# taz.de -- Die Grünen bei der Bundestagswahl: Der unsanfte Absturz | |
> Die Wahl lässt geschrumpfte Grüne zurück. Der nun losbrechende | |
> Deutungskampf wird den Abschied mancher altgedienten Spitzenkraft zur | |
> Folge haben. | |
Bild: Hoffnung war gestern | |
BERLIN taz | Die Sache mit der Pappe liefert ein recht treffendes Bild für | |
das, was den Grünen passiert ist. Die Partei hängte umweltfreundliche | |
Plakate aus Pappe auf, sie wollte alles richtig machen in diesem Wahlkampf. | |
Leider überstand das recycelbare Ökomaterial die sommerlichen | |
Gewitterschauer nicht. Schon bald legten sich die Gesichter der beiden | |
Spitzenkandidaten in Falten, Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt | |
schrumpften und hängen seitdem reichlich verknautscht an Straßenlaternen. | |
Der Sonntagabend lässt eine geschrumpfte Partei zurück. Ein Unwetter ist in | |
den vergangenen Wochen über die Grünen hinweggebraust, und was von ihnen | |
und ihrem Führungspersonal nach diesem Sturm übrig bleiben wird, ist noch | |
nicht im Detail auszumachen. Acht Prozent, einstellig, ein deutlich | |
schlechteres Ergebnis als 2009 (10,7 Prozent). Das ist eine Katastrophe. | |
Zu viel ist in den vergangenen Jahren passiert. Fukushima, der historische | |
Sieg in Baden-Württemberg, noch vor eineinhalb Jahren schien für die Grünen | |
alles möglich, 25 Prozentpunkte oder mehr. Die Volkspartei-Träume, denen | |
Grüne während des Hypes nachhingen, waren immer unrealistisch. Aber sie | |
machen deutlich, wie hoch die Erwartungen mal lagen. | |
Jetzt sind die Grünen unsanft abgestürzt. Der Ausgriff in die bürgerliche | |
Mitte, über das Kernmilieu hinaus, ist gescheitert. Spitzenkandidat Trittin | |
räumte ein, dass seine Partei ihre Wahlziele klar verfehlt hätten. „Das ist | |
bittere Realität.“ | |
## Hinter den Erwartungen | |
Eine deutliche Vorwarnung hatte es bereits gegeben. Schon bei der | |
Bayern-Wahl eine Woche zuvor fielen die Grünen weit hinter die Erwartungen | |
zurück. Daraufhin gab es in der Partei erste Anflüge von Panik, Einzelne | |
tuschelten gar von der Fünfprozenthürde. Die Pädophilie-Debatte, die kurz | |
vor der Wahl Trittin erfasste, verstärkte diese Furcht. Gemessen daran sind | |
die Grünen noch mal davongekommen. Dennoch: Ab heute wird in der Partei die | |
Diskussion über Fehler geführt werden. Und zwar „schonungslos“, das war d… | |
Wort, das alle Grünen am Wahlabend im Mund führten, von Jürgen Trittin bis | |
zu Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. | |
Es ist offen, ob die längst abgeschlossen geglaubten | |
Pädophilie-Verstrickungen aus den 80ern Stimmen gekostet haben, etwa in der | |
ökobürgerlichen Mitte. Oder ob die Debatte eher mobilisierend auf die | |
eigene Anhängerschaft wirkte, weil sie kampagnenhafte Züge trug. Doch | |
gerade jüngere Grüne schauten befremdet auf die gewundenen Erklärungen | |
ihrer Spitzenleute. Das Thema konnte nur deshalb solchen Schaden anrichten, | |
weil noch so viele aus der Gründergeneration ganz oben stehen. | |
Der nun losbrechende Deutungskampf wird den Abschied mancher altgedienten | |
Spitzenkraft zur Folge haben. Als Ersten könnte es Trittin treffen. Der | |
wollte sich am Sonntag zu persönlichen Konsequenzen nicht äußern: „Wir | |
werden das gemeinsam analysieren, was wir falsch gemacht haben miteinander, | |
und dann werden wir die weiteren Schritte machen. Das machen wir nicht am | |
Wahlabend.“ Klar aber ist: Ein Fokus wird auf dem Finanz- und Steuerkonzept | |
liegen, dass Trittin federführend vorantrieb. | |
Vor allem in den starken Landesverbänden des Südwestens wird der Ruf nach | |
Steuererhöhungen für Gutverdiener als entscheidender Fehler interpretiert. | |
„Bei den Steuern haben wir Maß und Mitte verlassen“, sagte Winfried | |
Kretschmann noch am Sonntagabend im ZDF. „Wir werden uns neu orientieren | |
müssen.“ | |
## Betroffen ohne betroffen zu sein | |
Vor allem die Vielfalt der Belastungen habe die Wähler überfordert, sagen | |
selbst Grüne, die dem linken Flügel angehören. Ehegattensplitting, | |
Spitzensteuersatz, Vermögensabgabe, Erbschaft- und Abgeltungsteuer – „das | |
war zu viel auf einmal“, sagt ein Bundestagsabgeordneter. „Die Leute hatten | |
das Gefühl, betroffen zu sein, obwohl sie es gar nicht waren.“ Die | |
großzügigen, aber komplizierten Regelungen für Freibeträge hätten die | |
Menschen überfordert. | |
Das zahlenlastige Thema dominierte wochenlang den Wahlkampf. Obwohl das | |
Konzept nur als Instrument gedacht war, um Kitaausbau, Energiewende oder | |
bessere Ausstattung von Kommunen glaubwürdig bewerben zu können. Die Grünen | |
seien nicht auf die harte Kampagne von CDU, FDP, Lobbyverbänden und mancher | |
Medien gefasst gewesen, heißt es in der Partei selbstkritisch. Die Frage, | |
ob sich die Ökopartei zu sehr als bessere SPD präsentiert hat, wird die | |
Grünen noch beschäftigen. | |
Und die Personalien? Es ist unwahrscheinlich, dass die Grünen-Spitze nun | |
eine Kehrtwende in Sachen Schwarz-Grün hinlegt. Deshalb wird der Kampf um | |
Posten zunächst in der Fraktion ausgetragen. Schon Mitte kommender Woche | |
könnte die neue Fraktion ihre ChefInnen wählen. Göring-Eckardt gilt als | |
aussichtsreiche Anwärterin. Sie hat das Urwahl-Votum der Basis hinter sich | |
und könnte Renate Künast als Fraktionsvorsitzende beerben. Doch nach diesem | |
Einschlag wird es auch Stimmen geben, die das zur Disposition stellen. | |
Die große Frage ist, ob Trittin noch einmal antritt oder ob er sich nach | |
diesem Schlag zurückzieht. In der Fraktion wird von einigen seit Wochen | |
darüber nachgedacht, wie ein Comeback Trittins zu verhindern wäre. Als | |
aussichtsreicher Anwärter für eine Gegenkandidatur wird oft Toni Hofreiter | |
genannt, der Chef des Verkehrsausschusses. Hofreiter, ein Parteilinker aus | |
Bayern, wird wegen seiner Expertise geschätzt und auch von Realos wegen | |
seiner Integrationskraft gelobt. | |
22 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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