# taz.de -- Paralympics 2018 in Pyeongchang: Der aussätzige Aufsässige | |
> Yoo In-sik ist der Pionier des paralympischen Sports in Südkorea. Er | |
> kämpft gegen Vorbehalte. Die Winterspiele werden daran nichts ändern. | |
Bild: Wieder hoher Besuch: Auch bei den Paralympics sind nordkoreanische Sportl… | |
SEOUL taz | Eintrittskarten für die Eröffnungsfeier der Paralympischen | |
Spiele an diesem Freitag gibt es bereits seit Wochen nicht mehr. Dies wird | |
in Südkorea auch als Zeichen gedeutet, dass sich die Einstellung der | |
Bevölkerung gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen langsam ändert. | |
Yoo In-sik, der in einer ärmlichen Bauernfamilie im landwirtschaftlich | |
geprägten Südwesten der Halbinsel aufwuchs, hat das noch ganz anders | |
kennengelernt. Das Leben bot ihm nur wenig Perspektiven. Der | |
Wirtschaftsaufschwung der Metropole Seoul hatte während der 60er und 70er | |
Jahre längst noch nicht die hintersten Ecken des Landes erreicht. „Für mich | |
gab es damals nur ein Ziel: als Soldat anzuheuern. Das war das beste, was | |
ich aus meinem Leben machen konnte“, erinnert sich der heute 55-Jährige. | |
Doch es sollte anders kommen. Der Traum von Yoo In-sik zerschlug sich an | |
einem feuchtschwülen Sommertag im Jahre 1979. Mit seinen Freunden half er | |
damals auf einem Landwirtschaftsbetrieb aus, um sich während der Ferien | |
etwas Geld dazuzuverdienen. In einem unachtsamen Moment jedoch geriet Yoos | |
rechtes Knie in die Landegge eines Traktors. „Nach heutigem medizinischen | |
Stand hätte man mein Bein wahrscheinlich retten können, doch damals führte | |
kein Weg an einer Amputation vorbei“, sagt er. Nur wenige Monate vor dem | |
geplanten Einzug beim Militär musste der Südkoreaner nun plötzlich seine | |
Pläne komplett umkrempeln – und sich vorbereiten auf ein Leben mit | |
Prothese. | |
An diesem sonnigen Märznachmittag führt Yoo In-sik – ein kräftiger Mann mit | |
tief ins Gesicht gezogener Baseballkappe – durch seine Behindertenwerkstatt | |
im Nordosten von Seoul. Dort repariert er Rollstühle, gelegentlich auch | |
Ersatzteile für Mopeds. Es ist ein Brotjob, doch Yoo ist zufrieden, mit | |
etwas Sinnvollem seine Miete zahlen zu können. | |
## Widerstände machen stark | |
Dabei reicht nur ein Blick auf die Schreibtischwand; auf die unzähligen | |
Urkunden, sportlichen Auszeichnungen und vergilbten Turnierfotos, um die | |
wahre Leidenschaft des Südkoreaners zu erkennen: das Skifahren. „Erst durch | |
den Sport habe ich wieder Hoffnung und Zuversicht gewonnen. Dieses Gefühl, | |
über den Hang zu fliegen, ist für mich ein unglaubliches Glück“, sagt er. | |
Während seiner Reha in den 80er Jahren wurde Yoo durch Zufall in ein | |
Ski-Ressort verwiesen, wo er den Wintersport mühsam lernte: „Damals war | |
Skifahren ein Luxussport, der nur einer kleinen Elite vorbehalten war.“ In | |
jenen Tagen begann Yoo In-sik erstmals wieder zu träumen – von der | |
Teilnahme an einem internationalen Ski-Turnier. „Die Leute nahmen mich zwar | |
nicht ernst und finanzielle Unterstützung gab es kaum. Doch das steigerte | |
nur meinen Willen, immer härter zu trainieren“, sagt er. | |
Dass Sport als gesellschaftlicher Katalysator dienen kann, zeigten bereits | |
die Olympischen Sommerspiele 1988 in Seoul. Damals wurden erstmals die | |
Paralympischen Spiele ausgetragen – am selben Austragungsort wie die | |
Olympischen Spiele. Durch die mediale Aufmerksamkeit begann die Regierung | |
wenig später, Unternehmen mit einer Einstellungsquote für Menschen mit | |
körperlichen Beeinträchtigungen zu belegen. | |
Die traurige Wahrheit ist allerdings auch: Selbst im Jahr 2018 kaufen sich | |
viele Firmen mit einer vergleichsweise laxen Strafe von der Regelung frei. | |
Noch immer leiden Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung | |
im ostasiatischen Tigerstaat unter einem sozialen Stigma. Im letzten Jahr | |
hat dies ein besonders drastischer Fall offengelegt: Als die Seouler | |
Stadtregierung eine Sonderschule im Bezirk Gangseo-gu errichten wollte, | |
liefen die Hausbesitzer dagegen Sturm – aus Angst, dass durch den Bau die | |
Immobilienpreise in der Wohngegend sinken könnten. | |
## Abergläubische Abneigung | |
Auch Yoo In-sik kennt die Diskriminierung aus eigener Erfahrung: Etwa, wenn | |
sich die Leute im Gondellift nicht neben ihn setzen wollen: „Viele Koreaner | |
haben eine geradezu abergläubische Angst, dass es ihnen Unglück bringt.“ | |
Einmal, als er seine Beinprothese vor der Fahrt am Pistenende achtlos | |
hingelegt hatte, hat eine Reinigungskraft sie einfach weggeworfen. Damals | |
fühlte sich Yoo In-sik wie ein Aussätziger. | |
Doch sein hartes Training zahlte sich aus. Tatsächlich schaffte er die | |
Qualifikation für die Paralympischen Winterspiele im französischen | |
Albertville 1992. Wenn er von dem Wettbewerb berichtet, klingen seine | |
Anekdoten mehr als abenteuerlich: Erst um Mitternacht vor dem Turnier kommt | |
er in Albertville an, nach nur drei Stunden Schlaf geht es sofort auf die | |
Piste. Die alpine Berghöhe ist für den Südkoreaner ungewohnt, den | |
Streckenverlauf kennt er nur vage. Seine Skier sind eigentlich für den | |
Slalom ausgerichtet, dabei fährt er Abfahrt. Die Unterarmstützen hat Yoo | |
In-sik selber hergestellt. „Natürlich empfinde ich Bedauern, dass ich | |
damals weit abgeschlagen von den Medaillenplätzen im Mittelfeld landete. | |
Doch letztendlich habe ich das Beste aus der Situation zu gemacht“, sagt | |
der paralympische Vorreiter. | |
In Pyeongchang hätte sich Yoo In-sik gern seinen zweiten olympischen Traum | |
erfüllt: Als Testfahrer bei den Paralympics. Doch der Wintersportverband | |
lehnte seine Bewerbung ab. Doch Yoo versucht es positiv zu sehen, derzeit | |
konzentriert er sich aufs Gewichtheben und seine Arbeit in der Werkstatt. | |
Im Winter zieht es ihn trotz seiner 55 Jahre jedes Wochenende auf die | |
Piste: „Skifahren liebe ich noch immer wie am ersten Tag.“ | |
9 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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