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# taz.de -- Entwicklungshilfeministerin im Libanon: Auch sie macht Sicherheitsp…
> Im Libanon und in Äthiopien rennt Svenja Schulze offene Türen ein.
> Schwieriger könnte es für die SPD'lerin mit ihrem Koalitionspartner
> werden.
Bild: Die Weizenpreise steigen, weil Getreide aus der Ukraine nicht transportie…
Addis Abeba/Beirut taz | Kekse, Kuchen und Gebäck, all das hat die Bäckerei
Banbajian in Beirut normalerweise im Angebot. Seit 1940 betreibt die
Familie das Geschäft, mittlerweile in zweiter Generation. „Unsere Regale
und Vitrinen waren voll“, sagt Giselle Banbajian und dreht sich im
Verkaufsraum um. Die Kühlvitrinen hinter ihr sind aus, weil der Strom
fehlt. In den halbleeren Auslagen liegen noch fluffige Brötchen und
arabisches Brot. Aber auch hier drohe ein Engpass, weil es kaum noch Öl und
Weizenmehl zu kaufen gebe, sagt Banbajian. „Mit der [1][Ukrainekrise] ist
alles noch schlimmer geworden.“
Die Ukraine gehört zu den zehn größten Weizenproduzenten der Welt. Doch
seit dem Einmarsch Russlands wird das Land sein Getreide nur noch mühsam
los. Die Silos sind zwar voll gefüllt mit der Ernte des vergangenen Jahres,
aber die Häfen sind blockiert. Für Länder wie den [2][Libanon, der bis zu
80 Prozent seines Weizens aus der Ukraine bezieht], ist das fatal. Sie
müssen sich nach Alternativen umsehen – und die sind oft drei- bis viermal
so teuer.
Auch Banbajian bekommt die gestiegenen Kosten zu spüren. Die Zutaten muss
sie in Dollar bezahlen, die Kunden zahlen das Brot weiter in der örtlichen
Währung Lira, die sich allerdings im freien Fall befindet: Ein Dollar
kostet aktuell 28.000 Lira. „Wir können nicht einfach die Preise erhöhen.
Unsere Kundschaft ist wie eine Familie, man muss aufeinander aufpassen“,
sagt Banbajian. Um Kosten zu sparen, hat der Betrieb alle Angestellten
entlassen, nun müssen die Familienmitglieder ran – ihre beiden Brüder,
deren Ehefrauen und sie selbst. Selbst der 96-jährige Vater ist noch im
Geschäft.
Für die Menschen im Libanon bedeutet der Ukrainekrieg eine zusätzliche
Katastrophe. Sie kommt hinzu, zu einer massiven Wirtschaftskrise, Corona
und [3][der Explosion im Hafen, die im August 2020 ganze Stadtviertel
verwüstete]. Insgesamt droht Russlands Einmarsch in der Ukraine [4][das
krisengeschüttelte nördliche Afrika] und Westasien zusätzlich zu
destabilisieren.
## 10 Millionen für den Jemen
Steigende Lebensmittel- und Energiepreise treiben immer mehr Menschen in
die Armut, im Libanon sind immer mehr Menschen auf Lebensmittelpakete
angewiesen. „Wenn die Leute kein Brot mehr haben, kann niemand voraussagen,
wie es enden wird“, sagt Corinne Fleischer, die regionale Leiterin des
Welternähungsprogramms (WFP). Die UN-Organisation geht von einer steigenden
Zahl von Hungernden weltweit aus. Fleischer appelliert an die
Kriegsparteien in der Ukraine, die Häfen wieder zu öffnen. „Sonst verrottet
dort das Getreide, während die Menschen hier verhungern.“
Deutschland ist nach den USA der größte Finanzier des WFP, 1,2 Milliarden
Euro stellte die Bundesrepublik im vergangen Jahr bereit. Das mag
angesichts von 100 Milliarden für die Bundeswehr als wenig erscheinen, doch
die zuständige Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) würde sich schon
freuen, wenn sie diese Summe auch dieses Jahr zusagen könnte. Bislang plant
Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihren Etat um mehr als 10 Prozent zu
kürzen.
Schulze will das verhindern. „Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik“,
sagt sie der taz. Ernährungssicherheit spiele eine wichtige Rolle für die
Stabilität von Ländern. Die Ministerin pocht auf das Versprechen im
Koalitionsvertrag, Entwicklungsausgaben in gleichem Umfang wie
Militärausgaben zu erhöhen. Und das hieße noch nicht mal den Etat zu
steigern.
Schulze fordert lediglich: „Die Ausgaben für Entwicklung und Zusammenarbeit
dürfen nicht sinken.“ Im Ergänzungshaushalt, der am Mittwoch vom Kabinett
beschlossen werden soll, hofft sie auf einen ordentlichen Nachschlag. Dem
UN-Programm im Jemen hat sie schon mal zusätzliche 10 Millionen Euro
versprochen. Ein Vorschuss auf hoffentlich erfolgreiche
Haushaltsverhandlungen.
Unterstützung erhält sie vom entwicklungspolitischen Sprecher der FDP, Till
Mansmann. „Die Zeitenwende ist bislang sehr stark sicherheitspolitisch
geprägt.“ Auf Entwicklungspolitik werde zu wenig geachtet. „Dabei werden
wir, wenn wir in 20 Jahren klimaneutral sein wollen, überall auf der Welt
verlässliche Partner brauchen, die uns erneuerbare Energien liefern.“ Und
die Quellen seien nun mal vor allem im sonnenreichen Süden zu finden.
Schulze macht sich bei einer Reise in den Libanon ein Bild über den Einsatz
der deutschen Gelder. Sie ist in dem Land hochwillkommen, denn als deutsche
Entwicklungshilfeministerin ist sie automatisch auf der Seite der Guten,
nämlich der Geber:innen. So finanziert das Welternährungsprogramm mit
deutschem Geld auch Bargeldtransfers und elektronische Essenskarten für
besonders bedürftige Familien – lange Zeit das einzige Sozialhilfeprogramm,
welches sich der Libanon leistete.
Ursprünglich war es für die Geflüchteten aus Syrien gedacht, von denen der
Libanon bis heute 1,5 Millionen aufgenommen hat – das entspricht einem
Viertel der Bevölkerung des Landes. Doch seit Beginn der Finanzkrise
unterstützt das Programm immer mehr Libanes:innen, die in dem einst
wohlhabenden Land verarmen.
## Dosen im Einkaufskorb
Die Syrerin Hourrya Adulrahman kauft mit einer solchen Essenskarte einmal
im Monat in einem Beiruter Supermarkt bei ihr um die Ecke ein. Im
Einkaufskorb landen vor allem Dosen, weil die Familie weder Strom noch
Kühlschrank hat, um frische Produkte zu kühlen. Dazu Linsen, Bulgur, Reis
und Öl. Der fünfjährige Sohn Ismael schmuggelt ein paar Schokoriegel in den
Korb, die die Mutter erbarmungslos zurücklegt. Bis auf einen. Die 133
Dollar auf der Karte müssen für eine vierköpfige Familie und den ganzen
Monat reichen.
Sind diese Karten sicher, will Schulze wissen. „Absolut“, sagt ihr der
Libanoner Leiter des Welternährungsprogramms. Alle Familien, die die Karte
bekommen, werden vorher besucht, gecheckt und müssen sich identifizieren.
Schulze ist erfreut. „Es ist beeindruckend zu sehen, das wir mit unserem
Geld die Menschen wirklich erreichen.“ Um zu verhindern, dass
Entwicklungsgelder in den Taschen korrupter Politiker oder
paramilitärischer Organisationen landen, gehen die Geberländer und die UN
dazu über, diese direkt an die Menschen zu geben oder aber an unabhängige
Nichtregierungsorganisationen.
Alia Farhat arbeitet für eine solche. Al Majmoua ist eine Organisation, die
eigentlich spezialisiert ist auf Mikrokredite. Nun aber verteilt sie im
Auftrag des WFP zunehmend finanzielle Hilfen für krisengebeutelte
Unternehmen. Zum Beispiel an die Familie Banbajian, deren Bäckerei von der
Druckwelle der Explosion im Beiruter Hafen zerstört wurde und die damit den
Wiederaufbau finanzierte. „Für solche kleinen Unternehmen sind immer neue
Krisen kaum zu meistern“, sagt Farhat.
## Die Afrikanische Union will mitmachen
Ihrer Ansicht nach sollte Entwicklungshilfe aber auch viel stärker mit
nachhaltiger, grüner Politik verbunden werden, etwa mit Investitionen in
erneuerbare Energien. „Wir haben gar keine erneuerbaren Energien bei uns,
obwohl fast das ganze Jahr die Sonne scheint.“ Auch bei Familie Banbajian
brummt wie eh und je ein Dieselgenerator, der Strom für den Backofen
liefert; doch mangels Treibstoff nur zwei Stunden pro Tag.
Auch Schulze hofft, dass mit deutscher Entwicklungshilfe irgendwann nicht
mehr Hilfspakete finanziert werden, sondern dass die Gelder Menschen
unterstützen, sich selbst zu ernähren. Sie hat deshalb auf dem Treffen der
Weltbank am vergangenen Wochenende, wo sie als erste deutsche
Entwicklungsministerin seit 12 Jahren aufschlug, eine globale Allianz für
Ernährungssicherheit vorgeschlagen. Diese soll weltweit auch nachhaltige
Anbaumethoden und regionale Lieferketten vorantreiben.
Vom Libanon fliegt Schulze deshalb weiter nach Addis Abeba. Hier gewinnt
sie am Dienstag die Afrikanische Union als ersten Partner für die Allianz
für Ernährungssicherheit. „Die afrikanischen Staaten sind sehr besorgt
darüber, dass steigende Nahrungsmittelpreise ihre Länder destabilisieren
könnten“, berichtet Schulze vom Treffen mit der stellvertretenden
Kommissionsvorsitzenden Monique Nsanzabaganwa. Man sorge sich darum, dass
steigende Brotpreise zu sozialen Unruhen führen könnten. Sie habe deshalb
viel Applaus für die Initiative bekommen, erzählt sie.
Ein weiteres Thema des Gesprächs waren die in afrikanischen Ländern
[5][grassierenden Desinformationen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg]
und den Sanktionen gegen Russland gewesen. In Afrika wird kolportiert, die
Sanktionen des Westens seien verantwortlich für steigende
Nahrungsmittelpreise. „Ich habe deutlich gemacht, dass das falsch ist“,
sagte Schulze. Es gebe keine Sanktionen auf Nahrungsmittel.
Nach Panzern habe niemand gefragt.
26 Apr 2022
## LINKS
[1] /-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5851045
[2] /Getreidemangel-im-Libanon/!5844719
[3] /Nach-Hafen-Explosion-im-Libanon/!5845412
[4] /Ukraine-Krieg-gefaehrdet-Versorgung/!5835511
[5] /Russische-Soeldner-Firma-rekrutiert/!5847204
## AUTOREN
Anna Lehmann
Julia Neumann
## TAGS
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