# taz.de -- Rechtsextremismus: Die Vermessung der AfD | |
> In Münster streiten Verfassungsschutz und AfD vor Gericht erneut darum, | |
> wie rechtsextrem die Partei ist. Die probt schon mal ihre Opferrolle. | |
Bild: Wenn du die Materialsammlung des Verfassungsschutzes über die AfD liest … | |
Wenn am kommenden Dienstag am Oberverwaltungsgericht Münster die AfD und | |
das Bundesamt für Verfassungsschutz aufeinandertreffen, dürfte es auch um | |
Maximilian Krah gehen. Der 47-jährige AfD-Mann aus Sachsen hielt sich | |
zuletzt nicht zurück: Deutschland importiere „Millionen kulturfremde, | |
aggressive Analphabeten aus dem Nahen Osten und Afrika“, ätzte Krah auf X, | |
ehemals Twitter. | |
Das Land werde „bunt wie eine Müllhalde“, schrieb er an anderer Stelle. | |
Migranten unterstellte Krah per se Kriminalität: „Multikulturell heißt | |
multikriminell.“ Er nutzt neurechte Kampfformeln vom „Großen Austausch“ … | |
erklärte, die Regierung wolle statt Einwanderung „Ersetzung“ und | |
„Umvolkung“. | |
Es sind rechtsextreme Ausfälle, die auch das Bundesamt für | |
Verfassungsschutz aufmerksam notiert hat und dem Gericht vorlegen dürfte. | |
Denn in Münster wird es genau um diese Frage gehen: Wie rechtsextrem ist | |
die AfD? Und Krah ist dabei nicht irgendwer: Er ist der Spitzenkandidat der | |
AfD zur Europawahl. | |
Schon 2021 hatte der Verfassungsschutz die AfD vom rechtsextremen | |
„Prüffall“ zum „Verdachtsfall“ hochgestuft. Die Partei wehrte sich | |
juristisch, im März 2022 aber gab das Verwaltungsgericht Köln dem Bundesamt | |
Recht. In Münster folgt nun die Berufungsverhandlung. Gewinnt der | |
Geheimdienst erneut, dürfte der nächste Schritt nicht mehr fern sein: Eine | |
Hochstufung der Gesamtpartei als [1][gesichert rechtsextrem]. Für die AfD | |
ist das Verfahren eines der wichtigsten in ihrer Geschichte. | |
## Nichts zu gewinnen | |
Doch die Partei gibt sich zugeknöpft: Die Vorsitzenden Alice Weidel und | |
Tino Chrupalla wollen nicht vor Ort sein, sich auch nicht äußern. Nach | |
Münster schicken sie die zweite Reihe. Es dürfte auch daran liegen, dass | |
man in der Parteiführung wenig optimistisch ist: Bei dem juristischen | |
Showdown gebe es nichts zu gewinnen, heißt es intern. | |
Auch Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang reist nicht an. Aber der | |
Geheimdienst scheint zuversichtlich: Gerade erst gewann er einen Prozess | |
vor dem Verwaltungsgericht Köln, mit dem er die [2][AfD-Parteijugend nun | |
als gesichert rechtsextrem einstufen darf]. Die Junge Alternative (JA) | |
vertrete einen völkischen Volksbegriff, erklärte das Gericht, schließe | |
„ethnisch Fremde“ oder Muslime aus und würdige diese „massiv“ herab, w… | |
ein Verstoß gegen die Menschenwürde sei. Auch setze sie die Bundesrepublik | |
mit Diktaturen gleich – eine Verletzung des Demokratieprinzips – und pflege | |
offen Kontakte zu klar Rechtsextremen. | |
Es dürfte eine Blaupause auch für die Verhandlung in Münster werden. Denn | |
um die gleichen Kriterien wird es auch dort gehen: Verletzt die AfD die | |
Menschenwürde? Wendet sie sich systematisch gegen Demokratie und | |
Rechtsstaat? Stehen also Äußerungen wie die von EU-Spitzenkandidat Krah für | |
die DNA der Partei? | |
Der Verfassungsschutz sammelte dafür in den letzten Jahren reichlich | |
Belege. Schon 2021 legte er ein Gutachten mit gut 1.000 Seiten vor, [3][das | |
seitdem um mehrere tausend Seiten aktualisiert wurde]. Und nicht nur Krah | |
lieferte zuletzt Material. So wurde auch in AfD-Postings – noch vor der | |
Correctiv-Veröffentlichung über die „Remigrationspläne“ des Rechtsextrem… | |
Martin Sellner – eine „konsequente Remigration“ eingefordert, Deutschland | |
werde „mit Massenmigration überflutet“. | |
## Zur Belohnung einen Listenplatz | |
Der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer bekräftige: Die „Remigration“ | |
sei „kein Geheimplan, sondern ein Versprechen“. Die Bundestagsabgeordnete | |
Christina Baum schrieb vom [4][„schleichenden Genozid am deutschen Volk“], | |
der AfD-Bundesvize Stephan Brandner schimpfte über „massenhafte | |
Messerstechermigration“. Der Brandenburger Landtagsabgeordnete Lars Hünich | |
erklärte, wenn die AfD regiere, [5][„dann müssen wir diesen Parteienstaat | |
abschaffen“]. Noch weiter trieb es offenbar die frühere | |
AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die wegen | |
Terrorvorwürfen mit anderen Reichsbürgern in Untersuchungshaft sitzt. | |
Wie sehr solche Töne inzwischen die AfD dominieren, zeigte sich im August | |
2023 beim [6][Europa-Parteitag der AfD in Magdeburg], auf dem [7][Krah zum | |
Spitzenkandidaten für die Wahl im kommenden Juni gekürt] wurde. Auch dort | |
war zuhauf von „Remigration“ die Rede, es gab rassistische Zuspitzungen und | |
Attacken gegen den Rechtsstaat. So forderte die Kandidatin [8][Irmhild | |
Boßdorf dort eine „millionenfache Remigration und Pushbacks] – egal, was | |
der Europäische Gerichtshof dazu sagt“. Sie wurde mit Listenplatz 9 | |
belohnt. Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang attestierte der Partei | |
danach „starke verfassungsfeindliche Strömungen, deren Einfluss weiter | |
zunimmt“. | |
In Münster wird es auch um Thüringens AfD-Chef Björn Höcke gehen, Kopf des | |
formal aufgelösten völkischen „Flügels“. Immer wieder verwies der | |
Verfassungsschutz auf dessen zentrale Rolle in der Partei. Höcke forderte | |
schon 2018 in seinem Buch ein groß angelegtes Remigrationsprojekt mit | |
„wohltemperierter Grausamkeit“. Zuletzt hantierte er mit der SA-Losung | |
„Alles für Deutschland“ und erklärte, Deutschland werde „auch ohne Prob… | |
mit 20, 30 Prozent weniger Menschen leben können“. | |
Und Höcke pflegt ungeniert Kontakte auch zu klar eingestuften | |
Rechtsextremisten wie den Identitären – trotz Unvereinbarkeitsbeschlüssen | |
der AfD. Er ist damit nicht allein: Mehrere AfD-Bundestagsabgeordnete | |
beschäftigen frühere Identitärenkader, andere arbeiten mit dem „Ein | |
Prozent“-Netzwerk oder dem rechtsextremen Compact-Magazin zusammen. | |
## Entscheidend wären V-Leute | |
Die AfD versuchte dagegen das Verfahren schon im Vorfeld auszubremsen, | |
[9][stellte drei Befangenheitsanträge] – vergeblich. AfD-Bundesvize Peter | |
Boehringer, in der Partei zuständig für das Gerichtsverfahren, tut die | |
Materialsammlung des Verfassungsschutz ab: „Es wird dem Gericht vom | |
Verfassungsschutz ein riesiges Konvolut an zumeist zusammenhanglosen | |
Fundstücken hingelegt und gesagt: Glaubt uns, die AfD ist böse.“ Die Linie | |
der Partei: Die allermeisten vorgehaltenen Äußerungen seien von der | |
Meinungsfreiheit gedeckt. Zur Not wolle man jeden einzelnen Vorwurf | |
erklären und kontextualisieren, so Boehringer zur taz. Die zwei | |
angesetzten Verhandlungstage dürften daher kaum reichen. | |
Peter Boehringer benennt für den Prozess zwei Strategien: Zum einen wolle | |
man verdeutlichen, dass die Einschätzungen des Verfassungsschutzes | |
„willkürliche Meinungsbekundungen einer regierungsabhängigen Behörde“ | |
seien. Zum anderen wolle die AfD klären, inwiefern das vorgelegte Material | |
nicht selbst vom Geheimdienst verfasst oder provoziert wurde – etwa durch | |
verdeckte V-Leute. Man werde von der Behörde ein Testat verlangen, dass das | |
kompromittierte Material „staatsfrei“ ist. | |
Tatsächlich ist es kein Geheimnis, dass der Verfassungsschutz auch V-Leute | |
in der AfD hat – seit der Einstufung als „Verdachtsfall“ ist das erlaubt. | |
Entscheidend wird sein, ob es auch V-Leute in der Parteiführung gibt: Genau | |
dies war beim 2003 gescheiterten NPD-Verbot das Problem. Das | |
Bundesverfassungsgericht konnte „steuernden Einfluss“ der Spitzel nicht | |
ausschließen. | |
Allzu optimistisch klingt AfD-Mann Boehringer aber dennoch nicht. Kein | |
Wunder, dürfte auch er selbst dem Gericht Material geliefert haben: Schon | |
lange gilt er als Anhänger antisemitischer Verschwörungsideologien, | |
demonstrierte mit Querdenker*innen, schrieb von einem vergewaltigten | |
„Volkskörper“ oder beschimpfte die ehemalige Bundeskanzlerin als | |
„Merkelnutte“. Per Mail soll ausgerechnet er laut Medienberichten auch eine | |
Bildmontage einer [10][Justitia-Statue als Sexarbeiterin verschickt haben, | |
mit der Bildunterschrift „Hure Justizia (BVerfG)“]. Boehringer streitet den | |
Vorwurf ab. | |
Sollte die AfD die neue Prozessetappe in Münster verlieren, hat sie | |
angekündigt, Revision einzulegen. Haldenwangs Verfassungsschutz dürfte | |
dagegen noch die schriftlichen Urteilsgründe abwarten, was einige Wochen | |
dauern wird – dann könnte eine Hochstufung der AfD als „gesichert | |
rechtsextrem“ erfolgen. Und im Anschluss dürfte dann wohl die nächste | |
Debatte an Fahrt gewinnen: die über ein AfD-Verbot. | |
11 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /AfD-gegen-Verfassungsschutz/!5991973 | |
[2] /Verwaltungsgericht-hat-entschieden/!5990783 | |
[3] https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozesse-muenster-ovg-weist-dritten-be… | |
[4] https://im.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-im/intern/dateien/pd… | |
[5] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/02/brandenburg-aussagen-afd-abgeo… | |
[6] /AfD-Parteitag-in-Magdeburg/!5947746 | |
[7] /AfD-Parteitag-in-Magdeburg/!5946568 | |
[8] /Die-AfD-und-der-Rechtsstaat/!5960088 | |
[9] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/ovg-muenster-befangenheits… | |
[10] https://www.bild.de/politik/inland/alternative-fuer-deutschland/politiker-… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
Konrad Litschko | |
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