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# taz.de -- Mobilitätswende in Berlin: Ideologische Grundlagen
> In Berlin stellt die neue Verkehrssenatorin die Radwege-Uhr zurück. Dabei
> muss die Zukunft jetzt an den Planungstischen entschieden werden.
Bild: Umstrittenes Stückchen Straße auf der Ollenhauer
Der CDU-geführte Senat ist in Berlin noch keine 100 Tage im Amt, da
scheinen sich die schlimmsten Befürchtungen der Verkehrswendebewegung zu
bewahrheiten. Mit ihrer Ankündigung, [1][alle geplanten Radwegprojekte
stoppen und überprüfen lassen zu wollen], sollten dadurch Parkplätze oder
Fahrspuren wegfallen, löste die frischgebackene CDU-Verkehrssenatorin Manja
Schreiner ein stadtweites Beben aus: Die Bezirke sind entsetzt und fürchten
verfallende Fördermittel; Fahrradaktivist:innen veranstalten fast
täglich Demonstrationen.
Vergangene Woche legte Schreiner noch einmal nach, indem sie ankündigte,
den letzten Teil von Berlins wegweisendem [2][Mobilitätsgesetz]
„überarbeiten“ – ergo grundlegend entkernen – zu wollen. So werden
Passagen, die eine Reduktion von Parkplätzen oder des Autoverkehrs
vorgesehen hatten, voraussichtlich wegfallen.
Nun mag es wenig überraschen, dass eine Partei, die für rückwärtsgewandte
Autopolitik steht, diese in der Regierung auch umsetzt. Doch dann sollte
die CDU auch offen dazu stehen. Doch um den Zorn des Koalitionspartners SPD
und der Stadtgesellschaft irgendwie im Zaum zu halten, flüchten sich
Schreiner und ihr Chef Kai Wegner argumentativ in eine fantastische
Parallelwelt, in der Mobilitätswende auch ohne den Rückbau von
Autoinfrastruktur möglich sein soll.
Den Grundkonflikt der Verkehrspolitik, nämlich die Tatsache, dass
öffentlicher Raum begrenzt, und damit die Frage, welcher
Verkehrsteilnehmerin wie viel zugesprochen wird, immer eine politische ist,
umschifft die CDU bei jeder Gelegenheit.
## Entpolitisierter Wohlfühlsound
Stattdessen gibt es entpolitisierte Wohlfühlsounds. So beteuert die
Verkehrssenatorin unentwegt, dass es ihr im Grunde nur um ein harmonisches
Miteinander aller Verkehrsteilnehmer:innen geht: „Wir machen keine
Politik für das Auto, wir machen keine Politik gegen das Auto, wir machen
Politik mit dem Auto“, sagte sie [3][am Donnerstag im Abgeordnetenhaus].
Mittlerweile fest zum Schreiner’schen Phrasenrepertoire gehört auch die
Betonung der individuellen Entscheidungsfreiheit: „Ich möchte niemanden
umerziehen“, sagte sie im [4][taz-Interview] – als hätte es unter
Rot-Grün-Rot Umerziehungscamps für Autofahrer:innen gegeben.
Schreiner und ihr Chef Wegner lassen keine Gelegenheit aus, die
Verkehrspolitik des Vorgängersenats als „ideologisch“ zur verurteilen.
Rot-Grün-Rot wäre es nur darum gegangen, Autofahrer:innen zu piesacken
und Parkplätze zu vernichten, so der Subtext vieler Aussagen der
CDU-Politiker:innen. Besonders Wegner inszeniert sich als
„realistisch und pragmatisch“, ganz im Gegensatz zu den autohassenden
Grünen.
Leider ist genau das, was die CDU als „ideologisch“ kritisiert, Grundlage
für jede Verkehrsplanung. Ob in 20, 30 Jahren die meisten Menschen mit dem
Auto, dem Fahrrad oder der Bahn zur Arbeit kommen, wird nämlich nicht in
den Wohnzimmern entschieden, sondern auf dem Planungstisch. Menschen
nutzten die Infrastruktur, die vorhanden ist. Da spielt es keine Rolle, ob
ich leidenschaftlicher Rennfahrer bin, gern Flugtaxi fahre oder am liebsten
mit dem Jetpack zur Arbeit düsen würde – wenn das Einzige, was mir zur
Verfügung steht, eine Bahnverbindung ist, dann fahre ich Bahn.
Verkehrspolitik hat wenig mit den aktuellen Befindlichkeiten von
Einzelpersonen zu tun, sondern mit der Frage, wie wir in Zukunft als
Gesellschaft mobil sein wollen. Für die CDU ist die Antwort klar: mit dem
Auto. Angesichts der Klimakrise, des enormen Platzverbrauchs und der
Tatsache, dass nur ein Drittel aller Berliner:innen ein Auto besitzen,
hat die Partei leider keine Argumente dafür.
1 Jul 2023
## LINKS
[1] /Berlin-stoppt-Verkehrswende/!5938884
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[4] /Berliner-Verkehrssenatorin-Manja-Schreiner/!5932876
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Wochenkommentar
Schwarz-rote Koalition in Berlin
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Verkehrspolitik
Kai Wegner
Mobilitätswende
Schwarz-rote Koalition in Berlin
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