# taz.de -- Bauernpräsident über Folgen des Kriegs: „Futter ernährt indire… | |
> Wegen des Ukrainekriegs droht mehr Hunger. Gleichwohl sagt | |
> Bauernverbandschef Rukwied: Es ist richtig, dass das meiste Getreide | |
> Tiere bekommen – und nicht Menschen. | |
Bild: Ein Teil ihres Futters kommt von Wiesen: Kühe auf der Weide | |
taz: Herr Rukwied, wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine fallen | |
große Getreidelieferungen aus den beiden Staaten aus. Die | |
Lebensmittelpreise steigen, in Entwicklungsländern droht mehr [1][Hunger]. | |
Lässt es sich noch ethisch verantworten, dass 60 Prozent unserer | |
Getreideproduktion nicht gegessen, sondern verfüttert werden? | |
Joachim Rukwied: Wir haben in Deutschland 4,7 Millionen Hektar Wiesen und | |
Weiden. Dieses Grünland ist auch für die Artenvielfalt und den Klimaschutz | |
wichtig. Wir können es hervorragend über Rinder- und Schafhaltung nutzen, | |
indem wir dort Futter erzeugen. Es ist die Basis der Futterration, die wir | |
dann ergänzen durch Futtermais und durch Nebenprodukte, die beispielsweise | |
bei der Herstellung von Rapsöl oder Zucker anfallen und nicht für den | |
menschlichen Verzehr geeignet sind. Damit erzeugen unsere Landwirte dann | |
hochwertige Milch und Molkereiprodukte, und es fällt auch noch organischer | |
Dünger an, mit dem wir Pflanzen ernähren können für eine | |
Kreislaufwirtschaft. Wir brauchen die Tierhaltung, um das Grünland zu | |
erhalten. | |
Das meiste Getreide bekommen Schweine und Geflügel, nicht Rinder. Noch mal: | |
Sollte man damit nicht besser Menschen ernähren? | |
Auch Futter ernährt letztendlich indirekt uns Menschen. Am Ende der Kette | |
haben wir hochwertige und auch regionale Lebensmittel: Milch, | |
Molkereiprodukte, Fleischprodukte. Und die brauchen wir auch für eine | |
ausgewogene Ernährung. | |
Was sagen Sie zu dem Einwand, dass das Vieh auch Kalorien für den | |
Eigenverbrauch benötigt, die deshalb für die menschliche Ernährung | |
verlorengehen? Und dass wir im Schnitt mehr Fleisch essen als für die | |
Gesundheit empfohlen? | |
Meine Empfehlung war schon immer: Die Menschen sollen sich ausgewogen | |
ernähren. Dazu gehören auch Fleisch und Milch. Unsere Verbraucherinnen und | |
Verbraucher sollen frei entscheiden, was sie konsumieren. | |
Wenn Sie die VerbraucherInnen nicht zu weniger Fleischkonsum animieren | |
wollen: Wie wollen Sie dann mehr Getreide für die Ernährung bereitstellen? | |
Die EU-Kommission ermöglicht, dieses Jahr auf den ökologischen | |
Vorrangflächen Futter- und Lebensmittel anzubauen. Das sollte jetzt auch in | |
Deutschland erlaubt sein. Wir schätzen, dass man circa 2 Prozent der | |
Ackerfläche, also 250.000 Hektar, zusätzlich nutzen könnte. Das sollte die | |
Bundesregierung ermöglichen, um das Risiko einer globalen Ernährungskrise | |
aufgrund mangelnder Nahrungsmittel zu reduzieren. | |
Der intensive Anbau auf ökologischen Vorrangflächen geht zulasten der | |
Artenvielfalt, weil sich dort normalerweise Pflanzen und Tiere zurückziehen | |
können. Wenn man dagegen keine Pflanzen mehr für Agrosprit anbauen würde, | |
hätte man auf einen Schlag rund 5 Prozent Agrarfläche für die | |
Lebensmittelproduktion zusätzlich und kein Artenschutzproblem, oder? | |
Für mich steht jetzt Ernährungssicherung im Vordergrund. Wir sollten jetzt | |
einen Teil der ökologischen Vorrangflächen stärker nutzen können. Das heißt | |
jedoch nicht, dass wir Themen wie Klimaschutz und Biodiversität außer Acht | |
lassen. Wir werden natürlich auch in diesem Jahr unsere Uferrandstreifen | |
haben, auf denen keine Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden. Es wird zum | |
Beispiel weiterhin Blühstreifen mit Pflanzenmischungen für Insekten und | |
Bestäuber geben. | |
Die Blüh- und Uferrandstreifen sind ein sehr kleiner Teil im Vergleich zu | |
den ökologischen Vorrangflächen. Und: Die Frage zum Agrosprit haben Sie | |
nicht beantwortet. | |
Wenn wir erneuerbare Energien auf unseren Flächen erzeugen, dann erzeugen | |
wir auch Koppelprodukte. Und das sind hochwertige Futtermittel, die wir | |
dann in der Tierhaltung einsetzen können. Das ist also am Ende Energie plus | |
Lebensmittel, und Energie ist auch knapp. Die Energiekrise ist ja ein | |
Thema, das derzeit alle in der Politik umtreibt. | |
Das würde bedeuten: Es ist wichtiger, Tank und Trog zu füllen als die | |
Teller. Vielleicht sind Sie mit Umweltschützern bei dieser Frage einig: | |
Wegen des Kriegs ist auch Kunstdünger sehr viel teurer geworden, weil er | |
mithilfe von Erdgas produziert wird und oft aus Russland kommt. Brauchen | |
wir mehr Ökolandbau, der ja ohne solche Düngemittel auskommt? | |
Die Erträge im Ökolandbau sind einfach deutlich unter denen im | |
konventionellen Anbau. Da muss man schon intensiv darüber nachdenken, ob | |
das ein zielführender Ansatz ist. Vor Kriegsausbruch haben rund 20 Prozent | |
unserer Landwirte die Umstellung auf Ökolandwirtschaft erwogen. Ich bin | |
gespannt, ob wir das sehr ambitionierte Ziel der Bundesregierung erreichen, | |
den Anteil des Ökolandbaus an der Agrarfläche bis 2030 auf 30 Prozent zu | |
steigern. | |
Sie wollen, dass die konventionellen Landwirte auf mehr Flächen als bisher | |
chemisch-synthetische Pestizide spritzen dürfen. Auch dank Ihres Drucks hat | |
die EU-Kommission einen Vorschlag gestoppt, den Pestizideinsatz bis 2030 | |
verpflichtend zu halbieren. Ist das Artensterben, zu dem Pestizide | |
beitragen, plötzlich vorbei? | |
Wir wollen den Pflanzenschutzmitteleinsatz reduzieren. Aber wir müssen | |
Pflanzen vor Schadinsekten und Krankheiten schützen können – egal, ob wir | |
konventionell oder ökologisch wirtschaften. Wir können ihn reduzieren, weil | |
wir zunehmend bessere Applikationstechniken haben werden, bis hin zur | |
automatischen Erkennung des Unkrauts. Aber es ist fachlich falsch, dass die | |
EU per ordre de mufti eine Prozentzahl vorgibt. Der Schädlings- und | |
Infektionsdruck ist jedes Jahr unterschiedlich. Da muss ich als Landwirt | |
flexibel reagieren können. | |
Pestizide oder chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel machen die | |
Landwirtschaft auch abhängig von Erdölimporten etwa aus Russland, auf deren | |
Basis sie hergestellt werden. Der Ökolandbau kommt auch ohne sie aus. | |
Müssen wir den Pestizideinsatz stärker senken, als es durch freiwillige | |
Maßnahmen möglich ist? | |
Der Anteil von Erdöl für die Herstellung von Pflanzenschutzmitteln ist | |
relativ gering. An Energie brauchen wir Landwirte in großen Mengen Diesel, | |
damit wir Felder und Grünland bewirtschaften können. Wir brauchen auch | |
Strom, und für die synthetische Herstellung von Stickstoffdünger wird | |
Erdgas benötigt. | |
Kann man die Abhängigkeit vom Erdöl für Pestizide ignorieren, weil die | |
Abhängigkeit in anderen Bereichen noch größer ist? | |
Wenn wir die Ernährungssicherung gewährleisten wollen, dann müssen wir | |
unsere Pflanzen einfach schützen können. Sonst würden wir am Ende die | |
Ernährungssicherheit gefährden. | |
Sie lehnen ja auch ab, dass die Landwirte ab 2023 für EU-Subventionen 4 | |
Prozent der Ackerfläche für den Naturschutz und nicht die Produktion | |
nutzen. In der Zukunftskommission Landwirtschaft der Bundesregierung hatten | |
Sie sich in einem historischen Kompromiss mit den Umweltverbänden sogar auf | |
10 Prozent verständigt. Was ist das Wort des Bauernverbands noch wert? | |
Das Wort des Bauernverbandes hat nach wie vor Bestand. Wir stehen zu den | |
Ergebnissen der Zukunftskommission. Ich orientiere mich an den | |
tagesaktuellen Herausforderungen. Und da haben wir jetzt das Thema | |
Energiekrise und Sicherstellung der Ernährung. Wir werden die Biodiversität | |
auch durch andere Maßnahmen voranbringen. | |
Ihre aktuellen Forderungen sollen den Getreideexport erleichtern. Im Moment | |
sind die Weltmarktpreise sehr hoch. Aber das kann sich auch schnell ändern | |
und Märkte brechen weg. Wegen der Weltmarktorientierung haben gerade viele | |
kleinere Höfe zugunsten größerer mit kleineren Stückkosten aufgegeben. | |
Sollte sich die deutsche Landwirtschaft wirklich auf den globalen Markt | |
ausrichten? | |
Die deutsche Landwirtschaft hat sich auch in der Vergangenheit immer am | |
EU-Binnenmarkt und am deutschen Markt orientiert. Circa 75 Prozent unserer | |
Produkte erzeugen wir für den deutschen Markt, 20 Prozent für den | |
europäischen Markt und 5 gehen über die Europäische Union hinaus und werden | |
global vermarktet. Wir sehen uns nicht als die Erzeuger von | |
Commodity-Produkten (wie Getreide; d. Red.), um in Konkurrenz mit Brasilien | |
oder auch den Vereinigten Staaten von Amerika zu gehen. Sondern wir sehen | |
uns als regionale Erzeuger, vornehmlich auch für den regionalen Markt. | |
5 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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