# taz.de -- Stopp für Radwege in Berlin: Rückkehr von Auto und Ideologie | |
> Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) bringt die | |
> Opposition gegen sich auf. Aber auch in der SPD gehen viele auf Distanz | |
> zur Koalition. | |
Bild: Kehrtwende in der Radpolitik: Die Ollenhauerstraße in Reinickendorf | |
Die Proteste der Klimakleber sind in Berlin hinlänglich bekannt. In | |
Reinickendorf werden sie nun ergänzt durch die Aktionen von Radwegeklebern. | |
Ein bereits fertiggestellter Radstreifen in der Ollenhauerstraße ist seit | |
Montag überklebt. „Unfassbar! Jetzt stellt die CDU in Berlin nicht nur | |
Radwege in Frage, sondern baut sie sogar wieder ab!“, [1][twitterte die | |
grüne Verkehsrexpertin Antje Kapek]. „In Reinickendorf musste der erste | |
Radweg dran glauben.“ | |
Die Aufregung ist groß, seit Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner | |
(CDU) vor einer Woche die Bombe gezündet hat: Die Planungen für neue | |
Radinfrastruktur müssen auf den Prüfstand. Zumindest die, bei denen auch | |
nur ein einziger Parkplatz wegfällt. So stand es in einem Schreiben der | |
Verkehrsverwaltung an die zwölf Bezirke. | |
Inzwischen hat Schreiner einige Punkte revidiert, damit aber nicht | |
unbedingt für ein Mehr an Klarheit gesorgt. Warum in Reinickendorf ein | |
fertiger Radweg wegfällt? Schreiner weiß es nicht. Umso mehr lässt dieses | |
kommunikative Komplettversagen den Schluss zu, dass es gar nicht um die | |
Klärung von Sachfragen geht, sondern um Ideologie: Die Wende in der | |
Verkehrswende. | |
Die Bezirke jedenfalls haben verstanden, nicht nur in Reinickendorf. In | |
Pankow frohlockt die CDU-Verkehrsstadträtin. Der Wegfall der Radstreifen in | |
der Schönhauser Allee scheint beschlossene Sache. Noch in diesem Sommer | |
hätten die Bauarbeiten beginnen sollen. Ist das der Preis dafür, dass sich | |
die Grüne Cordelia Koch mit den Stimmen von CDU und FDP zur | |
Bezirksbürgermeisterin wählen ließ? | |
In anderen Bezirken toben die Grünen. Doch das größte Problem hat die SPD. | |
Eine sozialdemokratische Handschrift trage der Koalitionsvertrag, hatten | |
Giffey und Co. während des Mitgliederentscheids für eine Koalition mit der | |
CDU geworben. Nun zeigt sich, dass die sozialdemokratische Handschrift | |
nichts wert ist, wenn eine autoversessene Verkehrssenatorin einen Brief an | |
die Bezirke schreibt. Die Spaltung der ohnehin zerrissenen Berliner SPD | |
dürfte damit nur noch tiefer werden. | |
## Erste kritische Stimmen der SPD | |
Die ersten kritischen Stimmen gibt es bereits zum Rollback in der | |
Mobilitätspolitik. „Was soll denn das Radwegchaos in Berlin gerade?“, | |
[2][twitterte der SPD-Bundestagsabgeordnete Ruppert Stüwe aus | |
Steglitz-Zehlendorf]. „Ist das ein politischer Testballon oder ideologische | |
Hektik einer neuen Hausleitung? Auch die CDU sollte gewisse professionelle | |
Standards beim Regieren anlegen.“ | |
Keine Politik gegen das Auto: Das war das Mantra von Franziska Giffey. | |
Keine A100: So hatte es der SPD-Parteitag im Juni 2022 beschlossen. Mit der | |
Schreinerschen Wende von der Verkehrswende bekommen nun all jene | |
Genossinnen und Genossen Auftrieb, die gegen eine Koalition mit der CDU | |
waren. | |
Und die Befürworter haben ein Problem: So sagte der verkehrspolitische | |
Sprecher Tino Schopf der taz in der vergangenen Woche: „Dort, wo | |
Fahrradprojekte zu Lasten des öffentlichen Personennahverkehrs gehen, | |
müssen wir noch mal hinschauen.“ Schöner und wohl auch dreister kann man um | |
eine Frage nicht herumreden. Keine Nahverkehrsprojekte will die CDU | |
stoppen, sondern den Wegfall von Parkplätzen. | |
Im Bezirk Mitte hat die SPD immerhin verstanden. Die dortige BVV-Fraktion | |
wehrt sich gegen „den von Schreiner ausgerufenen Kulturkampf ‚Vorfahrt für | |
Autos‘“. Selbst der SPD-Fraktionschef und Co-Landesvorsitzende Raed Saleh | |
sprach von einem „Kommunikationsdesaster“ Schreiner. „Wir wollen und werd… | |
mehr und sichere Radwege in Berlin bauen und diese Prozesse beschleunigen“, | |
betonte Saleh. „Dazu sind wir in der Koalition verabredet zu priorisieren, | |
welche der über 50 Projekte schon in den nächsten drei Jahren | |
fertiggestellt werden können.“ | |
Aus Sicht des SPD-Politikers ist nicht das Ziel, die Ansprüche an den | |
Radwegebau zurückzuschrauben: „Das Mobilitätsgesetz gilt weiter und wird | |
lediglich unter den Aspekten der Erhöhung der Verkehrssicherheit und der | |
Anpassung an örtliche Gegebenheiten überprüft“, sagte er. „Von einem Sto… | |
der Radverkehrsplanung und des Radverkehrsbaus kann keine Rede sein.“ | |
## Sollbruchstelle offenbart | |
Schneller hat wohl noch keine Senatskoalition in Berlin ihre | |
Sollbruchstelle offenbart. Und es sieht nicht so aus, als würde beim Thema | |
Radverkehrsausbau so schnell Ruhe einkehren. Wird in der Schöneberger | |
Hauptstraße nicht bald mit dem Bau der überfälligen Radspur begonnen, | |
fallen 750.000 Euro Fördermittel vom Bund weg. So was bleibt kleben, auch | |
an einer CDU-Senatorin. Und nicht ausmalen mag man sich, was passiert, wenn | |
jemand auf dem Rad auf einer der betroffenen Straßen einen schweren Unfall | |
hat. | |
Dass die Zeit der Auto-Ideologen zu Ende ist, ist inzwischen sogar im Bund | |
angekommen. Das neue Straßenverkehrsgesetz erleichtert es Ländern und | |
Kommunen, Parkplätze zugunsten von Radspuren wegzunehmen. In Berlin dagegen | |
feiert die Betonpolitik ein fragwürdiges Comeback. Das ist die schlechte | |
Nachricht. | |
Die gute: Eine bessere Munition gegen Schwarz-Rot hätten Manja Schreiner | |
und ihre Radwegekleber gar nicht liefern können. Nicht nur der Opposition, | |
sondern auch denjenigen in der SPD, die für mehr Verteilungsgerechtigkeit | |
auf den Straßen eintreten. Und befüchten müssen, dass Berlin nach drei | |
Jahren Schwarz-Rot im Vergleich zu anderen Metropolen die rote Laterne | |
tragen wird. | |
23 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Antje_Kapek/status/1670832277440413712?cxt=HHwWoIC-gdPG… | |
[2] https://twitter.com/stuewer/status/1671554281764265986?cxt=HHwWhIC9terwxrIu… | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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