| # taz.de -- Russlanddeutsche in Berlin: „Es war eine Pro-Kriegs-Demo“ | |
| > Die Berliner Grüne Dara Kossok-Spieß fordert „harte Auflagen“ bei der | |
| > Feier zum Ende des Zweiten Weltkriegs am russischen Ehrenmal in Treptow. | |
| Bild: Polizeibeamte entfernen eine ukrainische Flagge von einem Sowjetischen Eh… | |
| taz: Frau Kossok-Spieß, Sie wurden in Kasachstan geboren und sind als | |
| Achtjährige nach Deutschland gekommen. Mit Russland haben Sie eigentlich | |
| nichts zu tun. Ist es trotzdem okay, wenn ich Sie eine Russlanddeutsche | |
| nenne? | |
| Dara Kossok-Spieß: Ja. Ich bin ja russischsprachig sozialisiert. Die | |
| Russlanddeutschen wurden unter der Zarin Katharina der Großen als | |
| Arbeitsmigranten an die Wolga geholt. Dort gab es deutsche Siedlungen und | |
| die deutsche Sprache und Kultur wurde gepflegt. Mein Großvater wurde wie | |
| viele andere Russlanddeutsche in der Stalinzeit nach Kasachstan vertrieben. | |
| Dort lernte er meine russische Großmutter kennen, die aus Moskau zur Arbeit | |
| nach Kasachstan gekommen war. Solche Geschichten vereinen uns | |
| Russlanddeutsche – egal, ob wir aus Russland, Kasachstan oder Usbekistan in | |
| „die historische Heimat“ Deutschland kamen. Uns eint auch die Enttäuschung, | |
| hier als Russen wahrgenommen zu werden. | |
| Wie wird denn unter den Berliner Russlanddeutschen über den Krieg in der | |
| Ukraine debattiert? | |
| Das ist ein emotionales Thema, das die Community tief spaltet. | |
| Wie bildet sich das ab? | |
| Ich kenne Familien, da sprechen Angehörige seit Kriegsausbruch nicht mehr | |
| miteinander oder zumindest nicht mehr über dieses Thema. Ich selbst kann | |
| mir die Instagram-Storys meiner in Russland lebenden Cousinen nicht mehr | |
| ansehen, ohne in Wut zu geraten. Sie stehen hinter dem Krieg. Und wie meine | |
| Cousinen sprechen auch hier in Berlin Russlanddeutsche von der | |
| ‚Entnazifizierung‘ der Ukraine durch Putin. Sie halten mich und andere für | |
| gehirngewaschen durch westliche Propaganda. Darunter sind Leute, die schon | |
| als Coronaleugner und Querdenker unterwegs waren. | |
| Wo außer im Privaten finden diese Debatten statt? | |
| Das läuft alles [1][über das Internet] und über persönliche Kontakte. Die | |
| Putin-Freunde haben ihre speziellen Telegram-Gruppen oder Gruppen über | |
| Odnaklassniki, das ist ein Netzwerk ähnlich wie Facebook in russischer | |
| Sprache. Dort mitzudiskutieren bringt nichts: Dort herrscht | |
| Herrenmenschentum. Wer dagegenhält, wird mit solchen Schimpfwörtern | |
| überschüttet, dass man erst mal unter die Dusche muss. | |
| Am Wochenende gab es einen [2][Autokorso durch Berlin] mit Russlandfahnen | |
| zur Unterstützung Putins. Wer waren denn da die Teilnehmenden? | |
| Das waren sehr gut organisierte Gruppen von Putin-AnhängerInnen russischer | |
| und nichtrussischer Abstammung. 30 Teilnehmer waren angemeldet, 900 sind | |
| dann gekommen. Wer vorab in deren Telegram-Gruppen geschaut hatte, wusste, | |
| wie groß die Mobilisierung war. Angemeldet war das als eine Demonstration | |
| gegen Diskriminierung russischsprachiger Menschen. Doch es war eine | |
| Pro-Kriegs-Demonstration. Teilnehmer trugen Putin-T-Shirts, Fahnen aus dem | |
| russischen Zarenreich, sie spielten Kriegsmusik. Ukrainische und | |
| russlanddeutsche GegendemonstrantInnen wurden beschimpft und bedroht. | |
| Wie engagieren sich Menschen aus der russlanddeutschen und ukrainischen | |
| Community in Berlin, die anders denken, sonst noch? | |
| Viele sind [3][extrem aktiv]. Sie helfen auf den Bahnhöfen, sie haben | |
| ukrainische Familien aufgenommen. Da kommen ihnen ihre russischen | |
| Sprachkenntnisse zugute. Bei mir in Spandau haben sich spontane Netzwerke | |
| von Russischsprachigen gebildet. Das sind keine klassischen Ehrenamtler: | |
| Sie wurden durch die Ereignisse in der Ukraine motiviert, etwas zu tun. | |
| Was denn? | |
| Eine Gruppe kauft gebrauchte Krankenwagen auf, stattet sie mit | |
| Medizinprodukten aus und schickt sie in die Ukraine. Andere stehen vor dem | |
| Willkommenszentrum in Reinickendorf und verteilen gekochten Buchweizen – | |
| ein Grundnahrungsmittel in den GUS-Staaten. Sehr bewegt hat mich der Fall | |
| der Hilfe für eine krebskranke schwangere Witwe aus der Ukraine mit zwei | |
| Kindern. Ein ukrainischer Krankenwagen hat sie bis zur polnischen Grenze | |
| gefahren. Von dort wurde von Spandau aus der Weitertransport organisiert | |
| bis zur Aufnahme der Frau in das Waldkrankenhaus. | |
| Viele Russlanddeutsche sympathisieren mit der CDU oder der AfD. Sie gehören | |
| dem Landesvorstand der Grünen an und sind Fraktionsvorsitzende in der BVV | |
| Spandau. Sind Sie mit diesem Engagement unter den Russlanddeutschen eine | |
| Ausnahme? | |
| Nicht ganz. Aber es ist schon richtig: Als grüne Russlanddeutsche führe ich | |
| einen Kampf an zwei Fronten. Den Grünen muss ich erklären, dass nicht alle | |
| Russlanddeutschen AfD wählen und dass die Sympathie für die CDU historische | |
| Ursachen hat: Die Kohl-Regierung hat es uns ermöglicht, nach Deutschland zu | |
| kommen, und der Wertkonservatismus der CDU kam bei älteren | |
| Russlanddeutschen gut an. Russlanddeutschen wiederum muss ich ständig | |
| erklären, was ich bei den Grünen will, die doch angeblich alle keinen | |
| Schulabschluss haben und die Menschen zum Kiffen bringen wollen. | |
| Sie hatten der taz vor einigen Tagen bereits Ihre Sorge mitgeteilt, dass | |
| der [4][9. Mai am Sowjetischen Ehrenmal] im Treptower Park durch Putin und | |
| seine Anhänger unter Russlanddeutschen instrumentalisiert wird; dass es zu | |
| gefährlichen Provokationen kommen kann. Wie hat sich die Situation seitdem | |
| entwickelt? | |
| Die Sorge bleibt. Derzeit wird in den einschlägigen Telegram-Gruppen sehr | |
| detailliert diskutiert, wer auf welchem Weg am 9. Mai in den Treptower Park | |
| kommt. Es geht um fehlende Parkplätze dort. Es werden | |
| ultranationalistische Parolen gedroschen. Es wird ganz klar ein Aufmarsch | |
| geplant im Sinne von Putin. Die meisten Russlanddeutschen haben nie in | |
| Russland gelebt. Sie kennen nur das Russlandbild, das das russische | |
| Staatsfernsehen vermittelt. Das ist ein verklärtes Bild, das ihr | |
| wertkonservatives Weltbild geschickt auffängt. Die Propaganda aus Russland | |
| vermittelt ihnen, dass jeder, der Russisch spricht, zu ihnen gehört. Sie | |
| vermittelt zugleich blanken Rassismus, beispielsweise gegen syrische | |
| Flüchtlinge. | |
| Welche Handlungsfelder sehen Sie da? | |
| Ein gutes Sicherheitskonzept muss her. Prorussische Demonstrationen sind | |
| ein neues Phänomen, das unterschätzt wird – das hat die Teilnahme am | |
| Autokorso am Sonntag ja gezeigt. Ich bin für harte Auflagen, beispielsweise | |
| für ein Verbot, russische Fahnen zu zeigen. Von ukrainischer Seite wird | |
| bewusst auf Gegenveranstaltungen verzichtet, weil man entsprechende Bilder | |
| fürchtet, die dann nach Moskau gesendet werden. | |
| 7 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marina Mai | |
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