# taz.de -- Künstliche Intelligenz: Mensch, gib mir deine Daten | |
> Die Entwicklung künstlicher Intelligenz ist ein altes Militärprojekt. Nun | |
> sprechen Forscher von einer Revolution. Gefahr oder Chance? | |
Bild: Der humanoide Kampfroboter „Atlas“ aus dem Hause Boston Dynamics – … | |
Mensch: Worin besteht der Sinn des Lebens? | |
Maschine: Einem höheren Gut zu dienen. | |
Mensch: Worin besteht der Sinn zu sterben? | |
Maschine: Ein Leben zu haben. | |
Mensch: Was ist der Zweck von Intelligenz? | |
Maschine: Herauszufinden, was das ist. | |
Mensch: Welchen Zweck haben Gefühle? | |
Maschine: Das weiß ich nicht. | |
Diese Unterhaltung entstand während eines Forschungsprojekts von Google, | |
dessen Ergebnis die Entwickler vor einigen Wochen veröffentlichten. Ein von | |
ihnen konstruiertes künstliches neuronales Netzwerk hatte zuvor sein | |
Sprachverständnis auf Basis von Filmuntertiteln erlernt. Danach führte das | |
System Gespräche zu verschiedenen Themen mit den Forschern. | |
Für Alan Turing wäre mit dieser Konversation womöglich der Beweis für | |
Künstliche Intelligenz (KI) erbracht. Der Mathematiker knackte die | |
Nazi-Chiffriermaschine Enigma und war an der Entwicklung der ersten | |
elektronischen Computer beteiligt. 1936 beschrieb er erstmals formal und | |
praktisch, was ein Algorithmus ist. Alan Turing dachte auch als einer der | |
Ersten darüber nach, ob Maschinen Intelligenz erlangen könnten. Das war | |
1950, sechs Jahre bevor der Begriff „Künstliche Intelligenz“ bei einer | |
Konferenz in Dartmouth geprägt wurde. | |
Turing entwickelte einen Test zur Definition maschineller Intelligenz. Wenn | |
bei einer verdeckten Konversation für einen Beobachter nicht unterscheidbar | |
wäre, ob das Gespräch mit einer Maschine oder einem Menschen geführt wird, | |
gelte der Test als bestanden. Für Turing reichte bereits die Imitation von | |
Intelligenz – nicht zuletzt, weil damals wie heute die Frage ungeklärt ist, | |
was Intelligenz überhaupt bedeutet. | |
Abseits der Frage, wann man von Künstlicher Intelligenz (KI) sprechen kann, | |
zeigen vom Menschen gemachte Systeme bereits erstaunliche Fähigkeiten. Im | |
Juni 2015 etwa führten chinesische Wissenschaftler ein künstliches | |
neuronales Netz vor, das auch bei einem herkömmlichen IQ-Test menschliche | |
Leistungen im Sprachverständnis übertraf. | |
## Die Menschheitsgeschichte revolutionieren | |
Die Leistungskurve künstlicher neuronaler Netze verleitet selbst | |
zurückhaltende Informatiker dazu, von einer Revolution zu sprechen. Jürgen | |
Schmidhuber zählt nicht zu den zurückhaltenden Wissenschaftlern. Wer mit | |
dem Bayern reden möchte, muss nach Lugano reisen. Oberhalb der Altstadt, in | |
Manno, steht ein hässlicher Klotz: Das [1][Istituto Dalle Molle di Studi | |
sull’Intelligenza Artificiale (IDSIA)] wird von Schmidhuber geleitet. | |
Der Mann, der mit seiner Schiebermütze an einen Golfspieler erinnert, | |
erforscht seit fast 30 Jahren die Entwicklung künstlicher neuronaler Netze. | |
Er ist einer der Pioniere. „Jetzt passiert etwas, was die | |
Menschheitsgeschichte revolutionieren wird. All das, was gemeinhin mit | |
Intelligenz assoziiert wird, wird von künstlichen neuronalen Netzwerken und | |
ähnlichen Systemen erledigt werden. Das stellt den Menschen als Krone der | |
Schöpfung infrage.“ | |
Das Forschungsfeld ist in unüberschaubare Untergruppen zersplittert. | |
Schmidhuber geht es um „Artificial General Intelligence“ (AGI). Er möchte | |
also eine echte Künstliche Intelligenz erschaffen, die einmal so klug wie | |
ein Mensch sein soll und: mit steigender Rechenleistung viel intelligenter. | |
Schmidhuber ist überzeugt, dass seine Kinder das noch erleben werden. Diese | |
Prognose geht von einer stetig wachsenden Rechenleistung aus. Gordon Moore | |
entdeckte bereits 1965 eine bis heute gültige Regelmäßigkeit: Etwa alle | |
zwei Jahre verdoppelt sich die Prozessorleistung, die pro Dollar zu | |
bekommen ist. | |
Ein Smartphone besitzt heute die gleiche Rechenpower wie ein | |
Cray-Supercomputer aus den 1990er Jahren. Das Pentagon erwartet, dass | |
„Computerprozessoren die Rechenleistung des menschlichen Gehirns | |
wahrscheinlich in den 2020er Jahren erreichen werden“. Schmidhuber blickt | |
noch weiter in die Zukunft: „In ein paar Jahrzehnten wird eine einzige | |
relativ billige Maschine über die rohe Rechenkraft der gesamten Menschheit | |
verfügen. Und es wird sehr viele solche Maschinen geben. Und dann hört es | |
immer noch nicht auf. | |
## Eine „Cyborg-Ökonomie“ | |
Die Durchbrüche bei künstlichen neuronalen Netzen basieren auf Arbeiten, | |
die fast 40 Jahre alt sind. Was lange Zeit fehlte, waren Rechenleistung und | |
ausreichend Daten, um die Netze zu trainieren. Das ist nun erreicht, und | |
das macht Forscher wie Schmidhuber zuversichtlich. Andere, wie [2][Stephen | |
Hawking], warnen nun vor den Gefahren solcher Systeme, die immer autonomer | |
werden und immer mehr Bereiche der Gesellschaft durchdringen. | |
Das Rückgrat ganzer Ökonomien fußt bereits auf ihnen. 30.000 Deals wurden | |
an der New Yorker Stock Exchange 2013 verbucht – pro Sekunde. Über 70 | |
Prozent des US-amerikanischen Börsengeschehens vollzieht sich bereits | |
automatisiert. Der Wissenschaftshistoriker Philip Mirowski spricht von | |
einer „Cyborg-Ökonomie“, einer Wirtschaft, die sich wie ein Thermostat | |
selbst reguliert. Das Hongkonger Unternehmen Deep Knowledge Ventures | |
ernannte eine Künstliche Intelligenz gar zum Aufsichtsrat. „Vital“ heißt | |
das System, „Validating Investment Tool for Advancing Life Sciences“. Es | |
gilt als gleichwertiges Mitglied im Aufsichtsgremium. | |
Auch im Alltag sind wir von KI-Systemen umzingelt: Keine Suchanfrage bei | |
Google ohne lernende Software, keine Empfehlungen bei Amazon ohne adaptive | |
Systeme, kein Newsfeed bei Facebook ohne eine Form von KI. Bei künstlichen | |
neuronalen Netzen handelt es sich um informationsverarbeitende Systeme, die | |
bereits ohne Vorgaben eines Programmierers aus Rohdaten konkrete | |
Informationen und Schlussfolgerungen ziehen. Es gibt Systeme, die aus | |
tausenden medizinischen Studien inhaltliche Bezüge ableiten, die Texte und | |
semantische Zusammenhänge zunehmend „verstehen“. | |
## Das Prinzip des Lernens imitieren | |
Bei den besonders eigenständigen Systemen wurde ein verhaltenbiologisches | |
Belohnungsprinzip eingebaut, das Lernen honoriert. Durch Versuch und Irrtum | |
versuchen diese Systeme stets ihre Belohnung zu maximieren. Nebenbei lösen | |
sie so Probleme. Es handelt sich um Systeme, die das Prinzip des Lernens | |
als solches imitieren. Sie bauen aus vorher gelernten Fähigkeiten | |
Erfahrungen auf, die als Grundlage zur Weiterentwicklung neuer Fähigkeiten | |
dienen. Das macht ihre prinzipielle Universalität aus. Intelligenz meint | |
hier die Fähigkeit, nahezu alle definierbaren Probleme lösen zu können. Der | |
[3][“universelle Problemlöser“] ist seit jeher ein Ziel der KI-Forschung. | |
In der Neuroinformatik beschreiben Neuronen eine mathematische Funktion. | |
Ein solches Neuron besitzt jeweils eine Eingabefunktion (Input), eine | |
Aktivierungsfunktion und eine Ausgabefunktion (Output). Input-Neuronen | |
werden durch Sensoren aktiviert, die das System mit der Umwelt verbinden. | |
Diese Aktivierung geben die Neuronen an die mit ihnen vernetzten Neuronen | |
weiter, die dann ihrerseits aktiviert werden. | |
Auf diese Weise werden Informationen über das gesamte Netz codiert. In | |
diesem Zustand hat das Netz einen spezifischen Aktivierungszustand | |
erreicht, der als „Gewichtung“ bezeichnet wird und konkreten Informationen | |
entspricht. Akustische Signale, Abbildungen oder Buchstaben drücken sich in | |
neuronalen Netzen als eine spezifische Aktivierung sehr vieler | |
verschiedener Neuronen aus. | |
Für einen solchen Vorgang wurde der Begriff [4][“Deep Learning“], | |
Tiefenlernen, geprägt, weil neuronale Netze aus mehreren Lagen von | |
Neuronenschichten zu Milliarden Vernetzungen gekoppelt sind. Sie können | |
extrem komplexe Funktionen aus Rohdaten errechnen und lernen. Je | |
leistungsfähiger die Netze werden, desto anspruchsvoller wird die | |
mathematische Funktion, desto genauer „versteht“ das System etwa | |
sprachliche Zusammenhänge. So können etwa Filmuntertitel als Datenbasis | |
dienen, um Zusammenhänge zwischen einzelnen Wörtern zu entziffern und zu | |
reproduzieren: Maschinen lernen sprechen. | |
Den Schlüsselaspekt von Deep Learning erklärt Schmidhuber so: „Ich muss | |
dieses System mit seinen vielen Millionen ‚Gewichten‘ nicht mehr explizit | |
programmieren, dass es das Muster erkennt. Ich muss am Anfang nur ein paar | |
Zeilen hinschreiben, nämlich den Lernalgorithmus, der dazu führt, dass aus | |
den ganzen Trainingsbeispielen diese ‚Gewichte‘ extrahiert werden, die dazu | |
führen, dass das System gut erkennt.“ | |
## „Big Data“ und Muster lesen | |
Ein Kollege Schmidbauers ergänzt diese Beschreibung. Bernhard Schölkopf | |
arbeitet als Gründungsdirektor am [5][Max-Planck-Institut für Intelligente | |
Systeme in Tübingen]. Er sagt: „Es geht darum, auf der Basis von | |
empirischen Beobachtungen auf darunter liegende Gesetzmäßigkeiten zu | |
schließen. Das ist dann nötig, wenn es Gesetzmäßigkeiten in der Welt gibt, | |
die zu kompliziert sind, als dass man sie explizit modellieren könnte. Also | |
versucht man mit Lernalgorithmen automatisch mathematische Beschreibungen | |
dieser Gesetzmäßigkeiten zu extrahieren.“ | |
Die neuronalen Netze erkennen so Muster. Aus großen Datenmengen – „Big | |
Data“, etwa den Pixelinformationen von Millionen Fotos oder Videos. Auch | |
Sprachsignale sind Daten, die von neuronalen Netzen als Muster gelesen | |
werden können. | |
Die Menge an Daten wächst noch schneller als die Rechenleistung. Zunehmend | |
sind es Daten von Menschen. Denn so, wie unser Körper bei jeder Bewegung | |
Luft verdrängt, erzeugen wir heute ständig Daten, die berechenbar geworden | |
sind. Dank Smartphone, „sozialer“ Medien und digitaler Vernetzung. So wird | |
es möglich, soziale Phänomene und Gesetzmäßigkeiten wie in der | |
experimentellen Physik zu erkunden. | |
Mit den massenhaften Auswertungen von Tweets und Mitteilungen bei Facebook | |
lassen sich Revolutionen erkennen, bevor sie entstehen, ebenso die | |
Ausbreitung von Krankheiten oder die Entstehung bestimmter Krebsarten. Die | |
Polizei nutzt weltweit Prognosesoftware, um Verbrechen vorherzusagen. | |
## Militärtechnologie sickert in die Gesellschaft | |
Bei aller Faszination für die Chancen, die Künstliche Intelligenz | |
ermöglichen: Ihre Ursprünge gehen auf das Militär zurück. Auf den gleichen | |
kybernetischen Prinzipien, auf denen der Mathematiker Norbert Wiener die | |
Prognose der Flugbahnen von Jagdfliegern entwickelt hatte, fußt später die | |
Flugraumüberwachung oder die Raketenabwehr mit KI-Systemen. Und nach | |
denselben Prinzipien und vergleichbarer Technologie werden heute Menschen | |
durch die Analyse von Massendaten überwacht, ihr Verhalten prognostiziert. | |
Der US-amerikanische Rüstungskonzern Lockheed bietet dieselbe | |
KI-Technologie zur Raketenabwehr und zur Diagnose von Blutvergiftung an. | |
Eine Technologie, die vom Militär entwickelt worden war, sickerte mit | |
zunehmender Leistungsfähigkeit und Verbreitung des Computers in die | |
Zivilgesellschaft. Es verwundert daher nicht, dass wir es gegenwärtig mit | |
einer globalen Überwachung durch Regierungen und Konzernen gleichermaßen zu | |
tun haben. | |
Milliardenschwere Forschungsprogramme des Pentagons waren, wie bei der | |
Entwicklung des Computers, für die Entstehung der KI maßgeblich. Die | |
Erfindung und die Konstruktion des Internets finanzierte und koordinierte | |
die [6][Defense Advanced Research Projects Agency], kurz: Darpa. Die | |
Forschungsbehörde des Pentagons war 1958 als Schockreaktion auf den ersten | |
Satelliten gegründet worden, den die UdSSR ins All schoss. Nie wieder | |
sollten die USA derart überrascht werden. | |
Unter US-Präsident Ronald Reagan verdoppelte sich der Rüstungsetat. 1983 | |
setzte Darpa ein Programm auf, um eine „künstliche Superintelligenz“ für | |
das US-Militär zu entwickeln, die als informationelle Basis das Internet | |
hatte: „Strategic Computing Initiative“ (SCI) hieß es. Federführend war | |
[7][Robert Kahn], der Mann, der auch die technischen Grundlagen des | |
Internets entworfen hatte. Aus der SCI entwickelten sich später Programme, | |
die den USA in den 1990er Jahren die Vormachtstellung bei Superrechnern | |
sicherten. | |
## Die NSA würde in Daten ertrinken | |
Nach dem 11. September 2001 entwickelte Darpa auf KI basierende | |
Überwachungstechnologien, deren Einsatz Edward Snowden enthüllte. Die | |
globale Überwachung durch Geheimdienste wie die NSA wäre ohne Künstliche | |
Intelligenz nicht möglich. Die NSA würde in den Daten ertrinken. | |
Mit dieser militärischen Forschung eng verknüpft ist der Aufstieg von | |
Google. Die Erschaffung von Künstlicher Intelligenz war der Grund, warum | |
Larry Page und Sergey Brin überhaupt eine Suchmaschine entwickelten. Mit | |
einem solchen System ließe sich irgendwann eine echte Künstliche | |
Intelligenz erreichen, glauben sie. Google dürfte mittlerweile der größte | |
KI-Konzern sein. Kürzlich heuerten sie Geoffrey Hinton an, der mit viel | |
Eigenwerbung als „Pate“ künstlicher neronaler Netze bezeichnet wird. Google | |
schluckte 2014 für 400 Millionen Pfund auch das KI-Unternehmen Deep Mind. | |
Zwei der vier Gründer von Deep Mind waren Schmidhubers Studenten. | |
Die Central Intelligence Agency (CIA) unterstützte 1998 Sergey Brins | |
Forschungsarbeit zum Bau einer Suchmaschine an der Stanford University auch | |
[8][finanziell]. Man ließ sich von Brin regelmäßig über die Fortschritte | |
informieren. Über ein Dutzend Robotikfirmen schluckte Google in den | |
vergangenen Jahren – ein Teilbereich der Künstlichen-Intelligenz-Forschung. | |
Darunter exklusive Vertragspartner der U.S. Army wie [9][Boston Dynamics], | |
deren humanoide Militärroboter sich mittlerweile problemlos auf zwei Beinen | |
durch unwegsames Unterholz kämpfen. | |
Ein Produkt aus Googles Portfolio nennt sich „NIC“. Das steht für „Neuro… | |
Image Caption Generator“, ein künstliches neuronales Netz, das | |
Bilderkennung mit Spracherkennung kombiniert. Das Netz ist in der Lage, auf | |
einem Bild die einzelnen Objekte zu erkennen und sprachlich zu beschreiben. | |
Bei einem der Bilder entstanden folgende Beschreibungen: „Eine Gruppe | |
junger Menschen spielt Frisbee.“ Oder: „Eine Herde Elefanten trottet über | |
ein trockenes Grasfeld.“ Dieses System identifiziert nicht nur einzelne | |
Objekte, es ist in der Lage, sie in Beziehung zu setzen und Aktionen zu | |
erkennen. | |
Ähnliche Ergebnisse erzielte das System des Stanford Artificial | |
Intelligence Lab. Es ist in der Lage, Bilder mit Sätzen per Sprachausgabe | |
zu beschreiben. Die Forscher vergleichen die Fähigkeiten des Systems mit | |
denen eines dreijährigen Kindes. | |
## Die KI macht Konversation mit Kindern | |
Echte Kinder wiederum arbeiten daran mit, solche Systeme zu testen und zu | |
optimieren. Die Firma ToyTalk etwa bietet künstliche „Freunde“ zum | |
App-Download an. „Charaktere für echte Konversation“ warten auf anregende | |
Unterhaltung mit Kindern zwischen 6 und 8 Jahren. Es gibt inzwischen eine | |
ganze Reihe solcher künstlicher Freunde. | |
Zum Umgang mit den Daten steht in den Geschäftsbeziehungen, dass diese | |
aufgezeichnet werden, auch akustisch. Sie werden teilweise transkribiert | |
und ausgewertet. Die Firma Elemental Path bietet „CogniToys“ an. Zur | |
Produktpalette gehört ein Plüschdino, mit dem sich Kinder unterhalten | |
können. Das Gerät ist an die Cloud des KI-Systems [10][IBM-Watson] | |
gekoppelt. Der Konzern investierte eine Milliarde Dollar und baute sein | |
KI-System zu einer eigenen Sparte aus. | |
Google-Forscher Geoffrey Hinton spricht im Zusammenhang von künstlichen | |
neuronalen Netzen inzwischen gar von „Gedanken“, die solche Systeme | |
entwickelten. Hinton sagte, ihm sei klar, dass diese Beschreibung | |
kontrovers klinge. Doch er glaube, es sei möglich, [11][“Gedanken als | |
Vektoren abzubilden“]. Vektoren sind Zahlenketten. | |
Für Hintons Kollegen vom Max-Planck-Institut, Bernhard Schölkopf, klingt | |
die Definition des „Gedanken-Vektors“ plausibel. „Jede neuronale Schicht | |
hängt von einer Schicht davor ab, durch die Informationen hereinkommen. Man | |
kann also sagen, jede Schicht ist eine Repräsentation dessen, was gerade | |
bearbeitet wird. Nur, dass die Repräsentation zunehmend vom Input der | |
Sensordaten entfernt ist. Die vorletzte Schicht lässt sich durchaus als ein | |
‚Gedanken-Vektor‘ – also eine Zahlenkette – beschreiben, weil dieser al… | |
vorhergehenden Verarbeitungen repräsentiert.“ Die letzte Schicht besteht | |
aus Ausgabe-Neuronen, die dann etwa ein Objekt identifizieren: „Das ist ein | |
Elefant.“ | |
## KI soll Gefühle erkennen | |
Für Geoffrey Hinton ist dies der Schlüssel, mit dem die Systeme natürliche | |
Sprachen und logisches Denken erlernen können. Mit den „Gedanken-Vektoren“ | |
lassen sich Wörter als komplexe Zahlenketten repräsentieren, die sie | |
innerhalb eines sprachlichen „Bedeutungsraums“ einnehmen: „Wenn Sie den | |
Vektor für Paris nehmen und den Vektor für Frankreich abziehen und jenen | |
von Italien hinzufügen, erhalten sie Rom“, erklärt Hinton. | |
Künstliche Intelligenz soll aber auch lernen, Gefühle zu erkennen. | |
„Affective Computing“, nennt sich der Bereich, der nach Mustern sucht, die | |
sich als Emotionen decodieren lassen. Bei einem Ansatz geht es darum, mit | |
Gesichtserkennungssoftware Gefühle visuell zu detektieren. Das in den | |
späten 1970er Jahren entwickelte „Facial Action Coding System“ (FACS) fußt | |
auf einem 500 Seiten starken Gefühlsatlas von Gesichtsausdrücken. | |
Informatiker in der Computeranimation verwenden dies heute ebenso wie die | |
Polizei. | |
Ein anderes Verfahren untersucht die Verwendung bestimmter Wörter und deren | |
Beziehung zueinander, aber auch die Art, wie wir Menschen sprechen: Pausen, | |
Rhythmen, Intonation, Lautstärken. Auf Grundlage psychologischer und | |
linguistischer Modelle klassifizieren künstliche neuronale Netze Emotionen. | |
Die deutsche Firma [12][Psyware] etwa hat eine KI-Software entwickelt, die | |
anhand der Stimmmuster von Menschen Persönlichkeitsprofile errechnet. | |
Die Ergebnisse seien objektiver als jene, die Psychologen lieferten. „Denn | |
wie wir sprechen, das können wir kaum bewusst steuern, sobald wir länger | |
als ein paar Minuten reden“, sagte einer der Entwickler in einem Interview. | |
Das Ziel sei „kein geringeres, als Maschinen dieses Wissen einzupflanzen. | |
Sie sollen verstehen lernen, wie der Mensch funktioniert.“ | |
## Der größte und letzte Moment der Geschichte | |
Im vergangenen Jahr warnte der Physiker Stephen Hawking in einem offenen | |
Brief davor, die Risiken, die von Künstlicher Intelligenz ausgehen, zu | |
unterschätzen. Das wäre „der größte Fehler in der Geschichte“. Alles, w… | |
Menschen hervorgebracht hätten, sei ein Produkt des Intellekts. Daher wäre | |
auch die Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz „der größte Moment in | |
der Geschichte der Menschheit“, womöglich jedoch „der letzte“. | |
Eine KI wäre uns – dank Gordon Moores Gesetz – bald weit überlegen. Vor | |
Kurzem veröffentlichte Hawking erneut eine [13][Warnung], die sich auf den | |
militärischen Einsatz Künstlicher Intelligenz bezieht. Hunderte von | |
Wissenschaftlern schlossen sich dem Appell an, den schließlich 16.000 | |
unterzeichneten. Darin wurde KI als „dritte Revolution der Kriegsführung“ | |
nach Schwarzpulver und Nuklearwaffen bezeichnet. | |
Entstünde eine Superintelligenz, schrieben Stephen Hawking und seine | |
Kollegen, könnte „sie Finanzmärkte überlisten, ebenso Forscher, sie würde | |
menschliche Führungspersönlichkeiten manipulieren und Waffen entwickeln, | |
die wir nicht mehr verstehen können“. Eine Maschine mit den kognitiven | |
Fähigkeiten eines Menschen würde anfangen, sich selbst zu optimieren, immer | |
wieder und immer schneller – eine „Intelligenzexplosion“ wäre die Folge. | |
Davor warnte der Mathematiker Irving John Good schon 1965, er war | |
Chefstatistiker der Gruppe um Alan Turing, die im Zweiten Weltkrieg Enigma | |
knackte: „Die erste ultraintelligente Maschine ist also die letzte | |
Erfindung, die der Mensch je machen muss, vorausgesetzt, die Maschine ist | |
fügsam genug, um uns zu sagen, wie man sie unter Kontrolle hält.“ | |
Kai Schlieter leitet das Ressort Reportage und Recherche der taz. Sein Buch | |
„Die Herrschaftsformel: Wie Künstliche Intelligenz uns berechnet, steuert | |
und unser Leben verändert“ erscheint am 25. September 2015 im Westend | |
Verlag | |
18 Sep 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.idsia.ch/ | |
[2] http://www.independent.co.uk/news/science/stephen-hawking-transcendence-loo… | |
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/General_Problem_Solver | |
[4] http://people.idsia.ch/~juergen/deeplearning.html | |
[5] http://www.is.mpg.de/de | |
[6] http://www.darpa.mil/ | |
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Bob_Kahn | |
[8] https://medium.com/insurge-intelligence/how-the-cia-made-google-e836451a959e | |
[9] https://www.youtube.com/watch?v=M8YjvHYbZ9w | |
[10] http://www.ibm.com/smarterplanet/us/en/ibmwatson/what-is-watson.html | |
[11] http://www.theguardian.com/science/2015/may/21/google-a-step-closer-to-dev… | |
[12] http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/software-erkennt-persoenl… | |
[13] http://futureoflife.org/AI/open_letter_autonomous_weapons | |
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