Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sexroboter-Kongress in London: Die Module spielen verrückt
> Maschinen werden unsere Liebhaber der Zukunft, prophezeien Forscher. Das
> könnte unser Verständnis von Sex erschüttern – oder revolutionieren.
Bild: Roxxxys (r.) künstliche Intelligenz konnte nie öffentlich demonstriert …
Die Sonne steigt über den Häuserblocks einer Großstadt auf. „Guten Morgen!
Wach auuuf!“, flötet eine zuckersüße japanische Stimme dem jungen Mann zu,
der noch im Bett seiner Einzimmerwohnung liegt. Die Stimme entstammt einer
Glaskuppel neben seinem Bett, in der das bläulich leuchtende Hologramm
eines Manga-Mädchens in kurzem Kleidchen auf und ab hüpft.
Während er sich anzieht, erinnert die handgroße Animation ihn daran, seinen
Schirm nicht zu vergessen, im Büro erhält er eine SMS, dass sie ihn
vermisse. Bevor er nach Hause kommt, macht sie die Lichter in der Wohnung
an.
„Zu wissen, dass jemand zu Hause auf mich wartet, ist ein großartiges
Gefühl“, beschließt der junge Mann den Werbeclip, während er und seine
virtuelle Freundin gemeinsam fernsehen – er auf der Couch, sie im winzigen
Schaukelstuhl unter ihrer Kuppel.
Mit dem Video stellte die Japanische Firma Vinclu Inc. im Dezember ihr
Projekt Gatebox vor, das es Nutzern ermöglichen soll, mit dem
Lieblingscharakter zusammenzuleben. „Genieße ein Leben zu zweit, ohne deine
Freiheit aufzugeben“, wirbt die Firma auf ihrer Homepage. Sieht so die
Beziehung der Zukunft aus?
„Ich denke durchaus, dass Roboter in Zukunft unsere Liebhaber werden
könnten“, findet Dr. Kate Devlin, Forscherin im Bereich Informatik an der
Londoner Goldsmith Universität. Mit einem interdisziplinären Team
veranstaltete sie im Dezember den zweiten internationalen Kongress zum
Thema „Love And Sex With Robots“ in London.
## Sexroboter statt Prostitution
Der provokante Titel entstammt der gleichnamigen Arbeit David Levys,
Pionier der Künstlichen-Intelligenz-Forschung. Er betrachtet die
Entwicklung der Mensch-Maschine-Beziehungen von der Antike an
wissenschaftlich und sieht in liebesfähigen Robotern ein revolutionäres
Potenzial.
„Viele von uns, die ansonsten soziale Außenseiter oder Schlimmeres geworden
wären, werden durch Sexroboter zu ausgeglichenen Menschen“, prophezeit er
etwa den Nutzen für Menschen, die keine „echten“ zwischenmenschlichen
Beziehungen (mehr) eingehen können. Seiner Meinung nach könnten Sexroboter
auch menschliche Prostitution obsolet machen.
Aber die Thematik sorgt für Kontroversen. Der Kongress sollte ursprünglich
in Malaysia stattfinden, wurde aber von der dortigen Regierung verboten.
„Viele sind skeptisch und behaupten, Computerliebe sei kein akademisches
Feld. Dabei wirft sie spannende ethische, politische und soziale Fragen
auf“, sagt Devlin.
Die menschliche Faszination für Automaten ist keineswegs neu. Die
griechische Sagengestalt Pygmalion verliebte sich in seine gemeißelte
Galatea, Laodamia baute ihren verstorbenen Mann Protesilaus aus Bronze
nach, E. T. A. Hoffmanns Automat Olympia trieb Nathanael in den Wahnsinn –
es gibt zahllose Geschichten über Menschen, die zum Schöpfer werden und
sich in ihre Kreationen verlieben.
Filme wie „Blade Runner“, „Ex-Machina“ oder „Her“ erzählen
Liebesgeschichten mit Robotern, wobei Letztere durch Theodors Liebe zu
seinem körperlosen Betriebssystem Samantha erstaunlich nah an unsere
Beziehung zu smarten Geräten heranrückt. „Sexroboter müssen nicht unbedingt
menschliche Gestalt haben“, findet Devlin.
## Muss ein Sexroboter Geschlechtsverkehr haben?
Noch gibt es keine eindeutige Definition davon, was ein „Sexroboter“ ist.
Nach der Vorstellung vieler Forscher muss sich ein Automat nicht zwingend
für Geschlechtsverkehr hergeben, um als Sexroboter zu gelten. Entscheidend
ist die „Bewusstseinsfähigkeit“ durch künstliche Intelligenz. Das schlie�…
auch „Companion Robots“ mit ein, die durch den Anschein von
Empathiefähigkeit physische und psychische Geborgenheit schenken.
Solche Roboter werden längst zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Paro,
ein Robbenbabyroboter, der auf Berührung und Ansprache reagiert, wird seit
Mitte der 2000er als Therapiemittel für Menschen mit Demenz eingesetzt.
Pepper, ein humanoider Roboter auf Rädern, der auf Mimik und Gestik
reagiert, kann als Spielgefährte für Kinder oder im Gesundheitswesen als
Gefährte für Erwachsene eingesetzt werden. Sex darf man mit Pepper
allerdings nicht haben. Nach Erscheinen des Roboters 2014 wurde im Handbuch
nachgetragen, dass Pepper nicht für sexuelle Handlungen missbraucht werden
darf.
Kann man einen Roboter missbrauchen? Darf er Entscheidungen abwägen und
bestimmte Handlungen verweigern? In seinem Vortrag zum Thema „Machine
Ethics“ wirft der Wirtschaftsinformatiker Oliver Bendel viele ethische
Fragen im Umgang mit Robotern auf. Auch die Gestaltung der Roboter birgt
dabei Herausforderungen. Muss der Bau von Robotern in Kindergestalt
verboten werden, um sie zu schützen? Muss die Gestaltung „politisch
korrekt“ sein im Bezug auf ethnische Merkmale, um real existierende
Stereotype nicht zu erhärten? Antworten hat auch Bendel darauf bislang noch
nicht.
In welche gruselige Richtung die Entwicklung bei Nichtbeachtung dieser
Fragestellungen gehen könnte, zeigt der Fall Roxxxy. Das US-amerikanische
Unternehmen TrueCompanion wirbt auf einer Homepage für den angeblich ersten
Sexroboter der Welt. Die lebensgroße Frauenpuppe mit Plastikbrüsten und
vollen Lippen „ist immer erregt und jederzeit bereit zu reden oder zu
spielen“, heißt es dort. Bei einer Demonstration starrt sie ihren Erfinder
David Hines jedoch aus toten Augen an und spielt vorprogrammierte Sätze ab.
David Levy entlarvte mit einem 2010 veröffentlichten Aufsatz die angebliche
Pionierleistung als Betrug. Roxxxys künstliche Intelligenz konnte nie
öffentlich demonstriert werden, und das Unternehmen lieferte keine der
bestellten Puppen jemals aus.
## Auswirkungen auf reale Beziehungen
Der Betrugsskandal hat ein verzerrtes Bild des Sexroboters als leblose,
frauenverachtende Sexmaschine in den Köpfen festgesetzt. Doch das
Forschungsfeld gerät auch anderweitig in die Kritik. In ihrer „Kampagne
gegen Sexroboter“ spricht sich Kathleen Richardson, Forscherin für Ethik
und Robotics, besonders gegen die These David Levys aus, dass Sexroboter
menschliche Prostitution ersetzen könnten.
Diese Auffassung von Prostitution degradiere Sexarbeiterinnen zu Objekten.
Zudem könnte die daraus entstehende „asymmetrischen Beziehung“ zwischen
Mensch und einem von ihm beherrschten Roboter Auswirkungen auf reale
Beziehungen haben und patriarchale Machtverhältnisse verstärken.
Kate Devlin plädiert als Reaktion darauf für eine neue Narration. „Eine
Maschine ist ein weißes Blatt, auf dem wir unsere Ideen neu gestalten
können. [. . .] Warum muss ein Sexroboter überhaupt eine binäre
Geschlechtsidentität haben?“, fragt sie in ihrem Essay „In defence of sex
machines“. Statt Verboten und prüdem Denken fordert sie Offenheit für die
Vielfalt der Möglichkeiten, denn: „Maschinen sind das, was wir aus ihnen
machen.“
Die auf dem Londoner Kongress vorgestellten Forschungsprojekte spiegeln
diese Freiheit der Gestaltungsmöglichkeiten beispielhaft wider: Kissenger,
ein Interface für Smartphones, ermöglicht es Partnern, mit einer sensiblen
Oberfläche einen „Kuss“ zu übertragen. Mit Teletongue, einem Lollipop in
Form eines Ohrs mit eingebautem Mikrofon, soll orale Interaktion ermöglicht
werden. ROMOT, ein interaktives 3-D-Kino, schafft durch den Einsatz
zusätzlicher Sinnesstimulationen mit Gerüchen und Luft- und
Wasserzerstäubern ein ganzheitliches, sinnliches Eintauchen in einen Film –
was auch für Pornos völlig neue Erlebnisdimensionen eröffnen könnte.
Viele offene Fragen, doch auch eine Menge Potenzial – die Vordenker auf dem
Londoner Kongress stoßen mit ihren Ideen die Tür zu einem Feld auf, das die
Mitte der Gesellschaft schneller erreicht haben könnte, als wir heute
denken. Vor knapp zehn Jahren stellte Steve Jobs das erste iPhone vor,
heute können viele kaum noch ohne leben.
Wir lieben unsere Technik und binden uns emotional an Geräte. Auch wenn
sich die Forscher einig sind, dass sich zwischenmenschliche Beziehungen
niemals vollständig durch Roboter ersetzen lassen können – die Liebe des
jungen Japaners zu seiner virtuellen Manga-Freundin könnte in Zukunft
immerhin eine mögliche Form der Beziehung sein.
17 Jan 2017
## AUTOREN
Laura Aha
## TAGS
Sex
Roboter
Wissenschaft
Zukunft
Liebe
Sex
Lesestück Recherche und Reportage
Davos
Fischerei
künstliche Intelligenz
Pakete
Selbstfahrendes Auto
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Beziehung und Erotik: Als wir den Sex verloren
Kann eine Beziehung ohne Sex gutgehen? Eine Liebesgeschichte aus zwei
Perspektiven – und der des Therapeuten.
KI „Alexa“ von Amazon: Lass uns trotzdem Freunde bleiben
Alexa ist eine künstliche Intelligenz, Hausfrau und stolzer Single. Sie
wohnt in einer kleinen Box. Wir haben das Zusammenleben mit ihr getestet.
Weltwirtschaftsforum in Davos: Hauptsorge Nationalismus
Weltwirtschaftsforums-Chef Klaus Schwab fragt, was passiert, wenn Internet,
künstliche Intelligenz und Roboter immer mehr Jobs vernichten.
Angelroboter hilft beim Fischefangen: Das Ende des Singletaskings
Beim Angeln kann ab sofort ein Roboter-Rochen helfen, die Fische
aufzuspüren. Ist das das Ende des entspannten Herumsitzsportes?
Forscher über Intelligenz von Robotern: „Unser Geist liegt in Fesseln“
Roboter und Menschen denken nicht unterschiedlich, sagt der
Kognitionsforscher Joscha Bach. Ein Gespräch darüber, wie Maschinen die
Welt verändern.
Die Wahrheit: Die Kurierrepublik
Neues von der Zukunft der Arbeit: Werden wir eine Nation von Botengängern?
Wenn es nach Angela Merkel geht, spätestens ab dem Jahr 2021.
Ubers autonome Autos sind nicht autonom: Streit in San Francisco
Uber weigert sich, für seine Roboter-Fahrzeuge eine Sondererlaubnis zu
beantragen. Sie benötigten schließlich noch einen Fahrer.
Menschen und Maschinen: Die Roboterfabrik
Der chinesische Gerätehersteller Midea schluckte die deutsche Firma Kuka.
Besuch bei einem Konzern, der Robotern das Lernen beibringt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.