| # taz.de -- Gewerkschafter über Sanktionen: „Schwere wirtschaftliche Folgen�… | |
| > Erdgas ist nicht nur zum Heizen notwendig, sondern auch die Grundlage der | |
| > Industrie, erklärt Michael Vassiliadis von der IG Bergbau, Chemie, | |
| > Energie. | |
| Bild: Industrieanlagen der BASF in Ludwigshafen | |
| taz: Herr Vassiliadis, durch den russischen Krieg in der Ukraine sterben | |
| Zehntausende Menschen. Trotzdem lehnen Sie [1][ein Gas- und Energieembargo | |
| gegen Russland] ab. Warum? | |
| Michael Vassiliadis: Ihre Frage beinhaltet die Annahme, dass sich dieser | |
| verabscheuungswürdige Krieg durch ein deutsches Energieembargo stoppen | |
| ließe. So einfach ist es leider nicht. Die russische Militärmaschinerie | |
| versorgt sich innerhalb der Rubel-Ökonomie weitgehend autark, wäre davon | |
| also wenig betroffen. Umgekehrt gehört Deutschland mit halb Europa zu den | |
| Ländern, die viel Erdgas aus Russland beziehen und deshalb zumindest heute | |
| noch darauf angewiesen sind. Ein Energieembargo würde uns selbst so stark | |
| treffen, dass wir unsere zentrale ökonomische und humanitäre Rolle | |
| innerhalb Europas nicht mehr ausfüllen könnten. | |
| In welcher Weise würde Deutschland geschwächt? | |
| Stoppten wir den [2][Einkauf von Gas aus Russland] sofort, wäre eine | |
| schwere Wirtschaftskrise in Deutschland und Europa die Folge, ebenso wie | |
| eine weitere Schädigung der ohnehin angespannten industriellen | |
| Fertigungsketten. Das könnte nicht nur die Unterstützung der Bevölkerung | |
| für [3][die Sanktionen] untergraben, sondern die ohnehin schon angespannte | |
| Versorgungslage zusätzlich schwer schädigen – und zwar weltweit. | |
| Als Gewerkschaftschef vertreten Sie 600.000 Beschäftigte vor allem der | |
| Chemie- und Energieindustrie. Geht es Ihnen nicht in erster Linie um deren | |
| Interesse an sicheren Jobs? | |
| Damit macht man es sich zu leicht. Arbeitsplätze, die wir | |
| selbstverständlich erhalten wollen, sind nur ein Gesichtspunkt in diesem | |
| schwierigen Abwägungsprozess. Wer das Problem auf diese Frage verkürzt, | |
| unterschätzt die Bedeutung von Gas in der Wertschöpfungskette. Die | |
| Grundstoffindustrie als größte Gasverbraucherin ist quasi die Mutter fast | |
| aller industriellen Produkte. Ihre Vorprodukte werden in weiteren | |
| Fertigungsstufen zu Dünger, Medikamenten, Bau- und Kunststoffen, Textilien | |
| oder Fahrzeugen weiterverarbeitet. Letztlich hängt auch ein Teil der | |
| Lebensmittelproduktion davon ab. Allein die Industrie beschäftigt mehr als | |
| acht Millionen Menschen. | |
| Die Schätzungen von Ökonomen über die wirtschaftlichen Folgen eines | |
| Embargos klingen weit weniger dramatisch. Da ist von ein paar | |
| hunderttausend Arbeitslosen die Rede oder drei Prozent Schrumpfung des | |
| Bruttoinlandsprodukts (BIP). | |
| Abstrakte BIP-Zahlen sind die eine Seite. Für uns als Praktiker, die die | |
| enge Verzahnung der Industrie täglich erleben, haben diese Modelle mit der | |
| Realität wenig zu tun. | |
| Sie haben davor gewarnt, dass Europas größte Chemieproduktion, BASF und | |
| weitere Firmen, komplett abgeschaltet werden müsste, wenn zu wenig Erdgas | |
| kommt. Warum lässt sich das nicht übergangsweise auf Sparflamme betreiben? | |
| Am Anfang der Wertschöpfungskette stehen sogenannte Steamcracker: Anlagen, | |
| die Erdgas oder Erdöl aufspalten. Sie müssen zu mindestens 50 Prozent | |
| ausgelastet sein, sonst funktioniert der Prozess nicht und die Produktion | |
| schaltet automatisch ab. | |
| Hat Ihre Gewerkschaft einen Plan, wie sich Erdgas schnell ersetzen lässt? | |
| Ein Schritt besteht darin, Erdgas als Wärmequelle mit durch Ökostrom | |
| erzeugten Wasserstoff zu ersetzen. Dafür bedarf es allerdings gewaltiger | |
| Kapazitäten: BASF und RWE planen nur für die Versorgung des Standorts | |
| Ludwigshafen einen riesigen Windpark auf hoher See, der in den 2030er | |
| Jahren stehen und angebunden sein soll. | |
| Es muss viel schneller gehen. | |
| Das fordern wir seit Jahren, aber noch fehlt der politische Masterplan für | |
| den radikalen Ausbau der Erneuerbaren und Netze. Die Herausforderungen sind | |
| gigantisch: Allein die Chemieindustrie wird nach ihrer Transformation so | |
| viel Ökostrom benötigen, wie heute das ganze Land über alle Energieträger | |
| verbraucht. In der Zwischenzeit müssen wir aber auf andere Quellen | |
| zurückgreifen. | |
| Zum Beispiel? | |
| In Norddeutschland wartet so viel Gas unter der Erde, dass man dort zehn | |
| Jahre etwa 20 Prozent des deutschen Bedarfs bedienen könnte. Allerdings | |
| geht das nicht ohne Fracking. Wir müssen uns fragen, ob wir, statt | |
| Frackinggas aus den USA zu importieren, nicht im eigenen Land tätig werden | |
| sollten – zu weit umweltfreundlicheren Bedingungen. | |
| 6 Apr 2022 | |
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| Hannes Koch | |
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