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# taz.de -- Hacker Appelbaum über Überwachung: „Ihr seid Experten des Schre…
> Der Internetaktivist Jacob Appelbaum zieht Vergleiche zwischen der NSA
> und der Stasi, lobt das deutsche Verständnis von Datenschutz und fordert
> mehr Widerstand.
Bild: „Du musst nicht schneller als der Bär laufen, nur schneller als die an…
taz: Herr Appelbaum, Sie warnen seit Jahren vor den Spähmaßnahmen der USA.
Sind Sie erleichtert, dass durch Edward Snowden alles öffentlich geworden
ist?
Jacob Appelbaum: Nein. Ich würde mir wirklich wünschen, dass ich falsch
gelegen hätte. Leider ist das nicht so.
Die Empörung ist bisher überschaubar, politische Konsequenzen gibt es kaum.
Was müsste passieren, damit sich das ändert?
Darauf habe ich keine Antwort. Wir müssen uns fragen, ob wir Geschichte
wiederholen wollen – oder daraus lernen. Darum bin ich, was Deutschland
angeht, vorsichtig optimistisch. Deutschland hat im 20. Jahrhundert viele
Lektionen auf dem härtesten Weg lernen müssen. Ihr seid Experten in den
Schrecken dieser Zeit. Das ist der Grund, warum Deutschland in meinen Augen
die momentan beste Verfassung der Welt hat.
Deshalb sind Sie jetzt hier?
Deutschland ist derzeit der sicherste Ort in Europa für mich. In Amerika
fühle ich mich nicht sicher. Meine Partnerin wurde mit Nachtsichtgeräten
beobachtet, ich wurde mehrfach schikaniert und festgehalten – wegen meiner
Verbindungen zu Wikileaks. Das erzeugt den gleichen Effekt, wie das, was in
der DDR die Stasi Menschen antat: Ein Teil ihrer Taktik war, dass sich die
Leute anhörten, als seien sie verrückt. Was soll das heißen – jemand hat
deinen Müll durchwühlt? Was soll das heißen, da gibt es ein System, das
deine Daten sammelt, ohne dass du davon weißt? Insofern sind die USA ein
beängstigender Ort. Und Deutschland ist weit weniger beängstigend.
Klingt fast schon romantisch.
Ich will das Land nicht romantisieren – aber ich habe wirklich das Gefühl,
dass es hier eine politische Philosophie gibt, bei der diese Dinge auf den
Tisch gepackt werden. Hier finden unglaubliche politische Diskussionen
statt – und es gibt eine vielfältige Zivilgesellschaft. In den USA gibt es
dies nicht. Allerdings war ich wirklich geschockt, dass Deutschland Edward
Snowdens Antrag auf Asyl abgelehnt hat. Da hätte ich Besseres erwartet.
Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Thomas Drake verriet ebenfalls Interna aus
der Behörde. Ihm drohte eine lebenslange Haftstrafe, aber am Ende gab es
ein Jahr auf Bewährung. Macht Ihnen das keine Hoffnung, es könnte ein
faires Verfahren für Edward Snowden in den USA geben?
Auf keinen Fall. Wenn ich aus der Sache mit Drake etwas ablesen kann, dann
dies, dass der Staat dich und dein Leben zerstören kann – egal, ob er dich
ins Gefängnis steckt oder nicht. Zu Stasi-Zeiten gab es ein Wort dafür:
Zersetzung. Thomas Drake, das war einer der besten Analysten, den Amerika
je gesehen hat. Und jetzt arbeitet er in Washington in einem verdammten
Apple-Store.
Immerhin hat die US-Justiz ihn nie in eine Lage gebracht wie den Soldaten
Bradley Manning, der im Gefängnis harten Repressionen ausgesetzt war.
Selbst wenn man nur den juristischen Teil betrachtet: Thomas Drake ist am
Ende verurteilt worden. Das gibt mir keine Hoffnung. Wenn die Richter das
Verfahren gegen Bradley Manning abgelehnt hätten, um stattdessen die
Schuldigen der Verbrechen, die er offenlegte, anzuklagen – das hätte mir
Hoffnung gegeben. Aber so?
Die NSA unterliegt US-Gesetzen. Kann man von Deutschland aus überhaupt
etwas gegen die Ausspähungen tun?
Sie könnten ein anderes Spiel spielen. Wenn alle Deutschen sicher, also
verschlüsselt, kommunizieren würden, könnte die NSA sie mit Programmen wie
Prism nicht mehr überwachen. Sie müsste gezielt einzelne Personen
anvisieren. So wie in diesem Sprichwort: Du musst nicht schneller als der
Bär laufen, nur schneller als die anderen Leute, die auch vor dem Bär
weglaufen. Spionage wird es geben, solange sie möglich ist. Aber man kann
die Kosten dafür deutlich erhöhen.
Politiker der regierenden Unionsparteien sagen, Überwachung diene dem
Schutz der Menschen.
Was für eine größere Bedrohung kann es für die deutsche Demokratie geben
als die totale Überwachung? Die NSA hat Deutschland mit am schärfsten
überwacht. Ist das nicht eine viel größere Bedrohung für die Souveränität
Deutschlands als ein paar Muslime mit Bomben? Und was ist mit den
wirtschaftlichen Kosten? Wenn Boeing und Airbus sich in einem
Bieterwettstreit befinden und Airbus verliert, weil die NSA ihre
Kommunikation abhört, gehen Milliarden Euro verloren. Was ist dagegen der
wirtschaftliche Schaden von Terrorismus?
Braucht es eine neue soziale Bewegung wie die Anti-Atom-Bewegung, um Druck
auf die Politik auszuüben?
Es sollte eine Bewegung geben. Aber eine, in der die gesamte Gesellschaft
zusammenkommt. Bei einem so fundamentalen und demokratischen Thema wie der
Sicherheit unserer Kommunikation darf es keine parteipolitische Spaltung
geben. Es muss klar werden, dass es eine alte Bewegung ist, eine, die auf
dem deutschen Grundgesetz beruht und seine Grundsätze verteidigt.
Könnte es nicht sein, dass deutsche Politiker auch etwas von der
Überwachung haben? Erkenntnisse der NSA zum Beispiel?
Die NSA zu kritisieren hat Nachteile und vielleicht sind diese Nachteile so
groß, dass es keine Regierung tun wird. Deutschland ist faktisch besetztes
Gebiet, kein souveräner Staat. Das muss für sich genommen nicht schlimm
sein, ist aber ein Problem, wenn das Volk seine Politiker nicht zur
Verantwortung ziehen kann. Wenn Merkel nicht sagen kann, was sie möchte,
weil es immer diese Bedrohung durch die NSA gibt.
Aber Merkel ist in der DDR aufgewachsen, sie hat den Überwachungsstaat
wirklich erfahren. Und trotzdem wendet sie sich nicht deutlicher gegen die
Aktionen der NSA.
Wenn Merkel sagt, die Stasi und die NSA seien nicht vergleichbar, dann hat
sie recht. Die Stasi hatte keine Drohnen. Sie vollzogen politische Tötungen
nicht mit fliegenden Robotern. Und die Stasi hat auch nicht Flugzeuge aus
der Luft geholt, um ihre Dissidenten durch ganz Europa zu jagen. Sie ärgern
sich über Merkel? Vielleicht sollten Sie Ihren Ärger lieber gegen die NSA
richten – denn es ist deren Schuld, dass Merkel Ihnen nicht einmal dann
zustimmen könnte, wenn sie Ihrer Meinung wäre. Sie und Merkel können keine
ehrliche Debatte führen. Darum streiten Sie, statt das eigentliche Problem
zu bekämpfen.
Oder Merkel empfindet das Problem als nicht so drängend. Viele Menschen
sagen, sie hätten nichts Schlimmes getan und deswegen nichts zu verbergen.
Ich denke, viele dieser Menschen befinden sich in einer Art
Verdrängungszustand. Das ist verständlich. In den ersten fünf Minuten, die
man darüber nachdenkt, wirkt das Thema, die Macht von USA und NSA,
überwältigend. Aber es ist wichtig, sich auf diesen Kampf einzulassen. Auch
wenn man ihn nicht unbedingt gewinnt. Letztendlich ist die Frage nicht, ob
wir etwas zu verbergen haben – es geht vielmehr um Selbstbestimmung und
Würde: Ich habe vielleicht nichts zu verbergen, aber ich glaube trotzdem
noch an fundamentale Menschenrechte.
Selbst Menschen, die in anderen Bewegungen aktiv waren, also erfahren sind
im Konflikt mit staatlicher Macht, haben Probleme mit diesem Kampf. Zu
abstrakt das Thema, die Technik zu kompliziert …
… dann sollten sie keine Aktivisten sein. Wir reden hier nicht über
theoretische Gefahren, sie müssen sich der Situation anpassen! Wenn
Aktivisten sich zum Beispiel nicht mit Verschlüsselung beschäftigen, kann
der Staat sie leichter überwachen. Von Ärzten oder Sexarbeitern würden wir
ein Argument wie „Das ist zu kompliziert“ auch nicht akzeptieren.
Vielleicht nicht. Aber ist es nicht so, dass Technik – gerade in den Händen
von Laien – Grenzen hat?
Verschlüsselung hilft gegen die schleppnetzartige Überwachung. Wenn das
Gesetz es dem BND oder der NSA erlaubt, in Ihren Computer einzubrechen,
hilft Verschlüsselung nicht. Sie stellt nur ein Mindestmaß an Sicherheit
dar. Die Politik könnte Gesetze erlassen, laut denen solche Systeme zur
Verschlüsselung standardmäßig in Computer oder Handys integriert sind. Beim
Onlinebanking sind solche Verschlüsselungen heute ja auch Standard. Das
Gute ist, dass Leute diese Techniken nicht bis ins Detail verstehen müssen,
um von ihnen zu profitieren. Aber weder Gesetzgebung noch Verschlüsselung
oder Hardware wird das Problem allein lösen Nur in Kombination haben sie
eine Chance.
31 Jul 2013
## AUTOREN
Meike Laaff
Katharin Tai
## TAGS
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