| # taz.de -- Öl- und Gasembargo gegen Russland: Nichts in der Pipeline | |
| > Welche Folgen hätte ein Gasembargo für Russland? Laut Experten ist das | |
| > sibirische Gas zumindest mittelfristig kaum auf anderen Märkten zu | |
| > verkaufen. | |
| Bild: Eine Ölförderpumpe des Gas- und Öllieferanten Tatneft in Almetjewsk/Ta… | |
| Berlin taz | Waldimir Putin wird nervös. Und das bedeutet: Er droht dem | |
| Westen. „Die Folgen eines solchen Schrittes können sehr schmerzhaft werden | |
| – vor allem für die Initiatoren einer solchen Politik“, sagte der russische | |
| Präsident am vergangenen Donnerstag in Moskau zu den Plänen der EU, auf | |
| russisches Öl und Gas zu verzichten. Er forderte neue Prioritäten beim | |
| Ausbau des Energiesektors und beim Export der fossilen Brennstoffe. „Die | |
| Realisierung von Infrastrukturprojekten bei der Eisenbahn, Pipelines und | |
| Häfen muss so beschleunigt werden, dass es schon in wenigen Jahren möglich | |
| ist, die nach Westen gehenden Öl- und Gaslieferungen auf zukunftsreichere | |
| Märkte in den Süden und den Osten umzuleiten“, sagte Putin. Bis Herbst soll | |
| die Regierung eine bis auf das Jahr 2050 zielende Energiestrategie | |
| vorlegen. | |
| Putins Idee: Neue Öl- und Gaspipelines, neue Export-Terminals in der Arktis | |
| und im Fernen Osten. Und neue Kunden in Afrika, Lateinamerika, Südostasien. | |
| Schon vorher hatte der russische Präsident angekündigt, man werde | |
| angesichts eines drohenden Embargos „den Verbrauch von russischem Gas und | |
| Öl und russischer Kohle auf dem heimischen Markt erhöhen und die Produktion | |
| von Rohmaterial anregen“ und „die Lieferung von Energieressourcen in andere | |
| Gegenden erhöhen, wo sie wirklich gebraucht werden“. | |
| Das ist die russische Erzählung: Europa ist abhängig von russischer | |
| Energie. Aber was Putin und seine Planer verschweigen: Auch Russland ist | |
| noch für viele Jahre zumindest beim Erdgas abhängig – von den europäischen | |
| Abnehmern und ihren Zahlungen. Denn nach der Meinung von ExpertInnen wäre | |
| ein Embargo oder ein Lieferstopp von russischem Gas nach Europa zwar | |
| technisch größtenteils beherrschbar – würde aber weitreichende finanzielle | |
| und ökonomische Schäden anrichten. Zumindest mittelfristig ist das Gas aus | |
| Russland kaum auf anderen Märkten zu verkaufen. Ein großer Teil davon | |
| müsste im sibirischen Boden bleiben, bis neue Infrastruktur gebaut ist. | |
| [1][„Eine Pipeline schafft Abhängigkeiten auf beiden Seiten“, sagt | |
| Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.] | |
| Im Nordwesten Russlands liegen unter der arktischen Tundra riesige | |
| Gasfelder. Seit 1978 wird im Urengoi-Feld, einem der größten der Welt, Gas | |
| gefördert. Die Produktion wird immer wieder erweitert. Auf der benachbarten | |
| Halbinsel Yamal entwickelten die russischen Firmen, allen voran Gazprom, | |
| mit europäischen Partnern die nächsten Felder. 2019 lieferten alle | |
| russischen Vorkommen, die Russland nach den USA zum zweitgrößten | |
| Gasproduzenten der Welt machen, insgesamt 762 Milliarden Kubikmeter Gas. | |
| 210 Milliarden davon pumpte Gazprom hauptsächlich nach Westen, der Rest | |
| wurde im Land verbraucht. | |
| ## Russen schießen wohl nicht auf Pipelines | |
| Die Einnahmen des russischen Staates aus Öl- und Gasexporten machten im | |
| vergangenen Jahr nach Angaben der internationalen Energieagentur IEA 45 | |
| Prozent des Haushalts aus. Mitte März lieferte Gazprom jeden Tag etwa 110 | |
| Millionen Kubikmeter am Tag zu einem Wert von knapp 90 Millionen Euro. Und | |
| die russischen Truppen in der Ukraine wissen offenbar trotz aller | |
| großflächigen Verwüstungen genau, wo sie nicht hinschießen dürfen, um diese | |
| Einnahmen nicht zu gefährden: Denn die Transportpipeline „Bruderschaft“ | |
| mitten durchs Land blieb auch im Krieg funktionstüchtig. Und so abstrus es | |
| scheint: Zumindest für März, während der Krieg schon tobte, bekam die | |
| Ukraine von Russland die Transitgebühren für die Gaspipeline nach Westen in | |
| Höhe von etwa 600 Millionen Dollar überwiesen, heißt es aus dem | |
| ukrainischen Energieministerium. | |
| Was würde ein Embargo bedeuten? Bisher wird diese Frage nur aus Sicht der | |
| europäischen Verbraucher debattiert: knappes Gas, hohe Preise, | |
| Notfallpläne, Abschaltung von Industrien, Wirtschaftskrise. Aber was würde | |
| bei einer Abschaltung oder einem Embargo am Startpunkt der drei großen | |
| Pipelines passieren, die von Westsibirien durch die Ostsee (Nord Stream 1, | |
| 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr), durch Belarus (Jamal-Europa-Pipeline, | |
| 32 Milliarden) und durch die Ukraine (Transgas, 120 Milliarden) nach Westen | |
| laufen? | |
| Technisch gesehen generell kein großes Problem, sagt Stefan Leunig, | |
| Sprecher von Winterhall Dea. Der Konzern beutet in Westsibirien zusammen | |
| mit Gazprom drei große Gasfelder aus. Schon im Normalbetrieb würden die | |
| Rohre für Wartungsarbeiten immer mal wieder „für ein paar Tage“ | |
| abgeschaltet und das Gas werde im Netz umgeleitet. Wenn allerdings gar kein | |
| Gas mehr in die Pipelines geschickt werde, müsse und könne man den Ertrag | |
| aus den Feldern drosseln. Das Gas steht unter Druck oder wird durch | |
| Injektionen nach oben getrieben, aber man könnte „das Ventil zudrehen“, wie | |
| Leunig sagt. Das würde die Felder zunächst auch nicht beschädigen, man käme | |
| später wieder an das Gas heran. In einem solchen Prozess würde dann | |
| überflüssiges Gas im Zweifel abgefackelt, heißt es. Dieses „Flaring“ wü… | |
| aber nur geringe Restmengen betreffen. „Niemand hat doch Interesse daran, | |
| wertvollen Rohstoff in großem Stil nutzlos zu verbrennen“, so der Sprecher. | |
| Doch der gut eingespielte Ablauf der Förderung müsste unterbrochen werden. | |
| Denn Speicher von der Größe der täglich abfließenden Mengen gibt es an den | |
| Feldern kaum – und „die Speicher in Russland sind nach unseren | |
| Informationen voll“, sagt Franziska Holz, Energieexpertin vom Deutschen | |
| Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Anders als Deutschland, wo | |
| die Speicher trotz hoher Preise und gegen den ökonomischen Sachverstand | |
| leer sind, haben die Russen vor dem Ukrainekrieg ihre Reserven aufgefüllt. | |
| ## Das Geschäft mit Europa ist Gazproms „Cash-Cow“ | |
| „Allerdings verdient Gazprom auf dem russischen Markt mit dem Gas kaum | |
| Geld, denn die Preise sind aus sozialen Gründen niedrig“, sagt Holz. Der | |
| Export nach Europa sei die „Cash-Cow“ für den Konzern. Wenn der wegfalle, | |
| fehle dem Gasgiganten Gazprom das Geld, auch für seine Funktion in der | |
| Gesellschaft: „In vielen Gegenden ersetzt Gazprom dort praktisch den | |
| Staat“, sagt Holz. Gazprom habe weltweit fast eine halbe Million | |
| Angestellte, nur etwa die Hälfte davon arbeiteten bei der Ausbeutung von | |
| Rohstoffen: „Der Konzern finanziert Schwimmbäder, Kitas, Bibliotheken, wer | |
| dort arbeitet, bekommt sein Gehalt von Gazprom. Wenn das Geld nicht mehr | |
| fließt, wird das schwierig.“ | |
| Wohin also mit dem Gas? Jedenfalls nicht nach China, wie häufig angedeutet | |
| wird. Denn zwischen den großen Gasfeldern im Westen und dem asiatischen | |
| Markt gibt es keine leistungsstarken Leitungen. Seit 2019 liefert zwar die | |
| Pipeline „Kraft Sibiriens“ Erdgas aus dem russischen Osten nach China, etwa | |
| 60 Milliarden Kubikmeter aus den kleineren östlichen Feldern. Ein zweiter | |
| Teil dieser Pipeline ist geplant, wird aber nicht vor 2030 fertiggestellt | |
| sein. Wenn das Gas nicht direkt auf den üblichen Wegen nach Deutschland | |
| oder in die Slowakei fließt, kann es noch indirekt nach Europa gelangen: | |
| Über die Türkei und Bulgarien (Turkstream mit 31,5 Milliarden) und dann | |
| nach Griechenland oder auf den Balkan. Aber das Problem auch hier: Die | |
| Leitungen haben zu wenig Volumen, um zusätzlich substanzielle Mengen der | |
| 210 Milliarden Kubikmeter aufzunehmen, die Richtung Europa fließen. Und in | |
| der Türkei gibt es kaum Erdgasspeicher, die man auffüllen könnte, warnen | |
| Experten. | |
| Als weiterer Ausweg böte sich an, Gas zu verflüssigen und dann als LNG zu | |
| verschiffen. Allerdings: Der einzige LNG-Terminal in Westsibirien ist | |
| ausgelastet und kann nicht schnell erweitert werden. „Und er wird von | |
| Novatek betrieben, einer Konkurrenzfirma von Gazprom“, sagt Holz. „Es ist | |
| nicht wahrscheinlich, dass sie mal eben Gazprom-Gas verarbeiten.“ Die | |
| anderen LNG-Terminals Russlands liegen im Fernen Osten – und allgemein wird | |
| die Entwicklung dieser Technik nach Ansicht der Experten vom Oxford | |
| Institute for Energy Studies (OIES) durch die westlichen Sanktionen | |
| gebremst. Immerhin ist die russische Gas- und Ölwirtschaft etwa bei | |
| Offshore-Techniken, bei einigen Prozessen in Raffinerien und bei der | |
| Software fürs Bohren und Verteilen teilweise zu 80 und mehr Prozent von | |
| westlichem Know-how abhängig. Auch andere Experten sehen das Embargo auf | |
| westliche Bohrtechnik durchaus als mittelfristiges Problem für Betrieb, | |
| Wartung und Reparatur an den Gasfeldern. Eine bisher geplante Ausweitung | |
| der Produktion sei so fraglich. | |
| Für den OIES-Experten Jim Henderson hängt das Schicksal der russischen | |
| Gasindustrie daran, „ob die EU wirklich ihre Strategie durchsetzt, ihre | |
| Gasimporte aus Russland 2022 zu zwei Dritteln, um 101,5 Milliarden | |
| Kubikmeter, zu reduzieren. Wenn sie das schafft, könnte die russische | |
| Gasproduktion eingeschlossen sein, weil es derzeit keinen alternativen | |
| Exportmarkt für westsibirisches Gas gibt.“ | |
| ## Aus Moskauer Sicht ist der jetzige Zustand ideal | |
| Anders als die russische Propaganda es behauptet, träfe also ein | |
| Lieferstopp beim Gas beide Seiten hart. Aus Moskauer Sicht ist der jetzige | |
| Zustand aber ideal, schreibt ein anderer OEIS-Experte, Mike Fulwood: Die | |
| Unsicherheit über die Zukunft des Gasmarkts halte die Preise künstlich hoch | |
| und liefere „der russischen Regierung einfach mehr Möglichkeiten für | |
| verwirrende Erklärungen und Handlungen, die den Preis beeinflussen und hohe | |
| Preise zu Gazproms Nutzen aufrechterhalten“. | |
| Die EU habe nur zwei Möglichkeiten: entweder ein Embargo zu verkünden oder | |
| zu erklären, man werde alle Verträge erfüllen. Das werde den Markt | |
| zumindest etwas beruhigen. [2][Denn die derzeitige Situation sei für den | |
| Westen] „die schlimmste aller Welten“, meint Fulwood: „Sie hält die | |
| Gaspreise hoch und hält als Konsequenz daraus die russischen Einnahmen aus | |
| dem Gas auf Rekordhöhe“. | |
| 19 Apr 2022 | |
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| Bernhard Pötter | |
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