# taz.de -- Gehirnforschung und Roboter: Wurm in der Maschine | |
> Ist es möglich, ein Gehirn komplett als Computerprogramm nachzubauen? | |
> Einem US-Forscher ist die Simulation für einen winzigen Wurm gelungen. | |
Bild: Intelligenter als ein Wurm: Disney-Aufräumroboter WALL-E | |
BERLIN taz | Der Lego-Roboter fährt bis an die Wand heran. Dann hält er | |
kurz inne, fährt zurück, wieder an die Wand und beginnt dann, sich langsam | |
zu wenden und fährt in eine andere Richtung davon. Zugegeben, das kleine | |
Wendemanöver allein ist kaum außergewöhnlich in der Zeit von | |
selbstfahrenden Autos – sensationell wird es erst durch die Geschichte, die | |
zu dem Roboter gehört. Und die geht so: Der Roboter ist eigentlich ein | |
Lebewesen. | |
Der Roboter, so beschreibt es der Robotikforscher Timothy Busbice, denkt, | |
er sei ein millimetergroßer Fadenwurm mit dem wissenschaftlichen Namen | |
„Caenorhabditis elegans“ (kurz C. Elegans). Seit den 1960er Jahren ist der | |
Wurm sehr genau erforscht worden, sein Erbgut entschlüsselt und sein | |
Nervensystem auf jeden der 302 Neuronen beschrieben. Eine Forschergruppe, | |
denen Busbice auch angehört, versucht nun, [1][den Wurm Molekül für Molekül | |
virtuell vollständig nachzubauen]. | |
Als Nebenprojekt schrieb Busbice ein Programm, das die 302 Neuronen des C. | |
Elegans und deren 7.500 Verbindungen simuliert. Wird das System angeregt, | |
beginnen die einzelnen Neuronen sich gegenseitig zu stimulieren und geben | |
die virtuellen elektrischen Signale aneinander weiter. Das Programm schloss | |
Busbice an einen einfachen Legoroboter an, der mit Sensoren und Rädern die | |
Sinnesorgane und Muskeln des Fadenwurms repräsentiert (eine genauere | |
Beschreibung des Projekts findet sich im [2][aktuellen Heft der Zeitschrift | |
BioCoder]). „Wir hatten am Anfang keine Ahnung, was passieren würde“, sagt | |
Busbice. „Zu unserer großen Überraschung fing der Roboter sich so zu | |
verhalten, wie es der C. Elegans auch tut.“ | |
Sensationell an Busbice's Beobachtungen ist, dass der Roboter keine | |
zusätzlichen Programme hat, die sein Verhalten steuern. Das selbstständige | |
Wendemanöver wird vollständig durch das Neuronensystem erzeugt. „Wenn man | |
einen Stuhl in die Mitte des Zimmers stellt, umfährt der Roboter ihn jedes | |
Mal auf unterschiedliche Weise“, sagt Busbice. „Ich lasse ihn manchmal | |
stundenlang meine Wohnung erkunden. Es ist als habe man eine Katze im | |
Haus.“ Inzwischen werde er auch angefragt, um beim C. Elegans beobachtetes | |
Verhalten mit dem Roboter zu überprüfen. | |
Wenn ein Roboter mit einem simulierten Wurmgehirn sich so verhält wie der | |
Wurm – was bedeutet das für, beispielsweise, menschliche Intelligenz oder | |
das Bewusstsein? Auf einem sehr niedrigen Niveau heißt es wohl: Es ist | |
wahrscheinlich, dass sogar so komplexe Phänomene nichts weiter sind als das | |
Ergebnis von komplexen Nervensystemen. Der C. Elegans enthält 302 Neuronen | |
– das menschliche Gehirn allein enthält um die 30 Milliarden Neuronen, es | |
ist um einen Faktor 100 Millionen größer. Hinzu kommt, dass mit der Zahl | |
der Neuronen, die Zahl der möglichen Verbindungen noch viel stärker | |
ansteigt und im menschlichen Gehirn sich ständig neue Verbindungen bilden, | |
anders als beim C. Elegans. | |
Doch von einer Simulation des menschlichen Gehirns ist Busbice noch weit | |
entfernt. In näherer Zukunft könnten Explorationsroboter seine | |
Forschungsergebnisse verwenden, weil die simulierten organischen Gehirne | |
auf andere Weise Probleme lösen könnten, als herkömmlich produzierte | |
Roboter. „Die neuen automatischen Staubsauger bleiben immer wieder mal | |
stecken“, sagt Busbice. „Dagegen könnte ein solcher Roboter sich vermutlich | |
befreien.“ | |
Zunächst steht jedoch eine Untersuchung der neuronalen Struktur des | |
Fadenwurms an, um zu erklären, wie genau das Verhalten im Roboter zustande | |
kommt. Der nächste Schritt wäre dann, ein komplexeres Lebewesen zu | |
simulieren: „wahrscheinlich eine Taufliege – aber schon das wird viel | |
aufwändiger, weil die 100.000 Neuronen haben“, sagt Busbice. Zwischen ihnen | |
gibt es etwa 10 Milliarden Verbindungen. | |
22 Dec 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.openworm.org/ | |
[2] http://www.oreilly.com/biocoder/ | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
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