# taz.de -- Debatte Roboter: Die automatisierte Zukunft | |
> Roboter und Computer übernehmen immer mehr Arbeit. Davon profitieren | |
> Aktionäre, Arbeiter verlieren. Das könnte zu sozialen Konflikten führen. | |
Bild: Mehr Freizeit: Roboter werden menschliche Aufgaben übernehmen. | |
Oxford ist ein Ort, an dem uralte Traditionen herrschen und brandaktuelle | |
Wissenschaft betrieben wird. Zeremonielle Schwerter, sozusagen, und | |
Cutting-edge-Forschung. Die Abendessen an dem berühmten High Table beginnen | |
mit einem Gebet (in manchen Colleges, bei manchen Masters allerdings mit | |
einer lateinischen Kurzformel), am Tisch unterhalten sich Ingenieure mit | |
Literaturwissenschaftlern, Mediziner mit Historikern. Wenn nicht fürstlich | |
aufgetischt wird – es gibt auch wohl einen entsprechend gut sortierten | |
Weinkeller –, wird mit mönchischer Hingabe das Denken weitergedreht, um | |
eine Nuance oft, manchmal um einen ganzen Zahn. | |
Es würde Einstein gefallen: Dort, wo die Zeit stillsteht, rast sie in die | |
Zukunft. Etwa bei den Forschungen von Michael Osborne und Carl Benedikt | |
Frey vom Oxford Martin Programme on Technology and Employment, die sich | |
einem der wichtigsten Themen unserer Zeit widmen: der Automatisierung der | |
Wirtschaft. | |
Schon 2013 haben sie [1][Aufsehen erregt mit einer Studie], die zu dem | |
Resultat kommt, dass 47 Prozent der gegenwärtigen Arbeitsplätze in den USA | |
in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren höchstwahrscheinlich verschwinden | |
werden. Im Anhang ihrer Studie führen sie auf, welche Berufe in welchem | |
Ausmaß betroffen sein werden: Nicht nur Kassiererinnen und Lagerarbeiter, | |
sondern viele Berufe, die rein auf kognitiver Routine beruhen. | |
Natürlich bleiben solche Projektionen, egal wie solide sie fundiert sind, | |
stets nur Prophezeiung, und der Zeitrahmen ist nicht gerade präzise, aber | |
der Quintessenz, dass ein gewaltiger Teil der heute geläufigen Arbeit von | |
Robotern und Computern übernommen werden wird, kann man wohl kaum | |
widersprechen. | |
## Rasante technologische Entwicklung | |
Wahrscheinlich sind diese Vorhersagen sogar zu konservativ. Eine besonders | |
eindrückliche Grafik zeigt, wie lange es gedauert hat, bis eine neue | |
Erfindung 50 Millionen Nutzer gefunden hat: Beim Telefon 75 Jahre, beim | |
Radio 38 Jahre, beim Fernseher 13 Jahre, beim Internet 4 Jahre, bei | |
Facebook 3,5 Jahre, bei Angry Birds nur 35 Tage! Mit anderen Worten, die | |
Rasanz der technologischen Entwicklung dürfte die Erwartungen eher | |
übertreffen. Weswegen die Zahlen in der neuen Studie, die sich auf | |
Großbritannien konzentriert, wo 35 Prozent der Arbeitsplätze in hohem Maße | |
bedroht sind, eher als Tendenz denn als präzise Vorhersage zu verstehen | |
sind. | |
Ein weiteres Beispiel: In Deutschland ist die Zahl der Bankfilialen pro | |
100.000 Einwohner von 21,3 im Jahre 2004 auf 14,7 im Jahre 2013 gesunken, | |
eine Abnahme von fast einem Drittel. Die Gründe sind natürlich komplex, | |
gehen über den Einfluss des Online-Bankings hinaus, aber die Zahlen zeigen | |
eindeutig, dass wir in eine Phase der Umwälzung getreten sind. Laut einer | |
Untersuchung von McKinsey wird die Zahl der industriellen Roboter weltweit | |
von gegenwärtig 15 Millionen bis 2025 auf 25 Millionen steigen. | |
Allerdings zeigen Frey und Osborne auch auf, dass diese Entwicklung bislang | |
nur einigen wenigen zugute gekommen ist. Die Polarisierung bei den | |
Einkünften schreitet rapide voran, bemerkenswerterweise unabhängig von der | |
jeweiligen Wirtschaft. | |
Die entsprechende Grafik zeigt, dass in allen angeführten Ländern, ob | |
Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Deutschland oder USA, die hohen | |
Einkommen stark ansteigen, die mittleren stagnieren, die niedrigen hingegen | |
fallen. Was die Verteilung des Reichtums betrifft, zeigen sich Differenzen | |
zwischen den USA, wo sich der Anteil des obersten 0,1 Prozent seit 1980 in | |
etwa verdreifacht hat, und Frankreich oder Japan, wo er nur leicht | |
angestiegen ist. | |
## Aktionäre sind die Gewinner | |
Die Statistiken und Grafiken der Wissenschaftler sind in Blau gehalten, im | |
Schaufenster von Oxfam inmitten Oxfords prangt ein rotstrotzendes Plakat, | |
dass die gleiche Information spektakulärer auf den Punkt bringt: Jenen | |
achtzig Menschen, die in einem Doppeldeckerbus Platz finden, gehört die | |
Hälfte allen Vermögens. | |
Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu erkennen, dass eine Entwicklung | |
nicht lange fortwähren kann, bei der zum einen traditionelle Arbeit | |
verloren geht, andererseits aber der weiterhin wachsende Reichtum der | |
Gesellschaft (denn Roboter sind ja sehr produktiv) an einige wenige | |
verteilt wird. | |
Jenseits der Milliardäre sind die Aktionäre, das dürfte inzwischen | |
hinlänglich bekannt sein, die großen Gewinner der Digitalisierung und | |
Automatisierung, Arbeiter und Angestellte die großen Verlierer. Die Frage | |
aber, die sich an diese Diagnose anschließt, müsste lauten: Wenn | |
perspektivisch ganze Wirtschaftsbereiche mehr oder weniger | |
vollautomatisiert sein werden, wieso nicht jeden Bürger und jede Bürgerin | |
zum Aktionär werden lassen? Anstatt immer weniger und immer schlechter | |
bezahlte Arbeit auf immer mehr Köpfe zu verteilen? | |
Weil die Berufsgruppen sehr unterschiedlich betroffen sind, werden Städte | |
und Länder, die einen hohen Anteil an hochqualifizierten, kreativen | |
Fachkräften aufweisen, von diesen Umwälzungen weniger betroffen sein, was | |
Osborne und Frey an einer Studie über Londons zukünftigen Arbeitsmarkt | |
belegen. Folgerichtig schlagen sie in allen ihren Publikationen vor, die | |
Bildung entsprechend diesen Zukunftserwartungen und Herausforderungen | |
umzustrukturieren, ganz im Gegensatz zur gegenwärtigen Entwicklung gerade | |
jenen Geist zu fördern, welcher den Menschen immer noch von der Maschine | |
positiv unterscheiden: das freie, über alle Grenzen und Regeln und Gebote | |
hinausgehende, eigenwillige Denken. | |
Ob dieses Umdenken in der Bildungspolitik stattfinden wird, ist fraglich, | |
nicht nur weil Einsicht und Zeit fehlen, sondern weil dem neoliberalen | |
Kapitalismus das Wohl der gesamten Gemeinschaft nicht als oberste Priorität | |
gilt. Deswegen ist es wahrscheinlicher, dass die Entwicklungen, die Osborne | |
und Frey so genau untersuchen wie niemand sonst, zu sozialen Konflikten und | |
revolutionären Zuständen führen. Irgendwann wird der Doppeldeckerbus mit | |
den achtzig Halbweltbesitzern angehalten werden, spätestens an der | |
Endstation. Dann heißt es wie immer: „Alle aussteigen.“ | |
29 Apr 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employmen… | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
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