# taz.de -- Energiegeschäfte mit Russland: Die Gas-Connection | |
> Was 1970 mit dem Erdgas-Röhren-Geschäft mit der Sowjetunion begann, | |
> könnte jetzt mit dem barbarischen Krieg in der Ukraine enden. | |
Bild: 1971: Bundeskanzler Willy Brandt und der sowjetische Staatschef Leonid Br… | |
[1][Rubel] oder Euro? [2][Sofortiges Embargo oder langsamer Ausstieg]? Der | |
[3][Krieg in der Ukraine] und Wladimir [4][Putins Psychospielchen] um die | |
Gaslieferungen führen die Abhängigkeit Deutschlands von den | |
Energierohstoffen von Gazprom und Co brutal vor Augen. Diese Abhängigkeit | |
hat eine lange Vorgeschichte, in der sich deutsche Wirtschaftsinteressen | |
mit der Vorstellung von „Wandel durch Handel“ verquickten. Ein Blick in die | |
Historie hilft zu verstehen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. | |
## Der Essener Deal | |
Am 1. Februar 1970 unterschreiben in der Essener Nobeladresse Kaiserhof die | |
Manager von Mannesmann, Ruhrgas AG und Deutscher Bank mit ihren | |
sowjetischen Verhandlungspartnern den Vertrag zu einem einträglichen | |
Milliardengeschäft. Mannesmann liefert den Sowjets Großröhren, die für eine | |
2.000 Kilometer lange Pipeline reichen. Die Deutsche Bank schießt einen | |
günstig taxierten Kredit von 1,2 Milliarden Mark vor, damit die Käufer die | |
Ware bezahlen können. Im Gegenzug liefert die Sowjetunion 20 Jahre lang bis | |
zu 3 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr. Die Ruhrgas AG verteilt und | |
verkauft alles. Für die Beteiligten ist es eine Win-win-win-win-Situation. | |
Der spektakuläre Erdgas-Röhren-Handel beendet die 1962 auf Druck der USA | |
verhängte Embargopolitik der Nato. Sie hatte es den Deutschen strikt | |
verboten, an Obstblockstaaten Röhren für den Bau von Öl- und Gaspipelines | |
zu verkaufen. Die damalige Doktrin: Keine Geschäfte mit dem kommunistischen | |
Feind, die seine Entwicklung voranbringen. | |
Schon 16 Monate nach dem Essener Deal wird aufgestockt. Die russischen | |
Gaslieferungen werden mehr als verdoppelt – statt 3 werden jetzt 7 | |
Milliarden Kubikmeter im Jahr geliefert – und Mannesmann darf weitere | |
Röhren im Gegenwert der Gasimporte verkaufen. Wieder finanziert die | |
Deutsche Bank das Ganze mit einem Milliardenkredit. Die Bonner Politik | |
begleitet den Handel mit Wohlwollen und Bürgschaften. Willy Brandt hat | |
schon als Außenminister ab 1966 wirtschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion | |
gefördert. Jetzt als Bundeskanzler setzt er auf friedliche Koexistenz und | |
Entspannung. | |
## „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“ | |
Brandt sieht – 25 Jahre nach dem Krieg – in den Gaslieferungen aus Sibirien | |
weniger die Gefahr einer Abhängigkeit als einen Vertrauensbeweis gegenüber | |
dem einstigen Todfeind. Einwände der USA werden abgewehrt und bald wird | |
Bonn zusätzliche Argumentationshilfe erhalten. | |
Im Oktober 1973 fließt das erste sibirische Gas in die Bundesrepublik, der | |
„Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, frozzelt die Zeit. Im selben Monat | |
eskaliert die Ölkrise. Die arabischen Förderländer drosseln die Produktion, | |
um den Westen für die Unterstützung Israels im Jom-Kippur-Krieg | |
abzustrafen. Der Ölpreis lernt fliegen, die Regierung Brandt muss Benzin | |
rationieren, sie verhängt Sonntagsfahrverbote und strenge Tempolimits; die | |
Nation fühlt schmerzhaft die Abhängigkeit von „den Ölscheichs“. | |
Die westlichen Länder geraten unter Druck, ihre Energiepolitik | |
versorgungssicher zu machen. Da sind die Gaseinkäufe aus der Sowjetunion | |
eine gute Alternative. Weitere europäische Länder setzen ebenfalls auf | |
sowjetisches Gas und Öl. Der Handel blüht auf, die Sowjets haben auch Uran | |
für bundesdeutsche Atommeiler im Angebot. | |
Im Jahr 1979 bekräftigt die zweite Ölkrise nach der iranischen Revolution | |
die Energiepartnerschaft mit der Sowjetunion, dann stellt sie der neue | |
Kalte Krieg vor ernsthafte Belastungsproben. Der Einmarsch der Sowjetunion | |
in Afghanistan und der Nato-Doppelbeschluss mit der Aufstellung neuer | |
Mittelstreckenraketen sorgen für frostige Beziehungen zum Kreml. Doch das | |
Gas fließt weiter, der Pakt „Energie gegen Devisen“ scheint auch in | |
schlechten Zeiten zu funktionieren. | |
## Über Nacht werden Milliardäre gemacht | |
Als deutsche Wirtschaftsbosse Ende 1979 nach Moskau reisen, ist die | |
sowjetische Intervention in Afghanistan vergessen. Die Gasimporte, so die | |
neue Vereinbarung, werden nochmals kräftig erhöht, sie steigen auf 30 | |
Prozent des Verbrauchs. Bundeskanzler Helmut Schmidt unterstützt den neuen | |
Deal nach Kräften. „Wandel durch Handel“ ist seine Devise oder frei nach | |
Jimmy Carter: Wer Geschäfte miteinander macht, schießt nicht aufeinander. | |
Um den Westexport und damit die Deviseneinnahmen zu sichern, kürzt | |
Generalsekretär Breschnew zu Beginn der 1980er Jahre lieber die | |
Energielieferungen an die sozialistischen Bruderländer, auch an die DDR. Es | |
kriselt, das in Polen verhängte Kriegsrecht führt 1981 zu neuen | |
US-Sanktionen gegen die Sowjetunion. Immer wieder warnt Washington die | |
Europäer vor drohenden Abhängigkeiten. Doch die Gas-Connection überlebt | |
unbeschadet, bis 1989 der Eiserne Vorhang fällt. War es auch der „Wandel | |
durch Handel“, der den kommunistischen Block zu Reformen und schließlich | |
zur Öffnung gezwungen hat? Diese Frage bleibt umstritten. | |
Im Jahr 1989 betritt ein neuer Akteur die energiepolitische Bühne: Das | |
sowjetische Gasministerium wird in das russische Staatsunternehmen Gazprom | |
umgewandelt, 1992 wird es zur Aktiengesellschaft. | |
Es ist der Auftakt einer hemmungslosen Bereicherung der früheren | |
sowjetischen Nomenklatura und ihrer Familien. Unzählige | |
Tochtergesellschaften und Scheinfirmen entstehen, Aktienpakete und | |
lukrative Aufträge an Gashandelsfirmen werden hin- und hergeschoben. Über | |
Nacht werden Milliardäre gemacht. | |
## Gazprom wird zum verlängerten Arm Putins | |
Zunächst setzt Generalsekretär Gorbatschow den korrupten Ex-Gasminister | |
Viktor Tschernomyrdin an die Konzernspitze, danach führt unter Boris Jelzin | |
Tschernomyrdins Vize Rem Wjachirew das Unternehmen, bis Wladimir Putin im | |
Mai 2001 seinen alten Gefolgsmann Alexei Miller als Gazprom-Chef | |
inthronisiert. Nach und nach wird die gesamte Konzernspitze mit ehemaligen | |
Geheimdienstleuten besetzt. | |
Gazprom wird zum verlängerten Arm, zur politischen Waffe Putins, | |
Erpressungen und Drohungen gehören zum normalen Geschäftsgebaren. Auch wenn | |
man in Deutschland damals kaum Notiz davon nimmt: Putin nutzt die | |
Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gegenüber anderen Staaten | |
mit aller Brutalität. Der Gas- und Ölhahn wird auf- und zugedreht, Preise | |
werden glatt verdoppelt, dann wieder für moskautreue Vasallen gesenkt. | |
Georgien, Lettland, Litauen, Polen und immer wieder die Ukraine werden | |
massiv unter Druck gesetzt. | |
Am Jahresbeginn 2006 eskaliert der Gasstreit zwischen Russland und der | |
Ukraine. Russland hat neue Tarife für den Gastransit durch die Ukraine | |
diktiert und will für den Eigenverbrauch Kiews „marktorientierte Preise“ | |
durchsetzen. | |
Als die Ukraine sich weigert, die heftigen Aufschläge zu akzeptieren, | |
stoppt Putin die Lieferungen im eiskalten Januar. Die Auswirkungen sind | |
auch bei den europäischen Abnehmern zu spüren. Dort wirken die Engpässe wie | |
eine Schocktherapie. Bulgarien, Estland, Finnland, Lettland, Litauen und | |
die Slowakei sind zu 100 Prozent von russischem Gas abhängig. | |
Unterdessen beginnt in den USA der Frackingboom, das Land steigt auf zum | |
größten Gasproduzenten. Doch US-Gas ist teuer, es muss verschifft und an | |
speziellen LNG-Terminals abgeladen werden, dafür gibt es keine | |
Infrastruktur. | |
Gazprom expandiert weiter aggressiv in die europäischen Märkte, will die | |
Herrschaft über Netze und Gasspeicher bekommen. In Deutschland haben der | |
Konzern und Präsident Putin, dem mehrere politische Morde zur Last gelegt | |
werden, einen Freund gefunden: Gerhard Schröder. Für den deutschen Kanzler | |
ist Putin ein „lupenreiner Demokrat“. Gemeinsam treiben sie eine neue | |
Ostseepipeline voran, die jährlich 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas | |
nach Mecklenburg-Vorpommern transportieren soll. Die Rohre umgehen | |
aufmüpfige Transitländer. | |
## Europa macht sich mit Nord Stream 2 abhängig | |
Doch im September 2005 ist die Wiederwahl von Putins Freund im Kanzleramt | |
fraglich. Zehn Tage vor der Bundestagswahl unterschreiben Schröder und | |
Putin noch schnell die Vereinbarung für eine neue Pipeline: Nord Stream. | |
Schröder verliert die Wahl am 18. September. Wenige Wochen später, am 9. | |
Dezember 2005, setzt Gazprom-Chef Miller den ersten Spatenstich für das | |
Projekt. Gleichzeitig verkündet er, dass Schröder Aufsichtsratschef von | |
Nord Stream wird. „Unverschämt“, kommentiert das für die Grünen Reinhard | |
Bütikofer. | |
Am 8. November 2011 nimmt Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit 500 | |
Ehrengästen die Ostseepipeline in Betrieb, die Erweiterung Nord Stream 2 | |
wird im Februar 2022 nach dem Überfall auf die Ukraine von der neuen | |
Ampelregierung blockiert. | |
Im März 2014 haben die Gasgeschäfte mit Russland auch die | |
völkerrechtswidrige Annexion der Krim überlebt. Im April 2014 kommentiert | |
die Energy Watch Group, ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern | |
und Parlamentariern, die Lage mit prophetischen Worten: „Russland wird | |
nicht automatisch und schon gar nicht für immer ein verlässlicher | |
Energielieferant für Europa bleiben. Die gesamte EU steckt längst in | |
russischer Abhängigkeit. […] Dem Diktat der Rohstoffbeschaffung werden | |
faktisch alle wichtigen politischen Grundsätze und Werte geopfert.“ | |
Genauso kommt es: Im Frühling 2022, mitten im Bombenhagel von Putins Krieg | |
gegen die Ukraine, beziehen Deutschland und die EU weiterhin Gas, Öl und | |
Kohle in gewaltigen Mengen aus aus Russland. | |
2 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Putins-Dekret-fuer-Gaszahlungen-in-Rubel/!5845537 | |
[2] /Sanktionen-und-Devisen/!5843041 | |
[3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[4] /Gaslieferungen-aus-Russland/!5843066 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Nordstream | |
Energiepolitik | |
Gazprom | |
Gerhard Schröder | |
Wladimir Putin | |
Erdgas | |
GNS | |
Deutsche Bank | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Energiequellen | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Embargo | |
Robert Habeck | |
fossile Energien | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Proteste gegen Deutsche Bank: Waschmaschinen gegen Greenwashing | |
An diesem Donnerstag findet die Hauptversammlung der Deutschen Bank statt. | |
AktivistInnen planen Proteste – mit schäumenden Elektrogeräten. | |
Ex-Kanzler mit Russland-Verbindungen: Gerhard Schröder bald ohne Büro | |
Die Ampel will dem Ex-Kanzler wohl noch diese Woche seinen Arbeitsplatz im | |
Bundestag streichen. Schröder hält trotz des Angriffs auf die Ukraine | |
weiter zum Kreml. | |
Energieembargo gegen Russland: Was ist mit Putins Erdgas? | |
Die Rufe nach einem kompletten Energieembargo gegen Russland werden lauter. | |
Die Folgen dieses Schrittes sind im Detail nicht zu überschauen. | |
Verträge begünstigen Kriegsstaat: Russland verdient auch ohne Gas | |
Laut den Gasverträgen müsste auch bei einem Embargo Geld nach Russland | |
fließen. Der Kreml profitiert auch von den hohen Preisen. | |
Gewerkschafter über Sanktionen: „Schwere wirtschaftliche Folgen“ | |
Erdgas ist nicht nur zum Heizen notwendig, sondern auch die Grundlage der | |
Industrie, erklärt Michael Vassiliadis von der IG Bergbau, Chemie, Energie. | |
Netzagentur übernimmt Gazprom Germania: Russisches Gas, deutsche Kontrolle | |
Die Bundesnetzagentur bestimmt ab sofort über Gazprom Germania, das | |
Tochterunternehmen des russischen Konzerns. Putin kündigt Vergeltung an. | |
Gaslieferungen aus Russland: Putins Rubel-Trick mit Schlupfloch | |
Wie von Moskau angedroht, muss jetzt russisches Gas in Rubel bezahlt | |
werden. Die Umsetzung kommt aber der EU zugute – vorerst. | |
Sanktionen und Devisen: Wenn Wirtschaft zur Waffe wird | |
Vertragsverletzungen sind logische Folge eines Krieges. Der Westen wie | |
Putin verletzen Verträge und sind überrascht, wenn die andere Seite es tut. | |
Putins Dekret für Gaszahlungen in Rubel: Was denn nun? | |
Rubel, Euro, doch Rubel? Der Zickzackkurs des russischen Präsidenten bei | |
der Bezahlung für Erdgas sorgt bei den Europäern für Fragezeichen. |