| # taz.de -- Sportlerin der Extraklasse: Die Alleskönnerin | |
| > Bei den Paralympics in London holte sie Gold, in Rio Silber. Dazwischen | |
| > wechselte die Hamburgerin Edina Müller vom Rollstuhlbasketball ins | |
| > Einer-Kanu | |
| Bild: Edina Müller: Im Kanu schnell, im Basketball treffsicher | |
| HAMBURG taz | Es war die Sensation der Paralympics: Am 7. September 2012 | |
| holte Deutschland gegen Australien in der Londoner Basketballarena Gold, | |
| mit 14 Punkten Vorsprung. Mittendrin: Edina Müller. Vier Jahre später, am | |
| 15. September 2016 in Rio, wurde es nur die Silbermedaille, um 0,14 | |
| Sekunden, diesmal im Kanu-200-Meter-Rennen. Die verschiedenen | |
| Medaillenfarben sind eher kleine Veränderungen, verglichen mit der | |
| sportlichen Entwicklung, die Edina Müller zwischen diesen beiden Finals | |
| vollzogen hat. | |
| Der Weg aus der Sporthalle aufs Wasser war kein langfristig geplanter | |
| Wechsel. Die heute 33-Jährige hätte vor zwei Jahren nicht gedacht, dass sie | |
| nach ihrem Abschied aus dem Teamsport so schnell auf die internationale | |
| Bühne des Spitzensports zurückkehren würde: 2014 spielte Edina Müller ihr | |
| letztes großes Turnier als Rollstuhlbasketballerin. Schon vor dem | |
| WM-Turnier in Toronto, das das Team Germany als Vizeweltmeister beendete, | |
| hatte die Aufbauspielerin ihren Rückzug aus dem Rollstuhlsport angekündigt. | |
| „Es hat einfach nicht mehr gepasst, die ausreichende Motivation hat | |
| gefehlt“, sagt Müller. Die Sporttherapeutin, die in der Unfallklinik | |
| Hamburg-Boberg arbeitet, wollte neben ihrem Beruf mehr Zeit für Hobbys wie | |
| Tauchen oder ihren Blog haben. Doch auf den Ausstieg aus der Droge | |
| Leistungssport folgten nach kurzer Zeit Entzugserscheinungen. | |
| So wurde ein langjähriges Hobby zur neuen Berufung: Schon seit mehreren | |
| Jahren sitzt Edina Müller gerne im Kajak. Vor allem mit ihrem | |
| Lebensgefährten Nikolaus Classen, den sie beim Rollstuhlbasketball – im | |
| Team der BG Baskets Hamburg – kennenlernte, hat sie viele Touren gemacht | |
| und an einigen Dorfregatten teilgenommen. Nach einem Anruf im Herbst 2014 | |
| bei Arne Bandholz erhöhten sich Fahrtempo und Ambitionen schnell: Auf | |
| Müllers Nachricht „Ich möchte Rennkanu fahren“ reagierte der Trainer des | |
| Hamburger Kanu Clubs ebenso aufgeschlossen wie auf den Nachsatz „Ich sitze | |
| im Rollstuhl.“ | |
| Mit seiner Unbefangenheit und viel Engagement wurde Bandholz zum großen | |
| Förderer und heutigen Trainer von Edina Müller. Er besorgte ihr ein | |
| Rennboot mit extra angefertigtem Sitz sowie ein professionelles Paddel. Das | |
| unerfahrene Duo begab sich auf Entdeckungsreise, wie für die | |
| querschnittgelähmte Sportlerin der Bewegungsablauf am besten funktioniert. | |
| Dass Müller schon beim Rollstuhlbasketball gelernt hatte, mit ihren Armen | |
| explosiv Geschwindigkeit aufzunehmen, half beim Einstieg. „Schmale | |
| Schultern hatte ich noch nie“, sagt die Athletin. | |
| Aus ihren Erfolgen im Mannschaftssport hat sie ebenfalls eine gute Portion | |
| Selbstbewusstseins mitgenommen: „Ich möchte nach Rio“, hatte die Kanutin | |
| ihrem Trainer schon kurz nach dem Kennenlernen mitgeteilt. Einen Europa- | |
| und Weltmeistertitel später war nicht nur die Teilnahme an den Paralympics | |
| in Brasilien gesichert, die Deutsche zählte längst zur Weltspitze des | |
| Parakanusports. | |
| Die traf sich in Rio zum ersten Mal bei Paralympischen Spielen, denn die | |
| Disziplin wurde erst nach den Londoner Wettkämpfen ins Programm | |
| aufgenommen. Am 31. August reisten die deutschen Athleten in die | |
| brasilianische Metropole. Die zwei wichtigsten Rennen ihrer noch jungen | |
| Karriere in dieser Disziplin, Qualifikation und Finale, hatte Edina Müller | |
| erst zwei Wochen nach Ankunft. Die Lagune als Trainingsstätte und der nahe | |
| gelegene Strand von Ipanema ermöglichten eine gute Abwechslung aus Training | |
| und Entspannung. „Am Finaltag war ich bei 100 Prozent“, meint Müller. | |
| Mit der Goldmedaille auf anderer Ebene hat es am Ende nicht geklappt. Die | |
| Britin Jeanette Chippington erreichte nach 58,760 Sekunden das Ziel, Edina | |
| Müller nach 58,874. „Direkt nach dem Rennen habe ich mich schon sehr | |
| geärgert, vor allem, weil es so knapp war“, sagt Müller. „Doch letztlich | |
| ist es ja genau das, was dieses spannende Rennen ausmacht.“ Bei der WM im | |
| Mai hatte sie noch mit 0,1 Sekunden vorn gelegen.“ Längst überwiegt auch | |
| bei der Deutschen die Freude über den zweiten Platz. | |
| Der Blick geht nach vorne. Noch mal die Sportart wechseln wird die | |
| Hamburgerin nicht. Stattdessen hat Edina Müller bereits die nächsten | |
| Paralympics ins Visier genommen: „Als sich Tokio bei der Abschlussfeier in | |
| Rio als nächster Gastgeber präsentiert hat, habe ich gemerkt, dass ich | |
| einfach Lust darauf habe, noch einmal dabei zu sein.“ | |
| Dank dieser rechtzeitigen Entscheidung haben ihr Trainer und sie nun vier | |
| Jahre Zeit. „Da können wir das Training gut periodisieren und müssen unser | |
| Pensum nicht wieder durchprügeln“, sagt Müller. Mit nationalen und | |
| internationalen Meisterschaften stehen außerdem Etappenziele an, in denen | |
| sich die Parakanutin beweisen kann. Wenn die Vorbereitung nach Plan läuft, | |
| wird Edina Müller in rund 1.370 Tagen ihr nächstes Finale der | |
| Paralympischen Spiele bestreiten. Im Sea Forest Waterway von Tokio können | |
| dann erneut Bruchteile einer Sekunde entscheiden, wofür der jahrelang | |
| betriebene Aufwand am Ende reichen wird – aber das kennt die Hamburger | |
| Kämpfernatur dann ja schon. | |
| 2 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| David Hock | |
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