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# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Import und Export von Konflikten
> Nancy Faeser warnt vor zunehmenden Anfeindungen. Sie appelliert, den
> Konflikt nicht nach Deutschland zu tragen – dabei ist er längst da.
Bild: Teilnehmer eines prorussischen Protestzugs am sowjetischen Ehrenmal in Be…
Das Importgeschäft aktueller Konflikte läuft laut Bundesinnenministerin
Nancy Faeser gerade wieder auf Hochtouren. Sie warnte diese Woche in der
Neuen Osnabrücker Zeitung, dass „dieser Konflikt“ nicht in die Gesellschaft
hineingetragen werden dürfe. Mit „diesem Konflikt“ meint Faeser eigentlich
einen Krieg, und zwar den russischen in der Ukraine.
Laut Faesers Ministerium verzeichneten die deutschen Behörden bislang 308
antirussische Straftaten und 109 antiukrainische Straftaten seit Beginn des
russischen Überfalls auf die Ukraine. Es geht dabei um Fälle von
Sachbeschädigung, Beleidigung, Bedrohung bis hin zu Körperverletzung.
Ukrainische Aktivist:innen in Berlin berichteten beispielsweise davon,
[1][sich verfolgt zu fühlen]. Außerdem wurde [2][Ende März in die Wohnung
eines ihrer Ukrainehelfer eingebrochen].
Und was antirussische Angriffe angeht, es stimmt: Menschen, die
vermeintlich als Russen identifiziert werden, und oftmals dann doch keine
sind, weil die Täter das nicht auseinanderhalten können, sind Anfeindungen
ausgesetzt. Eine ernstzunehmende Bedrohungslage für russischsprachige
Menschen in Deutschland, wie von Putins Propagandakanälen oder der
Russischen Botschaft in Deutschland behauptet, existiert hingegen nicht.
Man muss an dieser Stelle auch unterscheiden: zwischen Taten und Aktionen,
die aus [3][der postsowjetischen Community] heraus geschehen, und solchen,
die von Deutschen begangen werden, die denken, sich nun in diesem Krieg als
Moralapostel aufspielen zu müssen.
Ein Beispiel für Ersteres ist der Autokorso in Berlin, bei dem am Sonntag
Teilnehmer:innen ihre Unterstützung für Putin und damit auch für seine
Verbrechen zum Ausdruck gebracht haben. Mit wehenden Russlandfahnen bewegte
sich laut Polizei ein Autokorso mit etwa 900 Menschen und mehreren Hundert
Fahrzeugen durch die Hauptstadt. Angemeldet war die Veranstaltung unter dem
Titel „Keine Propaganda in der Schule – Schutz für russischsprechende
Leute, keine Diskriminierung“. An dem Tag, an dem die abscheulichen
Kriegsverbrechen russischer Soldaten in Butscha öffentlich wurden, zögerten
die Teilnehmer:innen des Korsos nicht, ihre russisch-nationalistische
Gesinnung auf die Straße zu tragen und zu fordern: „Stop hating Russians“,
wie auf einem Schild zu lesen war.
## Putin legt ein Land in Schutt und Asche
Ereignisse wie der Autokorso, Angriffe gegen Ukrainer:innen, die sich in
Deutschland gegen den Krieg engagieren und auch Angriffe gegen Menschen,
die nichts mit diesem Krieg zu tun haben, als angebliche
Putinsympathisanten adressiert werden, berühren Menschen der
postsowjetischen Community in Deutschland. Wie denn auch anders?
Rund 3,5 Millionen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion leben heute in
Deutschland. Es ist die größte Migrant:innengruppe der Bundesrepublik.
Diese Menschen trifft der gegenwärtige Krieg auf unterschiedliche Art und
Weise. Manche sind selbst einmal aus der Ukraine nach Deutschland
eingewandert, sie haben heute noch Freund:innen und Familie in dem Land,
das Putin und seine Soldaten gerade in Schutt und Asche legen.
Faesers Appell, man dürfe den Russland-Ukraine-Konflikt nicht in die
deutsche Gesellschaft hineintragen, wirkt deshalb hilflos. Als gehe es um
einen tatsächlichen Import eines ausländischen Problems; eines Konflikts,
der zwar gut in Russland und der Ukraine ausgetragen werden könne, aber
bitte nicht hier in Deutschland, wo man lieber nichts mit dem Krieg und
seinen Auswirkungen zu tun haben will. Aber manche Konflikte muss man nicht
importieren, sie sind längst da. Weil Menschen mit Einwanderungsgeschichte
Teil dieses Landes sind. In diesem konkreten Fall seit mindestens 30
Jahren.
Das von deutschen Politiker:innen beklagte Importgeschäft von
Konflikten ist übrigens nicht neu. Dass vermeintlich Konflikte von woanders
nach Deutschland importiert würden, wird auch regelmäßig der
türkeistämmigen Community vorgeworfen; zum Beispiel immer dann, wenn es in
den vergangenen Jahren infolge von militärischen und politischen
Auseinandersetzungen in den Herkunftsländern auch zu Konflikten zwischen
türkisch- und kurdischstämmigen Bevölkerungsgruppen in Deutschland kam.
## Ein entscheidender Denkfehler
Als 2018 das türkische Militär eine Offensive gegen [4][das kurdische
Afrin] startete, eskalierte es so auch mitten in Deutschland. Es kam zu
Brandanschlägen, Auseinandersetzungen auf Demonstrationen und Schlägereien.
NRW-Innenminister Herbert Reul antwortete damals, wie andere Innenminister
auch, mit einem Appell: Er werde „nicht dulden, dass innertürkische
Konflikte hier auf deutschem Boden ausgetragen werden“.
Nicht, dass man Gewalttaten tolerieren sollte, aber Reul unterlag einem
entscheidenden Denkfehler. Er tat so, als könnte das, was da gerade in
Afrin passierte, keine Emotionen bei Menschen in Deutschland hervorrufen,
die Verwandte und Freunde auf beiden Seiten hatten. Reul leugnete damit
nicht nur die Betroffenheit der Menschen hierzulande, sondern auch die
Existenz politischer Gruppierungen, die sich in Deutschland über Jahre
hinweg entwickelt hatten und nun besonders sichtbar geworden waren.
Auch der Krieg in der Ukraine geht weit über die Grenzen des Landes hinaus.
So zu tun, als seien die Konflikte und Spannungen, die er auslöst, einzig
und allein im Ausland angesiedelt, ist realitätsfern.
Knapp 3,5 Millionen Menschen in Deutschland mit persönlichen Verbindungen
zu dem gegenwärtigen Krieg können nicht einfach so kleingeredet werden.
Eine Bundesinnenministerin, die die Konflikte, die sich auch hierzulande
zeigen, in den Griff bekommen möchte, muss sich zuallererst darüber bewusst
werden, dass sich diese Menschen betroffen fühlen und von dem Geschehen in
ihren Herkunftsländern bewegt sind. Um glaubwürdig und wirksam zu sein,
muss sich auch ihre Rhetorik an die Realität anpassen, in der politische
Konflikte sowie (Migrations-)Geschichten von Menschen über
nationalstaatliche Grenzen hinausgehen.
5 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.rbb24.de/politik/thema/Ukraine/beitraege/helfer-berlin-einbruch…
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/ukrainekrieg-helfer-einschuechterung-1.…
[3] /Postsowjetische-Menschen-in-Deutschland/!5841275
[4] /Kurdisch-verwaltete-Region-in-Syrien/!5827362
## AUTOREN
Erica Zingher
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