| # taz.de -- CDU-Kehrtwende in Berlin: Durchkreuzte Fahrradträume | |
| > Reinickendorfs CDU-Verkehrsstadträtin hat den Radstreifen an der | |
| > Ollenhauerstraße auf Eis gelegt. Die Deutsche Umwelthilfe will nun | |
| > klagen. | |
| Bild: Erst gelb, dann rot – es ist ein kleiner Krieg der Kreuze | |
| Berlin taz | Bevor die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) viele | |
| der laufenden [1][Planungen für Rad-Infrastruktur einfror], war die | |
| Ollenhauerstraße in Reinickendorf vielen Berliner*innen höchstens vom | |
| Namen her bekannt. Mittlerweile ist sie zum internationalen Symbol für | |
| ideologisierte Verkehrspolitik geworden. „Ein Wahnsinn, oder?“ fragt ein | |
| niederländischer TV-Reporter, der sich am Montag auf die rund 1,6 Kilometer | |
| lange Ausfallstraße begeben hat. | |
| Seine ungläubigen Blicke wandern zwischen einem gelb durchkreuzten | |
| Fahrradsymbol und den auf der Nicht-Radspur parkenden Autos hin und her. | |
| Auf die Frage, was ihn daran interessiere, sagt er: „Wir in den | |
| Niederlanden sind ja sehr fahrradfreundlich. Da interessiert uns natürlich, | |
| wenn in der deutschen Hauptstadt mitten in der Klimakrise ein fertiger | |
| Radweg rückgängig gemacht wird.“ | |
| Und noch etwas wundert ihn: Er sei die ganze Straße abgefahren und habe nur | |
| durchgestrichene Symbole gesehen: „Was kostet daran eigentlich 280.000 | |
| Euro?“ So teuer war die Einrichtung des Radstreifens nach einer | |
| RBB-Recherche, rund 210.000 Euro kommen vom Bund. Tatsächlich drängt sich | |
| die Frage auf – zumal das Teilstück, um das nun gestritten wird, lediglich | |
| 600 Meter lang ist. | |
| Hier wurde auf der vom Kurt-Schumacher-Platz nach Norden führenden Seite | |
| der alte Gehweg-Radweg – holprig, schmal, ein bisschen rote Farbe – | |
| ersetzt. Nach Süden, also stadteinwärts, sollte der neue Weg überhaupt erst | |
| eigenen Raum für Radfahrende schaffen. Beides geschah, indem Fahrradsymbole | |
| auf den unsanierten Asphalt der zum Parken genutzten rechten Fahrbahnen | |
| geklebt wurden – dazu einen durchgezogenen Streifen, der Autos das Queren | |
| verbietet. Beschlossen hatte das die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) | |
| vor sieben Jahren. | |
| ## Eigentlich nur ein Provisorium | |
| Wie Jens Augner, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen in der BVV, der | |
| taz sagte, handelt es sich bei der Umgestaltung nur um ein Provisorium. Die | |
| grüne Stadträtin Korinna Stephan hatte es durchgesetzt, um kurzfristig mehr | |
| Sicherheit auf der viel befahrenen Straße zu schaffen. Richtig saniert wird | |
| die Ollenhauerstraße wohl frühestens Ende der 20er Jahre. | |
| Augners Fraktion hat eine Anfrage an das Bezirksamt gestellt, die am | |
| Dienstag im Reinickendorfer Verkehrsausschuss beantwortet werden soll. Das | |
| ist dann der Job von Julia Schrod-Thiel (CDU), die das Verkehrsressort nach | |
| der Wiederholungswahl von Stephan übernahm. Dass sie die Radsymbole | |
| überkleben ließ und die für den 14. Juni geplante Radstreifen-Einweihung | |
| aussetzte, macht für die Grünen nicht nur inhaltlich, sondern auch formal | |
| keinen Sinn. | |
| „Wir finden es höchst verwirrend, weil der Radstreifen längst angeordnet | |
| war und sogar schon im vergangenen November fertig sein sollte“, so Augner. | |
| „Die Nichtinbetriebnahme wäre damit jetzt ein neuer juristischer Akt.“ Ob | |
| das rechtssicher ist, wolle man nun prüfen. Über die Stoßrichtung wundere | |
| er sich allerdings nicht, sagt Augner: „Das fügt sich ins Bild einer | |
| autofreundlichen Politik ein, die einiges zurückdrehen will.“ | |
| Als eine der ersten Amtshandlungen habe Schrod-Thiel in der Tegeler | |
| Veitstraße das Gehwegparken wieder ermöglicht, das ihre Vorgängerin beendet | |
| hatte. Offenbar geht die CDU-Stadträtin ohnehin eigene Wege: Die Anweisung | |
| von Senatorin Schreiner bezog sich laut einer späteren Klarstellung | |
| ausdrücklich nicht auf schon ausgeführte Arbeiten. | |
| ## Umwelthilfe will klagen | |
| Rückendeckung bekommen die Reinickendorfer Grünen von der Deutschen | |
| Umwelthilfe (DUH). Die mit dem Führen von Prozessen erfahrene Organisation | |
| teilte mit, eine persönlich betroffene Mitarbeiterin habe beim Bezirksamt | |
| Widerspruch eingelegt und die Wiederherstellung der Radstreifen beantragt. | |
| Nach Verstreichen einer Frist am 3. Juli will die DUH einen Eilantrag beim | |
| Verwaltungsgericht stellen. | |
| Außerdem hat die Umwelthilfe Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang | |
| beantragt: Man gehe davon aus, dass die Sperrung rein politisch motiviert | |
| und nicht neuen fachlichen Erkenntnissen geschuldet sei, so | |
| DUH-Verkehrsexperte Robin Kulpa. Dass der neue Radstreifen „vielleicht | |
| nicht der Weisheit letzter Schluss“ sei, räumt er ein – ihn nicht in | |
| Betrieb zu nehmen habe aber eine hohe Symbolkraft. | |
| Zurück auf die Straße: „Ich verstehe das nicht“, sagt ein Radfahrer, der | |
| mit Helm und Fahrradtasche unterwegs ist und „regelmäßig“ diese Verbindung | |
| nutzt. „Das wird sich in den Unfallzahlen widerspiegeln“, glaubt er, | |
| teilweise gebe es gar keinen Platz für Radfahrende. Dabei will er nicht | |
| falsch verstanden werden: „Ich habe kein Problem mit Autofahrern, die | |
| meisten nehmen Rücksicht“, betont er. Aber es sei an vielen Stellen | |
| schlicht zu eng. | |
| Wie es sein könnte, erfährt man weiter stadtauswärts auf der Oranienburger | |
| Straße: Dort gibt es schon länger einen knapp zwei Meter breiten | |
| Radstreifen mit durchgezogener weißer Linie und glattem Asphalt. Derweil | |
| haben fleißige, aber unbefugte Hände einige der gelben Kreuze auf der | |
| Ollenhauerstraße abgepult. Mittlerweile wurden sie – ob vom Bezirksamt oder | |
| von Auto-AktivistInnen – mit roter Sprühfarbe erneuert. | |
| 26 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
| Claudius Prößer | |
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