# taz.de -- Sachbuch über Postkapitalismus: Die Abschaffung des Neoliberalismus | |
> Der englische Journalist Paul Mason hat eine Vision von einer gerechten | |
> Gesellschaft: Er will den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen | |
> schlagen. | |
Bild: Der Autor bei einer Klimakonferenz in London, März 2015 | |
„Der Kapitalismus ist am Ende. Seine Überwindung wird ähnlich wie das Ende | |
des Feudalismus vor 500 Jahren von einem neuen Menschen gestaltet werden.“ | |
Entschlossenes Klatschen von links, in zweifelndes Stirnrunzeln | |
sublimiertes Nicken von rechts. Der englische Journalist Paul Mason, der | |
diese verlockenden Sätze im Berliner Haus der Kulturen der Welt vorträgt, | |
passt gut in die von den Blättern für deutsche und internationale Politik | |
organisierte „Democracy Lecture“. | |
Wie die beiden vorherigen Gäste der Reihe, Naomi Klein und Thomas Piketty, | |
deren Bücher „Die Entscheidung“ und „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ z… | |
meistdiskutierten der letzten Jahre gehören, kann Mason die Komplexität des | |
Wirtschaftssystems auf verständliche Weise erläutern. Mit „Postkapitalismus | |
– Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ hat er ein allein wegen seines | |
Optimismus radikales Werk über die Krise des Kapitalismus geschrieben und | |
darüber, wie sich auf den Trümmern des neoliberalen Systems eine neue, | |
gerechtere Gesellschaft erbauen lässt. | |
Der Saal ist am Dienstag voll besetzt, die rund 1.200 Besucher könnten | |
unterschiedlicher nicht sein: Neben zwei Anzugträgern im Rentenalter sitzt | |
ein Mann Mitte 40, auf dessen T-Shirt das Wort „Marx“ in Form des | |
Mars-Logos gedruckt ist; der wiederum sitzt neben einer Gruppe | |
StudentInnen, die ihre Bücher wie Waffen in ihren Taschen tragen. Einig | |
sein könnten sie sich dagegen im Unmut am System. Weil der negative | |
Einfluss des Neoliberalismus auf unser Leben lange nicht so verheerend war | |
wie heute. | |
Weil der Individualismus über Solidarität triumphiert, weil auch der | |
Mittelstand zunehmend prekarisiert ist, weil die deregulierten Banken und | |
Märkte immer mehr Ungleichheit produzieren, weil Sozialleistungen und | |
Bildungsetats immer stärker gekürzt werden. Nicht zu vergessen die jüngst | |
veröffentlichten „Panama Papers“, die neofeudale Strukturen offenbarten. | |
## Bücher wie Waffen | |
Mason erkennt in denselben Bedingungen, die den Neoliberalismus erfolgreich | |
machten, die Chancen für dessen Überwindung. So führe die zunehmend auf | |
Informationen basierende Wirtschaft dazu, dass Märkte keine Preise mehr | |
festlegen können, da sie traditionell auf Knappheit beruhen, während | |
Informationen im Überfluss vorhanden sind. | |
Ein Nebeneffekt sei das enorme soziale Wissen, das Unternehmen heute | |
produzieren. Weshalb sich ein Supermarktkonzern wie Tesco mit | |
gesellschaftlichen Trends besser auskenne als Soziologen, etwa damit, dass | |
viele Familien immer mehr auf die Großeltern bei der Kindererziehung | |
setzen, denn alte Menschen kauften immer mehr Windeln. Zudem gebe es immer | |
mehr Güter und Dienstleistungen, die kollaborativ hergestellt werden und | |
damit dem Diktum des Markts zuwiderlaufen. | |
Masons Paradebeispiel ist Wikipedia, das als aus freiwilliger Arbeit von | |
Millionen Menschen entstandenes Produkt zukünftige Arbeitsformen | |
antizipieren könnte. Besonders in derlei Open-Source-Projekte sollte der | |
Staat, der nach Masons Ansicht im Gegensatz zur Ansicht vieler Linker nicht | |
abgeschafft, sondern Teil des postkapitalistischen Projekts werden muss, | |
investieren – ganz im Sinne des Gründers der Sozialdemokratie, Ferdinand | |
Lassalle, der einst staatlich finanzierte Genossenschaften forderte. | |
Im Anschluss wurde mit drei Experten diskutiert. Dem Gästetrio, bestehend | |
aus Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, der Ökonomin | |
Friederike Habermann und dem Soziologen Hans-Jürgen Urban, kam die Rolle | |
der realpolitischen Spielverderber zu, die das Projekt in vorhandene | |
politische Strukturen zurückführen wollten. Dabei liegt die Stärke des | |
Postkapitalismus doch darin, dass er nicht autoritär installiert werden | |
soll, sondern aus der Gesellschaft heraus entsteht, in Form einer | |
wachsenden Sharingkultur und subventioniert mit einem Grundeinkommen. | |
6 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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