| # taz.de -- Menschen und Maschinen: Die Roboterfabrik | |
| > Der chinesische Gerätehersteller Midea schluckte die deutsche Firma Kuka. | |
| > Besuch bei einem Konzern, der Robotern das Lernen beibringt. | |
| Bild: Mensch und Maschine freunden sich an: Kuka-Roboter bei der Eröffnung der… | |
| Augsburg taz | In einem Industriegebiet im Osten von Augsburg – schräg | |
| gegenüber von Netto und einem „Hendl & Haxn-Grill“ – versuchte die | |
| Bundesregierung vergeblich, die technologische Zukunft Deutschlands zu | |
| retten. Ein Neubau mit einem weißen Atrium und einer Wendeltreppe, die so | |
| nahtlos aussieht, als hätte sie ein 3-D-Drucker ausgespuckt: der Hauptsitz | |
| von Kuka Roboter. | |
| Als der chinesische Haushaltsgerätehersteller Midea verkündete, Kuka zu | |
| schlucken, drohte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit Widerstand. | |
| Doch er überschätzte sich, und kurz darauf übernahm der chinesische Konzern | |
| die Zukunft Deutschlands per Kapitalgesellschaft auf den britischen | |
| Jungferninseln. Für 4,5 Milliarden Euro hält Midea nun etwa 96 Prozent der | |
| Kuka-Aktien. | |
| Hinter dem futuristischen „Headquarter“ reihen sich die Produktionshallen | |
| auf, und in einer von ihnen kommt gerade ein freundlicher Herr mit | |
| Poloshirt des Weges, der offensichtlich die meisten der Arbeiter hier | |
| kennt. Grüß Gott, Armin Kolb, Vorsitzender des Betriebsrats für rund 3.500 | |
| „Kukaner“ am Standort Augsburg. | |
| Kolb ist ein kräftiger Mann, graues Haar, einer, der oft lächelt und vor 39 | |
| Jahren hier seine Lehre begann. Da stellte Kuka noch Müllfahrzeuge her. Er | |
| grüßt die Kollegen, hält ein Schwätzchen, aber auf deutsche | |
| Spitzenpolitiker sollte man ihn besser nicht ansprechen, dann verfinstert | |
| sich seine Laune. | |
| ## Titan, der Roboterkoloss | |
| Hinter ihm wuchten in einer Reihe von Gitterkäfigen massige orange | |
| Roboterarme Bauteile. 4.600 Kilo schwer, 1.300 Kilogramm Traglast, über | |
| drei Meter Reichweite: „Titan kann sich selbst heben und deswegen auch | |
| bauen“, sagt Armin Kolb zu dem Roboterkoloss. In dieser Fabrik replizieren | |
| sich die Maschinen, allerdings noch mit menschlicher Unterstützung. | |
| Einsatzgebiet von Titan: die Automobilindustrie. | |
| Dieser Geschäftszweig macht 50 Prozent aus. Tendenz sinkend, denn Kuka | |
| verringert die Abhängigkeit von der Industrie, deren Krise Kuka 2008 selbst | |
| ins Schlingern brachte. Seither erschließt der Konzern weitere Märkte. | |
| Zunehmend verlassen Roboter die Fabrikhallen und erledigen Servicedienste, | |
| verteilen Medikamente in Krankenhäusern oder automatisierten Apotheken. | |
| Kuka kaufte mit Swisslog Spezialisten für die Automatisierung großer | |
| Warenlager. Und hier in Augsburg bauen sie die Roboterarmada, die dieser | |
| neuen Welt den Weg bereitet. Mit 12.000 Mitarbeitern weltweit zählt Kuka zu | |
| den führenden Konzernen in dem Segment. | |
| Werkstattgeräusche, Schrauben, Zischen, Fiepen. Hinter dem Gitter der | |
| mächtige Arm von Titan, der seine Schwerlast auf Millimeter mit | |
| Nachkommastelle exakt bewegt und hebt. Immer und immer wieder. In anderen | |
| Hallen werden Einzelteile gefräst und geschweißt: ebenfalls von Robotern. | |
| Präzise, optimiert und in Echtzeit überwacht. | |
| Kolb schiebt Besucher manchmal sanft zur Seite, weil in der etwa 200 Meter | |
| langen Werkshalle auf markierten Wegen Gabelstapler kreuzen. Nach dem | |
| aktuellen Softwareupdate düst hier demnächst der Leichtbauroboter „KMR | |
| iiwa“ herum. Batteriebetrieben und mit Industrie-WLAN. iiwa findet seinen | |
| Arbeitsort mit Laser, Sensorik und Kamera. Das Kürzel steht für | |
| „intelligent industrial work assistant“. Er bringt den Mechatronikern | |
| Werkzeuge und Teile für die Fertigung weiterer Roboter. | |
| ## Kukas Q | |
| Hinter einer Plexiglasscheibe greifen Roboterarme in Ablagen und holen sich | |
| Zahnräder, Schrauben oder Gummiringe. „Die Plexiglasscheibe ist nur dafür | |
| da, falls mal ein Gummiring abspringt“, sagt Johannes Kurth. Der Head of | |
| Engineering Advanced Technology Solution ist so etwas wie Kukas Q – der | |
| Techniktüftler, der James Bond mit Hightech ausstattete. Johannes Kurth | |
| fände diesen Vergleich wohl unpassend. Er trägt ein einfaches Sakko und | |
| faltet bei Sprechpausen die Hände. | |
| „Sie kennen sich aus mit Robotik? Roboter haben sechs Achsen, um jeden | |
| Punkt zu erreichen. Unsere haben sieben Achsen, wie ein Mensch mit | |
| Ellenbogen.“ Kurth schwärmt von seiner Arbeit, „denn das ist die Zukunft�… | |
| Und um diese Zukunft zu bauen, muss er verstehen, wie Menschen | |
| funktionieren. Die feine Motorik, die Sensorik der fünf Finger erscheint | |
| ihm mit wachsender Expertise in Robotik immer wundersamer. Die Hand, sagt | |
| Johannes Kurth entzückt, „ist ein Roboter mit 20 Achsen“. | |
| War der Entwickler zuvor zehn Jahre in der Forschungsabteilung von Kuka | |
| verantwortlich, so kümmert er sich heute um den „LBR“ – den | |
| Leichtbauroboter. Ein kleines Gefährt, das an ein vergrößertes Raumfahrzeug | |
| erinnert. Bei der Entwicklung des LBR beteiligten sich auch | |
| Robotikspezialisten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). | |
| Vier Räder, die sich auf der Stelle drehen können. „Omnidirektionale | |
| Bewegung“ garantiert maximale Wendigkeit, verkürzt Leerzeiten und schont | |
| bei der tonnenschweren Variante den Bodenbelag. Deutsche Perfektion. | |
| Am Armende des Roboters befindet sich der „Effektor“, wie Kurth sagt. So | |
| heißen die Greifer, die je nach Einsatz aufgesetzt werden können. 1973 | |
| baute Kuka „Famulus“ – den ersten Industrieroboter der Welt. Die | |
| Gitterkäfige von einst, die Menschen vor Robotern wie Titan schützen, | |
| verschwinden heute. Dafür soll auch der LBR sorgen. Kurth beschäftigt sich | |
| also mit dem nächsten Schritt: der Mensch-Roboter-Kooperation. Die hat | |
| bereits ein eigenes Kürzel – „MRK“ – und ist seit Anfang des Jahres in… | |
| ISO-Norm 15066 geregelt. Biomechanische Grenzwerte definieren die | |
| Schmerzschwelle im Kontakt von Mensch und Maschine. | |
| ## Der Effektor | |
| Beim LBR messen Momentsensoren diesen Kontakt. Es lassen sich | |
| Freiheitsgrade festlegen, in denen sich der Roboterarm für bestimmte | |
| Arbeitsabläufe trainieren lässt. Man kann den Arm bewegen, man spürt dann | |
| auch einen Widerstand, der nachgibt, als steckte ein eigener Wille in der | |
| Maschine. Der Effektor lässt sich gezielt platzieren und nun wiederholt der | |
| Roboter das Gelernte. Er setzt Bewegung in Programmcode um. Bis hin zu | |
| komplexen Abläufen. | |
| Auch bei Kuka geht es neben dem Bau der Roboter zunehmend um die | |
| Steuerungstechnologie: künstliche Intelligenz. Hunderte Softwareentwickler | |
| beschäftigt Kuka. „Deep Learning“ – selbstlernende Software, die | |
| mathematisch die Funktion und Anpassungsfähigkeit neuronaler Netze | |
| simuliert. Das gilt als Durchbruch für künstliche Intelligenz und erobert | |
| ständig neue Einsatzbereiche. | |
| Der japanische Weltmarktführer Farnuc arbeitet an Robotern, die andere | |
| Roboter unterrichten. Beispielsweise, um Objekte zu erkennen, | |
| Bewegungsabläufe zu erlernen, bis hin zu komplexen Produktionsschritten. | |
| Haben Roboter über Nacht mit Versuch und Irrtum bestimmte Funktionen | |
| erlernt, können sie diese „Erfahrungen“ künftig als Daten in einer | |
| digitalen Wolke ablegen und zur Verfügung stellen. | |
| „Cloud-Robotics“ erforscht auch Kuka. Am Standort Austin, Texas, arbeitet | |
| ein IT-Team an Cloud Computing und Datenanalyse. Und Google lässt Roboter | |
| bereits kollaborativ neue Probleme lösen, indem sie ihre Fähigkeiten | |
| jeweils ergänzen. Cloud-Robotics habe einen „Katalysator-Effekt“, | |
| prognostiziert Gill Pratt. Der Mann arbeitete lange für die führende | |
| Forschungsbehörde des US-Militärs, die die Entwicklung künstlicher | |
| Intelligenz maßgeblich anschob. Pratt arbeitet nun als Chef beim Toyota | |
| Research Institute, das im Silicon Valley nun ein Forschungslabor für | |
| Robotik und künstliche Intelligenz aufbaut. Investitionsvolumen: eine | |
| Milliarde US-Dollar. | |
| ## Industrie 4.0 | |
| Damit auch Roboter von Kuka schneller lernen, sind Erfahrungen nötig – also | |
| Daten. Kuka digitalisiert sämtliche Prozesse der Fabrik, um sie immer | |
| weiter in Echtzeit zu messen und optimieren zu können. „Industrie 4.0“ | |
| nennt sich das. Johannes Kurth weist darauf hin, dass auch der LBR dazu | |
| praktische Dienste leistet: „Roboter sind hervorragende Datensammler.“ | |
| Kurth faltet seine beiden 20-achsigen Roboter vor seinem Sakko und sagt, er | |
| arbeite an der „Marktdurchdringung mit Leichtbaurobotern“. Man glaubt es | |
| ihm sofort. | |
| LBR-Arme sortieren Bauteile. Ruckartige Bewegungen, hypnotisierend in der | |
| Genauigkeit ihrer Wiederholung, Präzision jenseits aller Natürlichkeit, 24 | |
| Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Leistung ohne Pausen und | |
| Arbeitnehmerrechte: der Traum aller Fabrikanten. | |
| Angesichts der heutigen Automatisierung – selbst Juristen, Investmentbanker | |
| und Nachrichtenjournalisten werden bereits von lernender Software ersetzt – | |
| stellt sich die Frage, was mit den Menschen geschehen soll. Die Universität | |
| Oxford und McKinsey prognostizieren unabhängig voneinander, dass bis 2030 | |
| fünfzig Prozent der Jobs durch Automatisierung gefährdet seien. | |
| US-Präsident Barack Obama warnte kürzlich, dass in den USA bereits 2025 | |
| womöglich 60 Prozent der Jobs von Robotern ersetzt werden könnten. Der | |
| Rechtsausschuss des EU-Parlaments empfahl der EU-Kommission im Mai, die | |
| Kategorie der „elektronischen Person“ im Zivilrecht zu verankern. Eine | |
| Revolution findet statt. Ethische Fragen: völlig ungeklärt. | |
| Als Betriebsratsvorsitzender hat Armin Kolb deswegen einen skurrilen Job: | |
| Arbeitnehmervertreter einer Aktiengesellschaft, deren Kerngeschäft die | |
| Automatisierung, mithin also die Vernichtung von Arbeitsplätzen bedeutet? | |
| Er lacht und sagt, Roboter würden die Jobs seiner Kollegen nicht zerstören. | |
| „Die retten Arbeitsplätze.“ Sie würden die Produktivität und | |
| Konkurrenzfähigkeit Deutschlands erst sichern angesichts der höheren | |
| Lohnkosten hierzulande. Auf der Homepage verweist Kuka darauf, vorgelesen | |
| von einem Softwareroboter, dass in Deutschland bis 2025 vier Millionen | |
| Fachkräfte fehlen würden. | |
| „Schauen sie sich mal die Über-Kopf-Arbeit in der Automobilindustie an. Das | |
| macht keinen Spaß“, sagt Kolb. Gesundheitsschädliche Arbeitsplätze zu | |
| ersetzen, sei eine Errungenschaft. Bei Ford montieren Werksarbeiter | |
| „kollaborativ“ mit dem LBR von Kuka die Stoßdämpfer. Das erfreut einen | |
| Betriebsrat der Automatisierungsindustrie. | |
| 1 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Kai Schlieter | |
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