# taz.de -- Energieembargo gegen Russland: Was ist mit Putins Erdgas? | |
> Die Rufe nach einem kompletten Energieembargo gegen Russland werden | |
> lauter. Die Folgen dieses Schrittes sind im Detail nicht zu überschauen. | |
Bild: Einfuhrstopp und Energiesparen gegen den Krieg | |
1. Was nützt es der Ukraine, wenn Deutsche nun ihre Heizungen | |
herunterdrehen? | |
Über den Import von Gas, Öl und Kohle finanziert Deutschland den russischen | |
Staatshaushalt mit. Neben Einfuhrstopps hilft also auch Energiesparen, um | |
Wladimir Putins Kriegskasse zu schmälern. „Ein Absenken der Raumtemperatur | |
um 1 bis 2 Grad und eine Optimierung der Heizungseinstellungen kann [1][den | |
Energiebedarf von Haushalten um mindestens 10 bis 15 Prozent senken]“, | |
heißt es etwa bei der Agora Energiewende. 2020 trugen die privaten | |
Haushalte 31 Prozent zum hiesigen Erdgasverbrauch bei. | |
Verhaltensforscher:innen unterstreichen indes, dass „Frieren für den | |
Frieden“ vor allem das Gefühl vermittle, der Aggression nicht tatenlos | |
gegenüberzustehen. | |
2. Hört das Töten auf, wenn Russland keine fossilen Energieträger mehr | |
exportieren kann? | |
Klar ist: Erdöl, Erdgas und mineralische Rohstoffe sind die | |
Haupteinnahmequelle Russlands. Mit ihrem Verkauf erzielten russische | |
Unternehmen 2020 mehr als die Hälfte der Exporterlöse von umgerechnet 332 | |
Milliarden Dollar des Staatsbudgets. Die Devisenreserven gehören mit 630 | |
Milliarden Dollar zwar zu den größten der Welt – aber die kann Russland | |
wegen der Sanktionen derzeit nicht direkt für Importe verwenden. Klar ist | |
allerdings auch: Für die Kriegsführung braucht Putin kaum Devisen. Das Land | |
verfügt ohne Ende über Treibstoff, muss keine ausländischen | |
Söldner:innen bezahlen, militärische Ausrüstung wie Flugzeuge und Panzer | |
sind längst gekauft oder werden im Land produziert – nur bestimmte | |
Hightechbauteile müssen extra importiert werden. | |
Die Sanktionen, auch ein Energieembargo, treffen jedoch die Wirtschaft | |
und die Bevölkerung: Lieferketten sind unterbrochen, westliche Importgüter | |
fehlen. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung geht davon aus, dass | |
die russische Wirtschaftsleistung 2022 um 10 Prozent schrumpft und die | |
Verbraucherpreise um mindestens 20 Prozent steigen. Ob und wie sehr dies | |
Putins Eroberungsgier bremsen könnte, ist völlig unklar. Spätestens nach | |
dem Ende der Schlachten wird er Devisen dringend brauchen, um die | |
Wirtschaft wieder zu stabilisieren. | |
3. Welche volkswirtschaftlichen Folgen hätte ein komplettes Energieembargo | |
für Deutschland? | |
Olaf Scholz tat kürzlich in der ARD Prognosen als „unverantwortlich“ ab, | |
die besagen, dass Deutschland einen Stopp von Gaslieferungen aus Russland | |
einigermaßen verkraften könne. Viele Ökonom:innen sahen dies als Angriff | |
auf ihre Zunft. Tatsächlich schwanken die Meinungen stark, wie Deutschland | |
ohne Gas aus dem Kriegsstaat auskommen würde: Manche Expert:innen sehen | |
einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 2, manche von bis zu 6 Prozent | |
voraus. Im Coronajahr 2020 [2][sank das BIP um 4,6 Prozent]. Die Folge: | |
Millionen Arbeitnehmer:innen mussten kurzarbeiten, Betriebe | |
dichtmachen, und der Staat ging mit 270 Milliarden Euro ins Minus. | |
4. Bei Corona war es kein Problem, die hiesigen wirtschaftlichen Folgen zu | |
mildern. Was ist nun anders? | |
In der Coronakrise ging es um die Abfederung vorübergehender finanzieller | |
Folgen, weil Lieferketten unterbrochen waren oder Firmen Aufträge | |
wegbrachen. Ziel war eine Überbrückung mit der Aussicht, dass die | |
Unternehmen ihre Arbeit bald wieder aufnehmen können. Jetzt ist die Lage | |
völlig anders, es geht um großflächigere Produktionsausfälle durch Energie- | |
oder Rohstoffmangel. Ohne Gas müssen manche Betriebe nicht nur zeitweise | |
schließen, ihre Produktionsanlagen gehen bei einem Stopp eventuell kaputt. | |
Verzinkungsanlagen etwa können nicht zeitweise abgeschaltet werden. Deshalb | |
warnt nicht nur die Koalition vor einem Gasembargo, sondern auch die | |
Opposition: Es hätte „verheerende Auswirkungen für die deutsche | |
Wirtschaft“, bedeutete weiter stark steigende Preise und Entlassungswellen, | |
sagt etwa die Bundestagsfraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali. Die | |
folgenden Kettenreaktionen sind schwer abschätzbar und mit mathematischen | |
Modellen nicht verlässlich zu erfassen. Die Chemieindustrie beispielsweise | |
müsste in weiten Teilen die Produktion einstellen, worauf anderen Branchen | |
die Vorprodukte fehlen würden. Wegen der deutschen Exportstärke wären | |
Betriebe auf der ganzen Welt betroffen. | |
5. Braucht die Industrie denn wirklich so viel Gas? | |
Ja. Sie kam im Jahr 2021 auf einen Anteil von 36,9 Prozent des gesamten | |
hiesigen Gasverbrauchs, wie Branchenverbände mitteilen. Neben den 31 | |
Prozent, die in privaten Haushalten draufgehen, entfielen 12,6 Prozent auf | |
die Stromversorgung, 12,8 Prozent auf Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, | |
6,7 Prozent auf Fernwärme und 0,2 Prozent auf den Verkehr. | |
6. Welche Branchen wären besonders betroffen? | |
Die [3][Chemieindustrie] deckt 45 Prozent ihres Energiebedarfs mit Erdgas. | |
Für viele Unternehmen der Branche ist Gas ein unverzichtbarer Rohstoff. Das | |
gilt etwa für Plastikhersteller. Auch bei der Produktion von Dünger ist | |
Erdgas erforderlich: für die Ammoniakherstellung. In der Metallindustrie | |
wird Gas ebenfalls nicht nur als Energieträger gebraucht, sondern als | |
Reduktionsmittel bei der Umwandlung von Eisenerz zu Eisenschwamm, dem | |
Vorprodukt von Stahl. | |
Zwar könnte Erdgas durch grünen Wasserstoff ersetzt werden, aber daran | |
mangelt es noch. Wird der Glasindustrie das Gas entzogen, werden die | |
Produktionsanlagen unbrauchbar, die Reparatur würde laut Bundesverband | |
Flachgas Jahre dauern. Auch die Brennöfen in der Keramikindustrie – | |
Lieferant für Medizintechnik- und Elektrohersteller – können nicht einfach | |
ab- und wieder angeschaltet werden, sie bekommen Risse, wenn sie abkühlen. | |
7. Was unternimmt die Bundesregierung, um den Ausfall russischer | |
Energieexporte abzufedern? | |
Der [4][„Kniefall“ vor dem Emir von Katar] ging als Foto durch die Medien: | |
Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck versucht jetzt | |
selbstverständlich, alternative Gasquellen aufzutun. Anders als bei Öl und | |
Kohle werden sich die Gasimporte aus Russland nicht vollständig ersetzen | |
lassen, deshalb hat die Bundesregierung in Bezug auf Gas die Frühwarnstufe | |
ausgerufen und damit einen Notfallplan aktiviert. Noch gibt es keinen | |
Versorgungsengpass, aber es liegen deutliche Hinweise vor, dass sich das | |
ändern könnte. | |
So hat Habeck in einem ersten Schritt die Bevölkerung zum Energiesparen | |
aufgerufen und ein Krisenteam einbestellt, das die Lage überwacht. Gäbe es | |
später wirklich zu wenig Gas, bietet der Notfallplan zwei weitere | |
Eskalationsstufen: die Alarm- und die Notfallstufe. Letztere greift, wenn | |
die Knappheit so dramatisch ist, dass der Staat eingreifen und entscheiden | |
muss, wem das Gas sofort abgestellt wird. Per Gesetz ist klar: Private | |
Haushalte sind als Letztes dran – erst müssen Unternehmen verzichten. | |
8. Welche Folgen hätte außerdem das wahrscheinlich kommende Ölembargo gegen | |
Russland? | |
Abgesehen von den schon im März beobachteten Preissprüngen an den | |
Tankstellen erst mal keine. Der Erdölbevorratungsverband hält Ölreserven | |
vor, die einen Importstopp aus Russland etwa zehn bis elf Monate | |
ausgleichen könnten. Mittel- und langfristig könnten andere Lieferländer | |
für Russland einspringen, beispielsweise Kasachstan, Saudi-Arabien oder | |
Venezuela. Für einzelne Raffinerien – etwa die Erdölraffinerie PCK in | |
Schwedt – wären die Folgen eines Ölembargos gegen Russland existenziell. | |
Die Wirtschaftsministerien in Bund und Land diskutieren, ob sie die PCK | |
ebenso unter staatliche Aufsicht stellen wie die deutsche Gazprom-Tochter. | |
Baustoffunternehmen berichten, dass schon jetzt Bitumen knapp und teurer | |
wird. Der für Asphalt und den Straßenbau wichtige Stoff wird zu einem | |
Großteil in Ostdeutschland produziert, mit russischem Öl. | |
9. Was bedeuten die bereits beschlossenen Sanktionen? | |
Neben Meeresfrüchten will die EU auch die Einfuhr von Zement aus Russland | |
verbieten. Doch das ist beherrschbar, aus Russland wurden im Jahr 2021 | |
ganze 2 Tonnen Zement eingeführt, bei einem deutschen Jahresverbrauch von | |
29 Millionen Tonnen. Stärker wird das angekündigte Importverbot für Holz | |
wirken, und zwar auf den Bau. Genaue Zahlen fehlen, aber der Hauptverband | |
der Deutschen Holzindustrie geht davon aus, dass 80 Prozent des hierzulande | |
eingesetzten Birkenholzes aus Russland stammt. Es wird vor allem für | |
Fußböden und Verschalungen verwendet. | |
8 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Russlands-Einnahmen-verringern/!5840547 | |
[2] https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2022/01/Inhalte/Kapit… | |
[3] /Gewerkschafter-ueber-Sanktionen/!5843373 | |
[4] /Robert-Habeck-zu-Besuch-in-Katar/!5842662 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
Kai Schöneberg | |
Heike Holdinghausen | |
Susanne Schwarz | |
Beate Willms | |
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