| # taz.de -- Berufung gegen den Verfassungsschutz: Die Antragsschlacht der AfD | |
| > Darf der Verfassungsschutz die AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln | |
| > überwachen? Ein Blick auf die juristischen Tricks der Anwälte. | |
| Bild: Roman Reusch (r.) von der AfD und der Anwalt Christian Conrad (l.) bei de… | |
| Münster taz | Im Foyer des Oberverwaltungsgerichts Münster sitzen zwei | |
| überlebensgroße Skulpturen namens „Zwei Menschen“ des koreanischen | |
| Künstlers Ung-Pil Byen. Die beiden nackten und geschlechtslosen Figuren | |
| kauern wie zwei riesige Steinblöcke in der großen Halle. Eine Figur legt | |
| ihren Kopf auf den eigenen Unterarmen ab, die andere hält den Kopf zwischen | |
| den Handflächen. Beide wirken am Dienstagnachmittag nicht nur aufgrund | |
| ihrer Körperhaltung etwas resigniert bis stoisch-gelangweilt. Denn beide | |
| wurden im Tagesverlauf Zeugen eines eher unwürdigen Schauspiels. | |
| Das Oberverwaltungsgericht Münster hat am Dienstag [1][das | |
| Berufungsverfahren der AfD gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)] | |
| eröffnet. Darin geht die Partei gegen ihre Einstufung als | |
| rechtsextremistischer „Verdachtsfall“ durch den Verfassungsschutz vor. Als | |
| das Gericht am Morgen pünktlich um 9 Uhr zu dem Verfahren unter dem Titel | |
| „[2][AfD] gegen die Bundesrepublik Deutschland“ aufruft, wird schon binnen | |
| kürzester Zeit klar, welche Taktik die AfD sich für die Berufung ausgesucht | |
| hat: die größtmögliche Verzögerung. | |
| Wegen des großen öffentlichen Interesses hat das Gericht den Prozess in die | |
| große Halle mit den „Zwei Menschen“ verlegt. Bei dem Mammutverfahren geht | |
| es mittlerweile um rund 20 Aktenmetern auf Zehntausenden Seiten, zahlreiche | |
| Schriftsätze und eine umfassende Materialsammlung des Verfassungsschutzes, | |
| die zahlreiche rassistische und antidemokratische Äußerungen von ranghohen | |
| AfD-Politiker*innen enthält. 95 Pressevertreter*innen sind | |
| akkreditiert – die restlichen rund einhundert Plätze nehmen interessierte | |
| Zuschauer*innen ein. | |
| Vor zwei Jahren hatte das Verwaltungsgericht Köln als Vorinstanz dem BfV | |
| recht gegeben. Damals stellten die Richter fest, dass es hinreichende | |
| tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der | |
| AfD gebe. Das Verfahren gilt als richtungsweisend für den weiteren Umgang | |
| mit der AfD – auch mit Blick auf ein mögliches Verfahren zum Parteiverbot | |
| sowie eine mögliche Hochstufung der Partei als „gesichert | |
| rechtsextremistisch“. | |
| ## Nach 20 Minuten die erste Unterbrechung | |
| Am Dienstag kommt es schon nach rund 20 Minuten zur ersten Unterbrechung. | |
| Bereits vor der Eröffnung der eigentlichen mündlichen Verhandlung beantragt | |
| AfD-Anwalt Christian Conrad die Vertagung. Er beklagt die mangelnde | |
| „prozessuale Waffengleichheit“, spricht von einer „rechtsstaatswidrigen | |
| Informationsasymmetrie“ und bringt auch die auch schon im Vorweg | |
| eingebrachten drei Befangenheitsanträge gegen den vorsitzenden Richter | |
| Gerald Buck ein. Es sei nicht möglich gewesen, in der Kürze der Zeit auf | |
| die vom Verfassungsschutz Anfang des Jahres neu eingebrachten Dokumente | |
| einzugehen – der Geheimdienst habe noch einmal 4.200 Seiten und 116 Stunden | |
| Videomaterial eingebracht. | |
| Tatsächlich hat die Partei sich in den letzten zwei Jahren radikalisiert | |
| und dem VS dabei eine Fülle an weiterem Material geliefert: Maximilian | |
| Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, beklagte, dass das Land „bunt | |
| wie eine Müllhalde“ werde und „Millionen kulturfremde, aggressive | |
| Analphabeten aus dem Nahen Osten und Afrika“ importiere. | |
| Zudem predigte er Verschwörungsideologien vom „großen Austausch“, andere | |
| AfD-Politiker redeten vom „schleichenden Genozid am Deutschen Volk“ und | |
| Björn Höcke forderte schon 2018 in seinem Buch ein groß angelegtes | |
| „Remigrationsprojekt“ mit „wohltemperierter Grausamkeit“ und sagte | |
| kürzlich, Deutschland werde „auch ohne Probleme mit 20, 30 Prozent weniger | |
| Menschen leben können“. Angesichts dessen erscheint vielen | |
| Beobachter*innen ein Erfolg der AfD in Münster zumindest | |
| unwahrscheinlich zu sein. | |
| ## Ein Urteil? Fällt womöglich erst Mittwoch | |
| Entsprechend arbeiten sich die AfD-Anträge auch nicht am | |
| Verhandlungsgegenstand ab – nämlich wie rechtsextrem die Partei ist –, | |
| sondern an den Richter*innen: Man wolle wissen, ob ein Richter schon mal an | |
| einer Demonstration gegen die AfD teilgenommen habe, trägt Conrad am | |
| Dienstag vor. Genauer wollte die AfD sogar wissen, ob einer der Richter | |
| unter den 30.000 Teilnehmer*innen war, die anlässlich des | |
| Neujahrsempfangs der AfD in Münster demonstrierten. | |
| Der vorsitzende Richter Buck legt unbeeindruckt sämtliche Anträge der AfD | |
| zu den Akten und sagt zur möglichen Teilnahme an einer Demo gegen | |
| Rechtsextremismus: „Wir haben uns kritisch hinterfragt: Keiner der hier | |
| oben Sitzenden sieht Anlass, irgendwas zu erklären.“ Nach der ersten | |
| längeren Beratungspause weist er die Anträge ab, was AfD-Anwalt Conrad | |
| freilich nicht davon abhält, nach Wiederaufnahme der Sitzung gleich den | |
| nächsten Befangenheitsantrag zu stellen. Diesmal gegen alle | |
| Richter*innen des 5. Senats, woraufhin die nächste Unterbrechung folgt. | |
| Fundiert sind die Befangenheitsanträge aus Sicht des Gerichts aber nicht: | |
| Den Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat lehnt das Gericht gar „als | |
| rechtsmissbräuchlich“ ab. Die AfD setzt bei der Antragsschlacht wohl auch | |
| darauf, mögliche Verfahrensfehler seitens des Oberverwaltungsgerichts zu | |
| produzieren. Diese könnten der Partei in der nächsten Instanz, bei der | |
| Revision beim Bundesverwaltungsgericht, helfen. | |
| Es folgen weitere Verzögerungen: So fordert die AfD, die Öffentlichkeit | |
| auszuschließen – für die Beratung über den Antrag müssen daraufhin | |
| sämtliche Zuschauer*innen das Foyer verlassen und eine gute halbe Stunde | |
| im Regen von Münster ausharren, ehe das Gericht auch diesen Antrag | |
| zurückweist und die Zuschauer*innen wieder in den Saal lässt. | |
| Am späten Nachmittag schließlich kommt die Verhandlung besser voran, was | |
| auch an der Hartnäckigkeit des Gerichts liegt: Als die AfD gegen 18 Uhr | |
| beantragt, für den Tag Schluss zu machen, schlägt der Vorsitzende Buck eine | |
| kurze Kaffeepause vor und sagte aber, dass der Senat danach | |
| weiterverhandeln wolle: „Eine Mondscheinsitzung wollte ich nicht, aber wir | |
| können noch etwas weitermachen.“ | |
| ## AfD will „presserechtliche Maßstäbe“ für Verfassungsschutz | |
| Fragen, die nachmittags verhandelt werden, sind etwa das Argument der AfD, | |
| viele der Äußerungen aus der Materialsammlungen seien nicht strafrechtlich | |
| relevant. Das pariert des BfV-Anwalt damit, dass man nicht im Bereich des | |
| Strafrechts sei. | |
| An anderer Stelle behauptet der AfD-Anwalt, dass das Bundesamt für | |
| Verfassungsschutz presserechtliche Maßstäbe an seine Berichterstattung | |
| anlegen müsste und bei einer „Verdachtsberichterstattung“ die AfD befragen | |
| und zitieren müsse. Roth hält auch hier dagegen: Der Verfassungsschutz | |
| betreibe keine Verdachtsberichterstattung, nur weil er das Wort Verdacht | |
| verwende. | |
| Eine spannende Frage ist, wo legitime Staatskritik endet. Weiterer | |
| AfD-Einwand: Der Verfassungsschutz habe nicht genügend abgewogen, ob die | |
| kompromittierten Äußerungen nicht auch anders gemeint hätten sein können. | |
| Man müsse jede in der Materialsammlung auftauchende Person eigentlich als | |
| Zeugen hören, forderte AfD-Anwalt Conrad. Roth sagt: Natürlich müssten | |
| Aussagen im Kontext betrachtet werden, aber: „Viele der Aussagen sind so | |
| eindeutig, die muss man nicht weiter auslegen“, so Roth. Wenn | |
| AfD-Mandatsträger hundertfach und bewusst von „Corona-Diktatur“ sprächen, | |
| gehe es nicht darum, Kritik an einzelnen Maßnahmen zu äußern. Sondern eben | |
| darum, mit einem Diktaturvorwurf die Regierung als totalitär darzustellen. | |
| Wenn man vom „Ermächtigungsgesetz 2.0“ spreche, ginge es darum, die | |
| Parlamente zu delegitimieren. | |
| Die Verzögerungstaktik will die AfD jedoch weiter durchziehen: Gegen 19 Uhr | |
| schließlich drohen die AfD-Anwälte mit 210 Beweisanträgen für den nächsten | |
| Verhandlungstag. Man rechne mit 25 Stunden – allein um diese einzubringen. | |
| „Das klingt mir nach einer missbräuchlichen Beantragung von Beweisanträgen, | |
| wenn man das schon so ankündigt“, antwortet BfV-Anwalt Roth, offenkundig | |
| genervt. In den Anträgen soll es auch darum gehen, inwiefern das vom | |
| Verfassungsschutz vorgelegte Material selbst unter der Mitwirkung von | |
| V-Personen und Quellen entstanden sei, was die AfD auch im Vorfeld des | |
| Prozesses suggeriert hat. Hier zog das Bundesamt nach der Ankündigung durch | |
| die AfD überraschend blank: Es gab an, dass lediglich 2 der mehreren | |
| Tausend Belege menschliche Quellen des Verfassungsschutzes beinhalteten, | |
| beide seien nicht auf Bundes- oder Landesebene und vor dem Jahre 2020 | |
| angefallen. Das Bundesamt habe zu keinem Zeitpunkt steuernden Einfluss | |
| gehabt, die AfD auch nicht hinsichtlich ihrer Prozesstaktik ausgespäht. | |
| Ein Ende der Antragsschlacht ist bei Verhandlungsschluss am Dienstagabend | |
| kurz vor acht jedenfalls nicht in Sicht. Das Verfahren ist für zwei Tage | |
| angesetzt, möglicherweise fällt am Mittwoch ein Urteil. Die „zwei Menschen�… | |
| dürfte auch das kaum stören. | |
| 12 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechtsextremismus/!5994465 | |
| [2] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Bundesamt für Verfassungsschutz | |
| Verfassungsschutz | |
| Verfahren | |
| Berufung | |
| Nachrichtendienst | |
| IG | |
| GNS | |
| GNS | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Rechtsextremismus | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Verfassungsschutz gegen AfD: 470 Beweisanträge der AfD abgelehnt | |
| Das NRW-Oberverwaltungsgericht hat alle gestellten Beweisanträge der AfD im | |
| Streit mit dem Verfassungsschutz abgewiesen. Weiter geht es am 6. Mai. | |
| Vertagter AfD-Prozess: Gesichert rechtsmissbräuchlich | |
| Mit juristischen Tricks hat die AfD den Prozess zur Einstufung zum | |
| rechtsextremen Verdachtsfall verschleppt. Aus Angst vorm Realitätscheck. | |
| Überwachung durch Verfassungsschutz: AfD lässt Publikum im Regen stehen | |
| Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster klagt die AfD gegen ihre Einstufung | |
| als rechtsextremer Verdachtsfall. Auch am zweiten Tag setzt sie auf | |
| Blockade. | |
| Zusammenarbeit mit der AfD: Schwarze Löcher in der Brandmauer | |
| Eine Studie zählt 121 Fälle der Zusammenarbeit demokratischer Parteien mit | |
| der AfD in ostdeutschen Kommunen. Meist war die CDU beteiligt. | |
| Rechtsextreme Parteien: Armut fördert Aufstieg der Rechten | |
| Eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sorgt laut einer Studie für den | |
| Aufstieg rechtsextremer Parteien. Auch regionale Unterschiede spielen eine | |
| Rolle. | |
| Diskussion über AfD-Verbotsverfahren: „Es müsste wasserdicht sein“ | |
| Ein Verbot der AfD hält Rechtsextremismus-Experte Steffen Kailitz nicht für | |
| die beste Lösung. Und warnt vor einem überstürzten Verfahren. | |
| Rechtsextremismus: Die Vermessung der AfD | |
| In Münster streiten Verfassungsschutz und AfD vor Gericht erneut darum, wie | |
| rechtsextrem die Partei ist. Die probt schon mal ihre Opferrolle. | |
| Analyse der Demos gegen Rechtsextreme: Tausendmal Tausende für Vielfalt | |
| Bis Ende Februar haben fast vier Millionen Menschen gegen Rechts | |
| demonstriert. Daten der taz zeichnen das Bild einer vielfältigen Bewegung. |