# taz.de -- Landwirtschaft in Niedersachsen: Geflügeltransporte in den Krieg | |
> Niedersachsen hat Tiertransporte nach Russland, Belarus und in die | |
> Ukraine untersagt, aus Tierschutzgründen. Doch Geflügel bleibt | |
> ausgenommen. | |
Bild: Dürfen in der Ukraine aus dem Ei schlüpfen: Küken | |
Osnabrück taz Lebende Tiere werden von Niedersachsen aus in viele Länder | |
der Welt transportiert – bis vor Kurzem auch nach Russland. Doch während | |
das Landwirtschaftsministerium im März in einem Erlass den Transport von | |
Pferden, Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen wegen des russischen | |
Angriffskriegs nach Russland, Belarus und in die Ukraine ausgesetzt hat, | |
ist von Geflügel darin nicht die Rede. Ein Schlupfloch für die | |
Geflügelindustrie? | |
Miriam Staudte, Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im hannoverschen | |
Landtag und agrarpolitische Sprecherin, hakte mit einer Kleinen Anfrage | |
nach – und [1][bekam vom Ministerium der CDU-Politikerin Barbara | |
Otte-Kinast] nur eine spärliche Antwort. „Knapper kann man kaum antworten“, | |
ärgert sich die Grüne im Gespräch mit der taz. | |
„Derzeit“ würden in Niedersachsen keine [2][Lebendtiertransporte von | |
Nutztieren] nach Russland und in die Ukraine abgefertigt – das gelte auch | |
für den Transport frisch geschlüpfter Küken, heißt es in der Antwort. | |
Verbindlich geregelt ist dies in dem Erlass für die kommunalen | |
Veterinärbehörden aber eben nicht. | |
Staudte ärgert das. „Es gibt keinen Grund, in diesem Erlass das Geflügel | |
auszuschließen“, sagt sie. „Da muss unbedingt nachgearbeitet werden.“ | |
[3][Hunderttausende Tiere seien betroffen.] In Bezug auf den Transport | |
Richtung Osten habe das Landwirtschaftsministerium schon in der | |
Vergangenheit einräumen müssen, dass etliche Versorgungsstationen für die | |
Tiere nur auf dem Papier existierten. „Tagelange Transporte über Tausende | |
von Kilometern sind vor diesem Hintergrund auf gar keinen Fall | |
tierschutzkonform durchzuführen.“ | |
## Stalltore geöffnet vor der Flucht | |
Staudte hat eine Vermutung, warum das Geflügel ausgespart ist: „Otte-Kinast | |
will sich offensichtlich nicht mit der Geflügellobby anlegen.“ Die Grüne | |
mahnt: „Niemand weiß, wie die Zustände kriegsbedingt auf den | |
Transportrouten sind.“ Ebenso wenig in den Ställen: „Man muss mit | |
Stromausfällen rechnen. Es gibt Fälle, in denen Menschen, die fliehen | |
mussten und ihre Tiere nicht mehr versorgen konnten, einfach die Stalltore | |
geöffnet haben.“ | |
Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen | |
Geflügelwirtschaft, beruhigt: „Lebende Tiere werden im Moment nicht | |
ausgeführt, weder nach Russland noch in die Ukraine.“ Aber es gebe einen | |
Unterschied: „Nach Russland liefern wir gar nichts. Aber der Ukraine, die | |
ja in Folge des Krieges mit Hunger zu kämpfen hat, helfen wir mit Bruteiern | |
von Masttieren.“ | |
Die Eier gehen per Lkw in die Westukraine, dort schlüpfen die Küken und | |
sind nach anderthalb Monaten schlachtreif. „Eine kurzfristige Hilfe bei der | |
Ernährungsproblematik“, sagt Ripke. „Auch schon vor dem Krieg haben wir der | |
Ukraine geholfen, auch mit Genetik. Das Land ist sehr daran interessiert, | |
seine Geflügelwirtschaft zu stärken.“ | |
Ein Schlupfloch, um [4][die unwirtschaftlicheren männlichen Küken] | |
weiterverkaufen zu können, die in Deutschland seit Januar 2022 nicht mehr | |
geschreddert werden dürfen (siehe Kasten), sei die Aussparung des Geflügels | |
in Otte-Kinasts Erlass nicht, sagt Ripke. „Diese Tiere gehen zur Mast nach | |
Polen. Für die Ukraine wären sie ungeeignet, denn ihre Aufzucht dauert und | |
frisst viel Futtermittel.“ | |
In den letzten fünf Jahren, so heißt es vom Agrarministerium in der Antwort | |
auf die Kleine Anfrage, habe die Ukraine für den Export von beispielsweise | |
Truthahn-Küken aus Niedersachsen „eine Rolle“ gespielt, Russland ebenfalls. | |
Es sei gut, dass Ministerin Otte-Kinast „nach anfänglicher Untätigkeit“ d… | |
Abfertigen von Tiertransporten in ihrem Erlass vom März untersagt habe, | |
sagt Staudte. Aber die Gründe, die den Transport von Pferden, Rindern, | |
Schafen, Ziegen und Schweinen verbieten, beträfen ebenso das Geflügel. | |
## Tiere könnten im Krieg verletzt werden | |
Es sei „wahrscheinlich, dass den Tieren unnötige Leiden oder Verletzungen | |
zugefügt würden“, heißt es im Erlass. Möglich seien unkalkulierbare | |
Wartezeiten an Grenzen, Verkehrsbehinderungen durch Flüchtlingsströme, | |
Hemmnisse bei Verzollungen und Einfuhruntersuchungen, Schließungen oder | |
Einschränkungen von Versorgungsstellen oder eventuelle Verletzungen der | |
Tiere durch Waffeneinsatz in Kampfhandlungen. | |
Ein Indiz dafür, dass sich das Bundesland damit schwertut, | |
Wirtschaftsbeziehungen zu Russland zu kappen, ist [5][Niedersachsens | |
Repräsentanz in Moskau.] Die ist noch nicht geschlossen. Markteinstieg in | |
Russland? Vermittlung politischer Kontakte? Unterstützung bei der | |
Organisation von Messeständen? Vermittlung möglicher Lieferanten? Die | |
Angebotsbreite der Vertretung ist online noch immer abrufbar. | |
Man könne „nicht ernsthaft weiter ein Büro für Wirtschaftskontakte | |
niedersächsischer Unternehmen in Moskau unterhalten“, während „in der | |
Ukraine seit sechs Wochen Bomben fallen und Putins Truppen schwere | |
Kriegsverbrechen verüben“, sagt der grüne Abgeordnete Christian Meyer. Die | |
Vertretung sei abzuwickeln und zu schließen. | |
7 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Niedersachsens-Agrarministerin-ueber-Tierschutz/!5767188 | |
[2] /Verwaltunsggericht-erlaubt-Transport/!5766310 | |
[3] /Lebendtier-Exporte/!5728726 | |
[4] /Verbot-des-Kuekentoetens/!5773911 | |
[5] https://www.dwih-moskau.org/de/supporter/die-vertretung-des-landes-niedersa… | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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