die verständliche Enttäuschung vieler
Menschen über das Parteien- beziehungsweise Regierungsestablishment für
eine Pauschalkritik an der Demokratie schlechthin nutzt.
Die wichtigste Schnittmenge zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus
liegt in der Überzeugung, dass man auf den „Wirtschaftsstandort D“ stolz
sein und ihn stärken müsse, um den Wohlstand aller zu mehren. Durch seine
Fixierung auf den Leistungswettbewerb mit anderen Wirtschaftsstandorten
schafft der Neoliberalismus einen idealen Nährboden für
Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Wohlstandschauvinismus.
Das in der Bundesrepublik Deutschland stärker lals in den meisten anderen
Ländern verbreitete Bewusstsein, auf den internationalen Märkten einer
„Welt von Feinden“ gegenüberzustehen und durch (den sprichwörtlichen
deutschen) Erfindungsgeist, besondere Tüchtigkeit, größeren Fleiß und noch
mehr Opferbereitschaft die Überlegenheit des „eigenen“ Wirtschaftsstandorts
unter Beweis stellen zu müssen, bildet die Basis des Standortnationalismus.
Je stärker die Menschen unter der sozialen Kälte einer Markt-,
Hochleistungs- und Konkurrenzgesellschaft leiden, umso mehr sehnen sie sich
nach emotionaler Nestwärme, die ihnen Rechtspopulisten im Schoß der
Traditionsfamilie, der eigenen Nation und der „Volksgemeinschaft“
versprechen.
Da spielt es auch keine Rolle, dass sich die „Alternative für Deutschland“
als Partei der „kleinen Leute“ zu profilieren sucht, obwohl sie die seit
1997 nicht mehr erhobene Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer abschaffen
will, was ausschließlich dem „großen Geld“ nützen sowie die auch von ihr
beklagte Kluft zwischen Arm und Reich noch vertiefen würde.
Wenn die Analyse des Verhältnisses von Neoliberalismus und Rechtspopulismus
zutrifft, muss diesem mittels einer anderen Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs-
und Sozialpolitik das materielle Fundament entzogen, die Standortlogik
widerlegt und eine überzeugende Alternative zum Neoliberalismus entwickelt
werden.
## Konkurrenzgesellschaft oder soziale Bürgergesellschaft
Letztlich ist die Beantwortung der Frage entscheidend, in welcher
Gesellschaft wir künftig leben wollen: Soll es eine Konkurrenzgesellschaft
sein, die Leistungsdruck und Arbeitshetze weiter erhöht, Erwerbslose, Alte,
Kranke, Drogenabhängige und Behinderte ausgrenzt sowie Egoismus,
Durchsetzungsfähigkeit und Rücksichtslosigkeit eher honoriert, sich jedoch
gleichzeitig über den Verfall von Sitte, Anstand und Moral wundert, oder
eine soziale Bürgergesellschaft, die Kooperation statt Konkurrenzverhalten,
Mitmenschlichkeit und Toleranz statt Gleichgültigkeit und Elitebewusstsein
fördert? Eignet sich der Markt tatsächlich als gesamtgesellschaftlicher
Regelungsmechanismus, obwohl er auf seinem ureigenen Terrain, der
Volkswirtschaft, ausweislich einer sich verfestigenden
Massenerwerbslosigkeit kläglich versagt?
Darauf die richtigen Antworten zu geben heißt, den Neoliberalismus mitsamt
seinem Konzept der „Standortsicherung“, aber auch den Rechtspopulismus
wirksam zu bekämpfen.
1 Aug 2016
## AUTOREN
Christoph Butterwegge
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Rechtspopulismus
Nationalismus
Neoliberalismus
Bundesversammlung
Schwerpunkt AfD
Rechtspopulismus
Junge Alternative (AfD)
Schwerpunkt Brexit
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Brexit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Linkspartei mit eigenem Kandidaten: Steinmeier nicht mehr alternativlos
Der renommierte Armutsforscher Christoph Butterwegge soll für die
Linkspartei als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl antreten.
AfD-Chefin über Sprache: Petry verteidigt den Begriff „völkisch“
Das Wort „völkisch“ wird mit dem Nationalsozialismus in Verbindung
gebracht. Das möchte Frauke Petry jetzt ändern.
Rassistische Wahlplakate in Hannover: Ganz nah an völkischer Ideologie
In Hannover hat eine rechtspopulistische Wählergruppe den Slogan „bunt
statt braun“ auf ihre Plakate gedruckt, um gegen Muslime zu mobilisieren.
Rechtspopulistischer Nachwuchs: Lesbisch, jung, AfD
Jana Schneider, Vorsitzende der Jungen Alternative in Thüringen, zieht im
Hintergrund die Strippen – und hetzt im Internet gegen Ausländer.
Politikwissenschaftler über den Euro: „Wir drehen der Rechten den Saft ab“
Eine Initiative von Ökonomen und Politikern fordert den Lexit – einen
linken Ausstieg aus dem Euro. Professor Andreas Nölke sagt, warum.
Debatte Rechte Diskurshoheit: Vom Wohnen in der Defensive
Brexit, Xenophobie, Nationalismus und Abschottung: Die Linke hat den großen
Erzählungen von rechts wenig entgegenzusetzen.
Essay Brexit und Rechtspopulismus: Das Volk gegen die da oben
Dass die Briten den Schritt zum Austritt gegangen sind, hat viele Gründe.
Für rechte Populisten ist das Anti-EU-Ressentiment ist ein gefundenes
Fressen.
Außenpolitik-Expertin U. Guérot über US-Politik: "Ein neuer Ton"
Es ist nicht mehr dieses verbissene "Wir machen es halt allein, wenn ihr
nicht mitmacht" zu hören, sagt Außenpolitik-Expertin Ulrike Guérot.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.