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# taz.de -- Bodyhacking: „Der Körper wird digital stimuliert“
> Die italienische Hackerin Tatiana Bazzichelli fordert mehr Lust beim
> Hacken. Ein Gespräch über Cyborgs, Sex-Toys und politische Neugier.
Bild: Beim Hacken nicht immer nur an Computer denken, Jungs!
taz: Frau Bazzichelli, Sie schmunzeln manchmal über die etwas
technikversessene Hackerkultur in Deutschland. Was ist so schlimm an
deutschen Hackern?
Tatiana Bazzichelli: Gar nichts. Aber ich stelle fest: Sie könnten
lustvoller sein, politischer, körperbetonter.
Körperbetont?
Meine Erfahrung in Deutschland ist: Wenn hier von Hacking gesprochen wird,
muss immer ein Computer im Raum sein. Das ist traurig und eine überkommene
Art, über Hacking zu reden. Ist Hacking nicht eigentlich eine Form der
Neugier, der Offenheit? In Italien habe ich unter Hackern ein völlig
anderes Selbstverständnis kennengelernt.
Und zwar?
Hacking ist nicht in erster Linie eine technologische Herausforderung,
sondern eine Geisteshaltung, eine Idee, eine mentale Perspektive. Es ist
der Versuch, sowohl technische wie soziale Limitierungen zu überwinden.
Natürlich gibt es gerade in technologischen Bereichen immense
Herausforderungen für Hacker. Aber vor allem ist es doch ein zutiefst
politischer Begriff, der eine schöne anarchistische Tradition hat.
Inwiefern unterscheidet sich denn die italienische Hackingkultur von der
deutschen?
Natürlich ist die italienische Hackerszene wesentlich kleiner als die
deutsche Szene und international auch bei Weitem nicht so einflussreich.
Sie ist stark beeinflusst von der Rolle, die der Chaos Computer Club in
Deutschland und dessen Mitbegründer, der Anarchist Wau Holland, gespielt
haben. Auch Wau Holland hat Hacking ja immer als soziales und politisches
Projekt verstanden. In Italien hat sich die Hackerszene in weiten Teilen
aus besetzten Häusern, anarchistischen Kollektiven und sozialen Zentren
heraus entwickelt. Die ersten Formen von Internetforen und Chatrooms wurden
gerade unter Aktivisten viel genutzt. Dadurch gab es bereits in ihrer
Entstehung große Bezüge zwischen Hackingkultur und etwa der italienischen
Punkkultur. Diejenigen, die technologisch arbeiteten, haben das also als
immanent politisch begriffen. Das gibt es in Deutschland natürlich auch.
Aber es gibt eine Ebene, die es bis heute noch kaum in das
Alltagsverständnis der deutschen Hackingszene geschafft hat.
Und die wäre?
Der Körper.
Wie meinen Sie das?
Wenn Sie die Realität dekonstruieren wollen, wie es Hacker tun sollten,
müssen Sie bei sich selbst anfangen. Sie müssen den Begriff hinterfragen,
der Sie beschreibt. Und Sie müssen hinterfragen, was Sie in elementarer
Weise ausmacht. Das ist der Körper. Es gibt viele Dinge, die in Italien
überhaupt nicht vorbildlich laufen, aber ich habe dort oder auch in Spanien
erlebt, dass sich Frauen wesentlich selbstverständlicher als Hackerinnen
begriffen und das für sie Nahe liegende erprobt haben. Sie haben sich etwa
ihre eigenen Sexspielzeuge entworfen, gebaut, verändert, haben
experimentiert und sich anschließend darüber ausgetauscht.
Was hat das mit Punkkultur und autonomen Zentren zu tun?
Wenn Sie es gewohnt sind, sich in besetzten Häusern selbst zu helfen, zu
improvisieren und zu erfinden und diese Erfahrung des Do-it-yourself auf
sich selbst beziehen, landen sie schnell bei äußerst interessanten
Spielereien. Die Erkundung des Körpers ist ja eine lustvolle Erfahrung und
ich will es mal so sagen: Ich stelle es mir bereichernd vor, wenn wir
einigen Jungs, die bislang beim Hacken nur an Computer dachten, beibringen
könnten, sich selbst als Objekte ihrer Hacks zu entdecken. Das hat schon zu
vielen schönen Entdeckungen geführt und ich meine damit nicht nur
Sexspielzeuge.
Sie meinen aber durchaus auch Sexspielzeuge.
Ja, natürlich. Die Ansätze einer solchen lustvollen feministischen
Hackingszene gibt es international ja schon lange. Sie hat es nur meiner
Wahrnehmung nach nie wirklich ins Alltagsbewusstsein der Hackingkultur in
Deutschland geschafft. Schon 1991, da gab es das Internet ja kaum, haben
Feministinnen mit dem Cyberfeminist Manifest erste Interventionen
entworfen. Es ging schon damals darum, die maskulin geprägte Logik, die die
technologische Kultur ja weitgehend dominiert, zu attackieren. Allerdings
auf eine lustvolle Weise – mit spielerischen Bekenntnissen zur Pornografie
und Selbstdekonstruktion.
In Deutschland ist das noch nicht angekommen?
Auf dem letzten Kongress des Chaos Computer Clubs gab es eine kleine Gruppe
von Frauen, die sich jenseits des offiziellen Programms darüber Gedanken
gemacht haben, was sie im nächsten Jahr auch im offiziellen Programm
anbieten können. Aber wieso steht die Frage des Körpers eigentlich nicht im
Mittelpunkt, wenn es doch der Schlüssel zu vielen politischen Fragen ist?
Wie darf ich sein? Wie darf ich mich geben? Wie werde ich definiert und
gesehen? Wo sind meine Beschränkungen?
Warum sollte der Körper denn eine zentrale Rolle spielen?
Weil er ganz zentrale politische Fragen aufwirft. Kultur ist ja schließlich
auch nur eine Form des Programmierens. Wir haben mit der Lektüre der
Schriften von Michel Foucault schon vor Jahrzehnten gelernt, wie sich
Machtverhältnisse im Körper niederschlagen. Heute stehen wir an einem
Punkt, an dem es ganz unmittelbare Bezüge zwischen unserer technologischen
Umwelt und unserem Körper gibt. Unser Körper wird auf vielfältige digitale
Weisen gezielt stimuliert, gelenkt, gesteuert. Wir erleben eine
Digitalisierung, die kabellos und permanent in unsere Alltagswelten
interveniert. Wir müssen uns also ernsthaft darüber Gedanken machen, wo die
Cyborg-Identität beginnt und wie die Übergänge zwischen menschlichem und
virtuell geleitetem Verhalten verlaufen. Der Körper steht zur Disposition.
Und dennoch thematisieren wir selbst den Körper kaum.
Das stimmt nicht ganz. Ganze Studentengenerationen haben sich
geflissentlich an den Schriften Judith Butlers abgearbeitet und in endlosen
Textexegesen dekonstruiert, warum das Geschlecht sozial konstruiert ist und
wie dies sich auch in unseren Körperlichkeiten niederschlägt.
Ja, und das ist ja nicht falsch. Das entscheidende Problem ist jedoch, dass
über Judith Butler vor allem Akademiker reden. Das kann man zwar machen,
führt aber nur bedingt weiter. Was ich etwa in Italien erlebt habe, war ein
viel praktischerer Ansatz: eine lustvolle und sehr unmittelbare
Auseinandersetzung damit, was Technologie ist und was Hacking kann. In
dieser Auseinandersetzung haben Frauen auch ganz selbstverständlich ihre
Räume.
In der deutschen Queer-Szene, die Geschlechterrollen radikal hinterfragt,
ist diese Auseinandersetzung seit Jahren eine Selbstverständlichkeit. Das
sind also Hacker_*Innen in Ihrem Sinne?
Natürlich. Und natürlich gibt es eine sehr vielseitige und beeindruckende
Queer-Szene in Deutschland. Aber wir würden die meisten von ihnen wohl kaum
auf einem Kongress des Chaos Computer Clubs wiederfinden. Warum eigentlich
nicht? Die Eroberung des Menschen durch das Digitale ist doch eine
hochpolitische Herausforderung, die nicht geschlechtsneutral zu diskutieren
ist. Mein Anliegen ist es, das Bewusstsein der Hackerethik auf den Körper
zu übertragen. Das bietet viel Potenzial für Befreiung, um den Raum zu
weiten für alle möglichen Formen von Lebensentwürfen, sexuellen
Selbstzuschreibungen und hybriden Identitäten.
29 May 2015
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Hacking
Körper
Italien
Feminismus
Cyborg
Kunstverein Wolfsburg
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Schwerpunkt Überwachung
Feminismus
Schwerpunkt Chaos Computer Club
Anonymous
re:publica
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