# taz.de -- Pro und Contra Schwarz-Grün: Ist die Zeit reif? | |
> Die Energiewende könnte Schwarz und Grün zusammenführen. Doch würden die | |
> Grünen eine Koalition mit der kraftstrotzenden Union überleben? | |
Bild: Symbolisch? Am Tag nach der Wahl trägt die Kanzlerin eine Schwarz-Grüne… | |
Pro: Die Mumie Rot-Grün sollte schnell begraben werden | |
Wenn man es wirklich ernst meinte mit dem zentralen Problem des 21. | |
Jahrhunderts, also dem Klima- und Energieproblem, dann dürfte man nicht von | |
vergleichsweisen Kinkerlitzchen wie der schwierigen „Versöhnung“ von altem | |
und neuen Bürgertum schwadronieren. Oder Opa-und-Oma-Geschichten vom 68er | |
Krieg aufwärmen wie die legendär überschätzte „Pizza-Connection“ aus | |
seligen Bonner Tagen. | |
Die angebliche Unvereinbarkeit von Union und Grünen und die Notwendigkeit | |
einer langsamen kulturellen Annäherung wird seit Jahren als retardierendes | |
Moment gegen die Ankunft in der Realität eingesetzt. Und selbstverständlich | |
ist die Frage immer, was einem bleibt, wenn man keine Vorurteile mehr hat. | |
Aber wenn die Energiewende tatsächlich nicht nur Geschwätz ist, sondern aus | |
wirtschaftlichen Gründen und übrigens auch aus Gründen globaler | |
Gerechtigkeit die zentrale Aufgabe unserer Generation, dann wird man | |
feststellen müssen, dass deren Bewältigung von einer Koalition aus | |
wirtschaftsfixierter Union und von Kohlelobby dominierter SPD sehr | |
wahrscheinlich nicht befördert werden kann. | |
Eine Koalition aus Union und Grünen und ein Energiewendeministerium mit | |
gebündelten Kompetenzen plus einem nicht blockierenden Partner im | |
Wirtschaftsministerium wäre in dieser Hinsicht wohl ein echter Fortschritt. | |
Wenn das so sein sollte, dann hätten unsere grünen Weltmoralisten geradezu | |
die Pflicht, sich einer schwarz-grünen Koalition zu stellen. Mal ganz | |
abgesehen von weiteren möglichen Verhandlungsinhalten wie Stuttgart 21, | |
Mindestlohn oder Datenschutz. | |
Doch der Realität des Klimawandels stehen andere Realitäten gegenüber. Eine | |
ist Bundeskanzlerin und will es bis zu einem von ihr ordentlich geplanten | |
Abgang bleiben. Insofern ist es für die Union zwar angebracht, die grüne | |
Option zunächst gegen die SPD in Stellung zu bringen. Aber nach allem, was | |
man über Angela Merkel ahnen kann, wird sie nicht ohne Not ein „Projekt“ | |
angehen. Sie ist schließlich ihr eigenes Projekt. Eine zweite Realität, die | |
gegen Schwarz-Grün spricht, sind die Mehrheiten im Bundesrat. | |
Die dritte Realität ist der grüne Wahlkampf, der vermutlich desaströseste | |
seit Parteigründung. Wer so laut und so engagiert an der Gesellschaft | |
vorbei Muh geschrien hat, der kann jetzt kaum umgehend Mäh sagen, ohne dass | |
es vollends albern wird. Der gescheiterte Spitzenstratege Jürgen Trittin | |
könnte es zwar zwecks eigenen Machterhalts mit der beschriebenen | |
Dringlichkeit der Energiewende begründen, aber die Fragen sind, warum ihm | |
das nicht früher eingefallen ist und ob ihm seine verbliebenen | |
Fraktionstruppen und die Wähler folgen würden. Vom kümmerlichen Rest an | |
Grünen-Wählern dürfte ein erheblicher Anteil wie Trittin, Roth und die | |
reumütig zurückgekehrte Künast noch im rot-grünen Denken und Fühlen | |
verhaftet sein. | |
Der gesellschaftliche Motor von Schwarz-Grün sind aber ordentlich bis gut | |
verdienende Bürger mit sozial-ökologischen Werten. Die Leute, die die | |
Trittin-Grünen nicht gewählt haben. Die Leute, die Winfried Kretschmann zum | |
Ministerpräsidenten gemacht haben, Robert Habeck zum | |
Vizeministerpräsidenten und Salomon, Palmer und Kuhn zu | |
baden-württembergischen Oberbürgermeistern gewählt haben – oder eben den | |
Öko-CDUler Uli Burchardt in Konstanz. | |
Es geht jetzt nicht um simplen Generationenwechsel einer Partei und was man | |
gern so sagt: Es geht für die Gesellschaft um die Frage, ob in und mit der | |
grünen Partei im Bund eines Tages noch mal etwas Dynamisch-Neues anfangen | |
soll und kann. Wenn ja, sollte man die Mumie Rot-Grün jetzt ganz schnell an | |
der Biegung des Flusses begraben. Und den verschmähten Wählern künftig | |
ernsthafte Angebote machen. Schwarz-Grün ist dafür nur die Chiffre. PETER | |
UNFRIED | |
Contra: Auch die grünen Stammwähler werden abgeschreckt | |
Zugegeben, Peter Grottians Szenario einer schwarz-grünen Regierung hat | |
seinen Charme. Im Sommer hatte [1][der Berliner Politik-Professor von | |
einer] „zähneknirschend fröhlichen Machtbeteiligung mit Realitätssinn“ n… | |
den Wahlen gesprochen, mit Claudia Roth als Migrationsministerin, Thilo | |
Bode im Landwirtschaftsministerium und Sven Giegold als | |
Finanzstaatssekretär. Das schien allemal besser und spannender als eine | |
erneute Große Koalition der Kohleparteien CDU und SPD. | |
Als Grottian seinen Beitrag schrieb, lagen die Grünen in den Umfragen bei | |
14 Prozent. Jetzt haben sie wenig mehr als 8 bekommen. Für | |
Koalitionsüberlegungen macht das einen Unterschied ums Ganze. | |
Erstens ist unklar, mit welchem Personal die Grünen in solche Verhandlungen | |
und in eine Regierung gehen. Wenn die jetzige Grünen-Spitze zurücktritt, | |
rücken Unerfahrene aus der zweiten Reihe nach. Das vergrößert das Risiko, | |
wie zuletzt die FDP als „Gurkentruppe“ zu erscheinen. | |
Zweitens müssen sich die Grünen neu definieren. Reicht ihr die Beschränkung | |
auf die Stammwählerschaft oder will sie um den Preis, einige ihrer jetzigen | |
Inhalte aufzugeben, wachsen? Will sich die Partei eher links positionieren | |
oder macht es Sinn, auch in Konkurrenz zu SPD und Linkspartei, sich | |
mittiger zu verorten? | |
Die Energiewende könnten die Grünen vielleicht besser managen als CDU und | |
SPD, aber als großes Mobilisierungsthema taugt sie nach dem Merkel’schen | |
Abschied von der Atomkraft offenkundig nicht mehr. Was kann an ihre Stelle | |
treten? Solche Fragen lassen sich in der Opposition besser klären als in | |
der Regierung, wo unklar bleiben muss, welches die eigenen Positionen und | |
welche die des Koalitionspartners sind, die man nach außen mittragen muss. | |
Drittens, ganz banal, haben es die Grünen jetzt mit einem Koalitionspartner | |
zu tun, der vor Kraft kaum laufen kann, während sie selbst gerupft wurden: | |
Wie groß die Chancen sind, eigene Positionen bei dieser Konstellation | |
durchzubringen, ist nicht schwer vorherzusagen. | |
Viertens wird das AfD-Ergebnis die Union verändern, CDU/CSU in der | |
Europapolitik, aber auch bei Einwanderungs- und Energiefragen (weiter) nach | |
rechts schieben. Schwarz-Grün würde keine Wohlfühlveranstaltung mit einer | |
sozialdemokratisierten Merkel-CDU, sondern eine, bei der die Grünen bei | |
Kernthemen über ihren Schatten springen müssten. Innerparteiliche | |
Schlammschlachten, Aus- und Rücktritte inklusive. | |
Und damit wären wir beim entscheidenden Punkt: Die Grünen haben in diesem | |
Wahlkampf mögliche Wechselwähler aus dem bürgerlichen Lager vergrault. | |
Schwarz-Grün zum jetzigen Zeitpunkt könnte ihre Stammwähler abschrecken. | |
Trotz aller Annäherungen in der Sache sind Unionsanhänger und Grüne noch | |
immer zu sehr durch kulturelle Gräben getrennt, als das eine Koalition ohne | |
Verluste zu haben wäre. (Übrigens auf beiden Seiten: Merkel dürfte gehörige | |
Probleme haben, in der Union die Koalition mit einer Partei zu vermitteln, | |
die gerade als angebliche Pädophilen-Hochburg geoutet wurde). | |
Vielleicht sollten sie in der Grünen-Zentrale vor Koalitionsgesprächen mit | |
Angela Merkel ein paar Fernseher mit Endlos-Videoschleifen als Warnung | |
aufstellen lassen. Darauf zu sehen: SPD und FDP an den Wahlabenden 2009 | |
beziehungsweise 2013 – der autosuggestive, grundlose Jubel der | |
23-Prozent-Sozialdemokraten vor vier Jahren und die fassungslosen Liberalen | |
jetzt. Merkel hat noch jeden ihrer Koalitionspartner geschafft. | |
Dabei waren Sozialdemokraten und Liberale noch mit komfortablen | |
Wahlergebnissen in die jeweiligen Regierungen gestartet. Auf die Erfahrung, | |
wohin es führt, mit einem 8-Prozent-Resultat im Rücken mit CDU/CSU zu | |
koalieren, sollten die Grünen verzichten. MARTIN REEH | |
24 Sep 2013 | |
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Peter Unfried | |
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