# taz.de -- Technikforscher über neue Intelligenz: „Eine typische Vermenschl… | |
> Die Rechenleistung von Maschinen überholt das menschliche Gehirn. Von | |
> „neuer Intelligenz“ will Technikforscher Christopher Coenen nicht | |
> sprechen. | |
Bild: Vor denen müssen wir wohl eher keine Angst haben. (Archivbild 2003) | |
taz.am wochenende: Herr Coenen, Sie bearbeiten mit Kollegen vom [1][Büro | |
für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)] momentan ein | |
Projekt zum Thema „Mensch-Maschine-Entgrenzung“. Hat die Politik Angst vor | |
Künstlicher Intelligenz? | |
Christopher Coenen: Von Angst würde ich nicht sprechen. Aber manche | |
Abgeordnete sind besorgt und fragen sich, was sich in der Neuro- und in der | |
KI-Forschung entwickelt. Sie interessieren sich auch für die aktuellen | |
Diskussionen um [2][Cyborgs, also Mensch-Technik-Verschmelzungen], und um | |
Künstliche Intelligenz (KI). Die Politiker wollen wissen, ob diesen | |
„transhumanistischen“ Diskussionen realistische Zukunftsbilder zugrunde | |
liegen. | |
Der Informatiker Jürgen Schmidhuber, der zu Künstlicher Intelligenz | |
forscht, glaubt, dass in wenigen Jahrzehnten ein einziger Computer die | |
Rechenkraft der ganzen Menschheit haben wird. | |
Zweifellos wird die Rechenleistung weiter schnell wachsen. Das ist eine | |
überzeugende Prognose. | |
Schmidhuber sagt, das stelle den Menschen als Krone der Schöpfung infrage. | |
Ich glaube nicht, dass dies ein zutreffendes Bild ist. Diese Angst-Lust | |
teile ich nicht, dass da etwas kommt, das uns zerstört oder erlöst von | |
unserer metaphysischen Einsamkeit im All. | |
Verharmlosen Sie damit nicht die Entwicklung? | |
Es stimmt, dass die Systeme immer komplexer werden und von den Menschen zum | |
Teil gar nicht mehr zu verstehen sind. Sie könnten auch außer Kontrolle | |
geraten. Aber ich sehe nicht, dass daraus eine [3][gänzlich neue Form der | |
Intelligenz] entsteht. | |
Sie sehen also keine Anhaltspunkte dafür, dass Künstliche Intelligenz ein | |
Selbstbewusstsein entwickeln kann? | |
Nein. Wir haben ja schon kein gutes Verständnis davon, warum wir selbst | |
selbstbewusst sind. Ein denkendes Wesen mit Bewusstsein und einer | |
Persönlichkeit wie HAL aus „2001 – Odyssee im Weltraum“ – sehe ich nic… | |
entstehen. | |
Was ist der Unterschied zwischen Intelligenz und Selbstbewusstsein? | |
Selbstbewusstsein ist das Wissen um die eigene Existenz, die Fähigkeit, | |
sich selbst und seine Handlungen zu reflektieren. Das ist etwas anderes als | |
Rechenleistung. Wie soll aus der Quantität eine neue Qualität werden? | |
Würden Sie also sagen, Maschinen können nur instrumentelle Vernunft | |
erlernen? | |
Auch wenn quasi eine andere Art von Vernunft in sie hineingebaut würde, | |
blieben es letztlich Instrumente. Diese Vernunft bliebe deshalb also immer | |
zweckrational. | |
Der Historiker Philip Mirowski spricht schon heute von einer | |
Cyborg-Ökonomie. | |
Ja, aber das ist etwas anderes: Soziotechnische Systeme, wie das in der | |
Soziologie genannt wird, werden auf jeden Fall immer komplexer. Ein | |
Beispiel ist die Börsenwelt. Die Händler verstehen nicht mehr, wie ihre | |
Systeme funktionieren. | |
Heißt das, wir sind schon heute der Technik unterworfen? | |
In gewisser Hinsicht konnten wir uns noch nie unabhängig von Technik | |
definieren. Das Smartphone, das unser Gespräch hier aufzeichnet, bestimmt | |
unser Verhalten mit. Der Mensch ist das Technik nutzende Wesen. | |
Viele Wissenschaftler sind von den Möglichkeiten der Künstlichen | |
Intelligenz, die sie in Zukunft erwarten, begeistert. Andere warnen: Die KI | |
könnte das Ende der Menschheit einläuten. | |
Aber beide Aussagen kommen aus dem gleichen, stark transhumanistisch | |
geprägten Milieu. Diejenigen, die Diskussionen über solche existenziellen | |
Risiken anfachen, erhoffen sich zugleich besonders viel von der Künstlichen | |
Intelligenz. Beispielsweise der [4][Internetunternehmer Elon Musk] oder der | |
[5][Philosoph Nick Bostrom]. Das ist die Aufmerksamkeitsökonomie: In dieser | |
ist es fast egal, ob du sagst, irgendeine Entwicklung kann die Welt retten | |
oder vernichten. Ähnliches findet sich bei den Diskussionen um synthetische | |
Biologie oder Nanotechnologie: Neuerschaffung oder Untergang der Welt. | |
Utopie und Dystopie liegen nah beieinander. Wo verorten Sie sich? | |
Aus der Perspektive der Technikfolgenabschätzung würde ich sagen: Da tun | |
sich viele interessante Dinge, aber radikal Umstürzendes im | |
transhumanistischen Sinn sehe ich nicht. Trotzdem habe ich seit Monaten | |
fast jede Woche eine Interviewanfrage zu dem Thema. Es ist ein Hype. | |
Wie erklären Sie sich das? | |
Wir haben umstürzende Veränderungen in unserer Realität, eine vollkommene | |
Technisierung des Soziallebens, angefangen mit dem Babyphone und endend mit | |
dem virtuellen Friedhof. Das beunruhigt uns. Wenn wir über Gefahren von | |
Künstlicher Intelligenz in der Zukunft sprechen, geht es eigentlich um | |
unsere Gegenwart. | |
Computersysteme können heute selbst lernen. Ist das nicht eine andere | |
Qualität als ein Babyphone? | |
Sicherlich, aber der Mainstream der KI-Forscher unterscheidet zu Recht | |
zwischen Maschinenlernen und den übertriebenen Visionen zu Künstlicher | |
Intelligenz. Die Forschung kann sich zum Teil daran orientieren, wie das | |
menschliche Gehirn funktioniert, aber es geht nicht um die Erschaffung | |
neuer Wesen. Viele KI-Forscher sind irritiert über die aktuelle Diskussion. | |
Die fragen sich: Kommt jetzt wieder eine Debatte, die dem Ansehen des Fachs | |
schadet, wie es sie bis Mitte der 1990er Jahre mehrfach gegeben hat? | |
Aber seitdem hat sich in der Forschung viel getan. Mittlerweile können | |
Geräte sogar unsere Gefühle erfassen und simulieren. | |
Das stimmt zum Teil. Aber das heißt ja nicht, dass uns etwas gegenüber | |
sitzt, das selbst fühlt. Im Alltag gibt es schon KI, die Gefühle simuliert: | |
Datingportale nutzen zum Beispiel Bots, die dem Nutzer antworten, und der | |
denkt, er spricht mit seiner Traumfrau. Aber dieser Bot ist doch trotzdem | |
nicht jemand, der sich fragt, warum er existiert und ob es einen Gott gibt. | |
Die Künstliche Intelligenz kann also unkontrollierbar werden, aber nicht | |
die Macht ergreifen. | |
„Die Macht ergreifen“, das ist so eine typische Vermenschlichung. Es gibt | |
das Gedankenspiel des Philosophen Bostrom von einer Künstlichen | |
Intelligenz, die erschaffen wurde, um Büroklammern herzustellen. Und dann | |
ordnet diese Künstliche Intelligenz alles dem Ziel unter, Büroklammern | |
herzustellen. Das endet in einem Universum, das vollständig in Büroklammern | |
umgearbeitet ist. | |
Klingt unwahrscheinlich. | |
Ja, aber es können Systeme geschaffen werden, denen Ziele eingebaut sind, | |
und wir Menschen unterwerfen uns solchen Systemen. Das kann auch eine | |
positive Vision sein. | |
Eine Büroklammern-Maschine ist ja nicht die gefährlichste Vision. Auch im | |
Militär wird an der KI geforscht. In einem [6][offenen Brief] hat der | |
berühmte Physiker Stephen Hawking zusammen mit mehr als 16.000 anderen | |
Wissenschaftlern vor einer „dritten Revolution“ in der Waffentechnik | |
gewarnt – nach dem Schwarzpulver und der Nukleartechnik. | |
Die Beunruhigung ist verständlich, weil es um existenzielle Entscheidungen | |
geht – Leben oder Tod. Wenn wir an diese Geräte Entscheidungen übertragen, | |
hat das im militärischen Bereich eine andere Qualität als eine | |
Konsumempfehlung. | |
Wo sollten wir der KI Grenzen setzen? | |
Wir sollten keine Entscheidungen, bei denen es um Leben und Tod geht, durch | |
technische Prozesse ersetzen. So neu ist das Problem aber nicht. | |
Warum? | |
Schon heute ist es Realität, etwa in der Medizin oder an der Börse, dass | |
Entscheidungen auf der Basis technisch erzeugter Handlungsempfehlungen | |
getroffen werden. Der Mensch versteht nicht, wie es zu den Empfehlungen | |
kommt, und muss sich darauf verlassen. | |
Wir haben die Grenze also längst überschritten. | |
Ja. Aber weiterhin wichtig ist, dass solche Prozesse möglichst transparent | |
sind. Das wäre eine Art ethische Leitlinie. Das ist in der Realität | |
allerdings nicht immer möglich. Wenn wir sehr schnell eine Entscheidung | |
treffen müssen, dann vertrauen wir darauf, dass Technik von gutwilligen | |
Menschen so eingerichtet wurde, dass wir geeignete Entscheidungsgrundlagen | |
erhalten. Aber dann bleibt es trotzdem noch unsere Entscheidung, was wir | |
tun. | |
Im 19. Jahrhundert haben Arbeiter Maschinen zerstört, weil sie Angst | |
hatten, überflüssig zu werden. Kommt der Kampf zwischen Mensch und Maschine | |
zurück? | |
Nein, es ist auch heute noch ein Kampf zwischen Menschen um Ressourcen. Wir | |
müssen uns die Frage stellen, was wir aus dem technischen Fortschritt und | |
dem Produktivitätszuwachs machen. Wir sind nah dran, dass fast alle | |
stupiden Arbeiten von Maschinen übernommen werden können. Klar ist, dass | |
viele Jobs wegfallen und durch Technik ersetzt werden, um Kosten zu sparen. | |
Es ist eine politische Frage, wie wir damit umgehen. | |
11 Sep 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tab-beim-bundestag.de/de/ | |
[2] /!5056686/ | |
[3] /!5040153/ | |
[4] /!5214394/ | |
[5] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/nick-bostrom-zukunftsdenker-d… | |
[6] http://futureoflife.org/AI/open_letter_autonomous_weapons | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
Bigna Fink | |
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