# taz.de -- Robert Habeck zur Energieversorgung: „Ich bin nicht Minister für… | |
> Er wollte Windräder bauen, jetzt kämpft er für billiges Benzin. Der | |
> Wirtschafts- und Klimaminister erklärt, warum er gegen ein Gas- und | |
> Ölembargo ist. | |
Bild: Robert Habeck am 24. März 2022 in seinem Ministerbüro | |
Der Minister sieht müde aus und das hat einen Grund. Am | |
Donnerstagnachmittag empfängt der grüne Wirtschafts- und Klimaminister | |
Robert Habeck zum Interview nach einer durchgemachten Nacht. Bis acht Uhr | |
morgens hat er mit den Koalitionspartnern über das Entlastungspaket | |
verhandelt. Dann schnell nach Hause, duschen, Zähne putzen und wieder in | |
den Bundestag: Rede zur Vorstellung seines Haushalts. Am Nachmittag sitzt | |
er in seinem riesigen Amtszimmer im Wirtschaftsministerium. Nach einer | |
kurzen Pause eine Cola gegen die Müdigkeit. Dann geht es los. | |
taz am wochenende: Herr Habeck, eine Frage, die man eigentlich nicht laut | |
stellen darf: Ist dieser fürchterliche Krieg in der Ukraine die | |
Gelegenheit, auf die alle gewartet haben, die die Energiewende | |
voranbringen wollen? | |
Robert Habeck: Jeden Tag sterben Menschen, werden verletzt, sitzen | |
verzweifelt in Kellern, in der Hoffnung, von Bomben verschont zu bleiben. | |
Also nein, alle Menschen wären froh, wenn es den Krieg nicht gäbe. Aber was | |
zu spüren ist, ist die Entschlossenheit und die Geschlossenheit, dem etwas | |
entgegenzusetzen. Wir wollen unabhängig werden von russischen Importen. Und | |
dazu braucht es die Energiewende. Die Stimmung ist: Komm, jetzt ziehen wir | |
es durch. | |
Sogar die FDP nennt die Erneuerbaren inzwischen Freiheitsenergie. | |
Wer das Klima schützt, schützt die Freiheit. Diese Erkenntnis hat jetzt | |
noch mal eine neue Dimension. Alles hängt daran, dass sie auch trägt, wenn | |
es zum Schwur kommt. Aber den Schwur bereiten wir vor, mit allem, was wir | |
haben. | |
Was heißt das? | |
Wir bringen zu Ostern ein Gesetzespaket mit 56 verschiedenen | |
Einzelmaßnahmen auf den Weg. Die wichtigsten davon: die größte Reform des | |
EEG, die es je gab, mit neuen Ausbauzielen und der Abschaffung der Umlage, | |
neuen Regelungen für Offshore-Wind und Photovoltaik, Änderungen im | |
Gebäude-Energie-Gesetz. Auch in der Fläche wollen wir mehr | |
Windenergieanlagen installieren. Im Sommer kommen dann noch die Regeln zum | |
Netzausbau. Dazu ein großes Effizienzprogramm. Das ist dann unser Fahrplan | |
für die nächsten Jahre, um Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu | |
machen. | |
Aber das meiste davon war ja schon vor Kriegsbeginn geplant. Hätten Sie | |
unter dem Druck des Krieges nicht noch mehr durchsetzen können? | |
Nein, die Ziele waren ja schon so extrem ehrgeizig. Deutschlands | |
Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität werden wir nur in einem großen, | |
gemeinsamen Kraftakt erreichen, zu dem alle Ebenen – Bund, Länder, | |
Kommunen, Unternehmen, private Haushalte – etwas beitragen. Der Ausbau von | |
Windkraft und Photovoltaik in den jetzt vorgesehenen Größenordnungen wird | |
das Land verändern und fordern. Noch mehr geht einfach nicht, auch schon | |
physisch. So viele Hände gibt es gar nicht, die das alles umsetzen und | |
verbauen. Aber wenn wir uns in den nächsten acht Jahren an die zwei Prozent | |
der Landesfläche für Windanlagen heranarbeiten und die Verfahren | |
beschleunigen, dann wäre das schon ein wahnsinniger Erfolg. | |
Dafür sind Sie auf die Länder angewiesen. Müssen Sie da den Druck nicht | |
noch mehr erhöhen? | |
Wir könnten da als Bund vieles auch allein machen, aber wir wollen das als | |
gesellschaftliche Gemeinschaftsleistung vollbringen. | |
Und wenn das nicht klappt mit der Gemeinschaftsleistung? | |
Im ersten Jahr der Legislaturperiode musst du anschieben, reden, fördern, | |
überzeugen. In der Mitte der Legislatur muss ein Schalter umgelegt werden. | |
Da muss es dann eine gesellschaftliche Dynamik geben: dass man Zustimmung | |
gewinnt, wenn man Wind- und Sonnenkraft ausbaut und Landtagswahlen | |
verliert, wenn man sich dagegenstellt. Wenn das nicht passiert, wird ein | |
Bundesminister scheitern, auch wenn er noch so fleißig ist. Und weil ich | |
nicht scheitern will, ist es meine Aufgabe, diese Dynamik zu orchestrieren. | |
Die Logik ist: Jedes Land trägt Verantwortung, und wer die Veränderung mit | |
aufs Gleis setzt, wird davon profitieren. Aber ein Verharren im Weiter-so | |
darf politisch nicht belohnt werden. | |
Ein Verharren im Weiter-so gibt es aber beim Tempolimit. Warum ist das | |
nicht durchsetzbar, obwohl es die Ölimporte verringern und bei den | |
Klimazielen helfen würde? | |
Es ist kein Geheimnis, dass ich ein Tempolimit richtig finde. Wir reden ja | |
viel über ein Embargo von russischem Öl. Ein Drittel unseres Öls kommt aus | |
Russland. Und auch beim Klimaziel im Verkehr sind noch nicht alle Antworten | |
gefunden. Aber ich weiß, dass unsere Koalitionspartnerin, die FDP, da | |
anders draufschaut. Beim zweiten Problemfeld, bei den Gebäuden, haben wir | |
jetzt im Entlastungspaket viele gute Sachen hinbekommen: Der neue | |
KfW-Standard 55 für Neubauten ab nächstem Jahr, und ab 2024 gibt es keine | |
reinen neuen Gasheizungen mehr. | |
Sie müssen laut Gesetz ein Sofortprogramm vorlegen. Aber alle diese | |
Maßnahmen wirken nicht sofort. | |
Nein, natürlich wirken die Maßnahmen erst mit der Zeit. Ich habe ja schon | |
gesagt, dass wir 2022 und wahrscheinlich auch 2023 kaum eine Chance haben, | |
die Klimaziele im Gesetz in allen Ressorts einzuhalten. Da war die aktuelle | |
Explosion der Preise noch nicht einberechnet. Es könnte sein, dass dadurch | |
die Emissionen stärker sinken als wir dachten. Nur ist das keine | |
Erfolgsmeldung: Denn bei den Unternehmen und bei einigen Bürgerinnen und | |
Bürgern geht die blanke Existenzangst um. Manche Industriezweige fahren | |
jetzt schon die Produktion zurück, Aluminium beispielsweise. Eine | |
Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Abbruch von Produktionsketten, | |
Abwanderung von Industrie – das ist kein Klimaschutz, den man feiern | |
sollte. Im Gegenteil: Es ist das Scheitern von Politik, wenn man die eine | |
Krise, den Krieg, braucht, damit die andere Krise, die Klimakrise, nicht so | |
schlimm wird. | |
Sie bekommen jetzt eine Minute zum Jammern: Was hat die Vorgängerregierung | |
Ihnen hinterlassen, wo Sie sagen: Oh, mein Gott! | |
Ich habe ein paar Sachen vorgefunden, wo man sagt: Wie kann das eigentlich | |
sein? Wir haben keine politische Möglichkeit, um eine Versorgungskrise im | |
Gasbereich zu unterbinden? Oder, dass die Überförderung bei der | |
Neubauförderung nicht erkannt wurde, das war schlechtes politisches | |
Handwerk, das viel Geld kostet. Wer zu lange im Amt ist, verliert die | |
Selbstkritik. Sollte ich sehr lange Minister sein, werde ich auch | |
irgendwann im eigenen Saft schmoren. Das Gute an der Demokratie ist aber: | |
Es kommen neue Leute, die hinterfragen das. | |
Habeck sitzt auf der Couch in seinem Ministerbüro, konzentriert | |
vornübergebeugt. Er spricht mit leiser, belegter Stimme. Der riesige Raum | |
ist karg möbliert. Deutschland- und EU-Fahne in der Ecke sind der einzige | |
Schmuck. Die Schränke, bei seinem Vorgänger Peter Altmaier voller Geschenke | |
und Andenken, sind noch leer. Der große Schreibtisch ist säuberlich | |
aufgeräumt. Das habe er früh von einem seiner Büroleiter gelernt, sagt | |
Habeck: Abends muss der Schreibtisch leer sein wie eine Landebahn. | |
Sie kommen gerade aus einer Verhandlung, die Ampel hat sich die ganze Nacht | |
um ein Entlastungspaket gestritten. Wie schwierig ist denn die Umsetzung | |
all dieser großen Ziele mit FDP und SPD? | |
Ich will es mal so beantworten: Dass wir unterschiedlich auf Dinge gucken, | |
dass wir eine unterschiedliche politische Wertevorstellung haben, das ist | |
einfach so. Bei vielen gesellschaftspolitischen Fragen passen wir sehr gut | |
zusammen. Und es gibt andere Sachen, wo Ordnungsrecht und haushalts- oder | |
finanzpolitische Aspekte berührt sind, wo die Spannungen größer sind. Und | |
das sind jetzt interessanterweise eher die Bereiche, die ich betreue. Aber | |
ich habe sehr gute Kollegen, mit denen ich das auch auf dieser | |
handwerklichen Ebene immer wieder gut lösen kann. Mit dem Finanzministerium | |
und auch ausdrücklich mit dem Verkehrsministerium. | |
Im Entlastungspaket geben Sie viel Geld aus, um den Benzinpreis zu senken. | |
Wie schwer fällt Ihnen das als Politiker einer Partei, die diesen Preis mal | |
auf fünf D-Mark hochsetzen wollte? | |
Das fällt mir nicht so schwer, weil ich sehe, wie die Preise für viele | |
Leute extrem bedrückend sind. Bei Speditionen, Unternehmen, bei | |
Taxifahrern, bei Berufspendler entstehen da materielle Nöte. Und die hohen | |
Preise für Heizen und Strom werden mit Verzögerung ein noch größeres | |
Problem darstellen. Das wird vielen Leuten richtig wehtun, da müssen wir | |
Entlastung schaffen. Ich finde es aber noch besser, dass wir im | |
öffentlichen Nahverkehr das Angebot attraktiver machen. | |
Mehr als die Hälfte der Preissteigerung bei Benzin und Diesel bleibt als | |
Extragewinn bei Raffinerien und Zwischenhändlern. Muss man das noch mit | |
Staatsgeldern subventionieren? Hätte man das nicht mit Gewinnabschöpfung | |
mit Preisobergrenzen verhindern können? | |
Übergewinne abzuschöpfen finde ich als Idee richtig und sie sollte | |
unbedingt auf der politischen Agenda bleiben. Kriegsgewinnlertum darf kein | |
Geschäftsmodell sein. Wir haben die Abschöpfung der Gewinne aber nicht in | |
dieses Paket reinbekommen, weil es noch kein durchgerechnetes, | |
rechtssicheres Modell gibt. Das Steuerrecht ist komplex, und der Schuss | |
muss sitzen. | |
Ein Geschäftsmodell, das in der akuten Krise jedenfalls wieder zurück ist, | |
heißt Kohle. Die bisherige Planung zum Kohleausstieg beruhte darauf, dass | |
es billiges Gas gibt. Muss man da nicht ganz neu nachdenken? | |
Die Notwendigkeit, aus der Kohle schnell auszusteigen, bleibt. Ohne hier | |
wieder zu jammern: Die alte Bundesregierung hat zwei Gesetze geschaffen, | |
die nicht miteinander kompatibel sind. Einmal das Kohleausstiegsgesetz mit | |
2038 als Enddatum und einmal das Klimaschutzgesetz mit seinen | |
Minderungspfaden bis 2030 auf minus 65 Prozent und bis 2040 auf minus 88 | |
Prozent der Emissionen gegenüber 1990. Wenn der Kohleausstieg erst 2038 | |
erfolgt, ist das schlicht unmöglich. Die Ministerpräsidenten der | |
Kohleländer haben darauf hingewiesen, dass es quasi eine Art | |
Vertrauensschutz gibt mit dem Kohleausstieg 2038. Es gibt aber auch einen | |
Vertrauensschutz gegenüber der Gesellschaft und anderen Staaten, um die | |
Klimaziele zu halten. Dafür stehe ich. Wir müssen die Klimaschutzziele | |
einhalten und dafür die Hilfen für die betroffenen Regionen beschleunigen. | |
Schneller weg vom Gas heißt aber: mehr Kohle und mehr C02. | |
Schneller weg vom Gas kommen wir durch den schnelleren Ausbau der | |
Erneuerbaren und einer früheren Umstellung auf Wasserstoff. Auf zusätzliche | |
Kohle wollen wir nur im Notfall zurückgreifen. Es sollen zwar mehr | |
Kohlekraftwerke in die Sicherheitsbereitschaft, das heißt aber nicht, dass | |
diese dann tatsächlich auch zum Einsatz kommen. Wenn wir in den nächsten | |
Jahren mehr Kohle verfeuern sollten, müssen wir natürlich den zusätzlichen | |
CO2-Ausstoß ausgleichen. Und ich bin da optimistisch: Beim Wasserstoff | |
jedenfalls gibt es eine unglaubliche Dynamik. | |
Sie waren gerade in den Golfstaaten auf Energie-Shopping-Tour. Gibt es da | |
jetzt Zusagen, was die Preise und die Mengen angeht? | |
Ja, es gab politische Zusagen und deswegen bin ich dorthin gefahren. Mengen | |
und Preise verhandeln im Detail die Unternehmen. | |
Die Bilder, wie Sie vor dem Emir von Katar einen Diener machen, sind ja | |
nicht überall so gut angekommen. Wie schwer fällt es Ihnen, bei diesen | |
Regimes, die Menschenrechte missachten und Kriege führen, als Bittsteller | |
aufzutreten? | |
Ich würde die Rollen auch anders beschreiben: Katar und die Vereinigten | |
Emirate haben Interessen, wir haben Interessen. Und wir haben sehr höflich, | |
sehr offen und klar miteinander gesprochen – über das, was uns verbindet, | |
und das, was uns trennt. Es waren schwierige Gespräche, weil ich natürlich | |
einerseits ein Ziel hatte und andererseits wusste, wer meine | |
Gesprächspartner sind. | |
Wenn wir von dort Gas oder Wasserstoff beziehen sollten – wie verhindern | |
wir, dass wir in eine neue Abhängigkeit von Despoten rutschen? | |
Indem wir nicht alle unsere Chips auf eine Karte, auf ein Feld setzen. | |
Schon alleine Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen in der | |
Konkurrenz. Katar produziert Flüssiggas, die Emirate planen mit Wasserstoff | |
– je mehr wir davon bekommen, desto schneller sind wir aus dem Flüssiggas | |
raus. Davor war ich in Norwegen, den USA, wir reden mit Kanada und anderen | |
Ländern. Am Ende wollen wir ein System, bei dem vielleicht jedes Land 10 | |
bis 20 Prozent liefert, aber nicht noch mal knapp 55 wie jetzt aus | |
Russland. Wenn dann ein Land ausfällt, können die anderen das auffangen. | |
Damit sind wir bei der aktuellen Debatte über einen Importstopp für Öl, Gas | |
und Kohle aus Russland. Sie bremsen da. Müssten Sie nicht eigentlich den | |
Abschied davon vorantreiben? | |
Das tue ich. Nur bin ich jetzt nicht der Minister für die Grünen, sondern | |
trage Verantwortung für das ganze Land. Da muss man die Dinge zu Ende | |
denken, bevor man sie entscheidet, in allen Konsequenzen. Ich wundere mich | |
über die Leichtfertigkeit, mit der einige immer vom besten Szenario | |
ausgehen. Das hat bei Covid-19 nicht geklappt, das hat beim Klimaschutz | |
nicht geklappt, das hat bei Putin auch nicht geklappt. Wenn ich sicher | |
wäre, dass ein Ölembargo den Krieg nach drei Tagen beenden würde, dann | |
würde ich es sofort machen. Aber das ist nicht realistisch, wenn man sieht, | |
wie lange Russlands Kriege in Syrien, Abchasien oder Südossetien dauern. | |
Unsere Sanktionen müssen so sein, dass wir sie lange durchhalten können. | |
Aber jeden Tag erarbeiten wir uns gerade ein Stück mehr Spielraum, indem | |
wir die Abhängigkeit konsequent verringern. Wir sind jetzt in der vierten | |
Kriegswoche, und die Abhängigkeit von Russland geht bei Öl in den kommenden | |
Wochen und Monaten von 35 auf 25 Prozent zurück. Im Sommer werden wir die | |
russischen Ölimporte voraussichtlich halbiert haben. Auch bei der Kohle | |
reduzieren wir von 50 auf 25 Prozent. Und beim Gas ist der russische Anteil | |
von 55 auf 40 Prozent gesunken, zum Jahresende können wir auf 30 Prozent | |
kommen – wenn wir es schaffen, auch den Verbrauch zu senken. Jeder Vertrag, | |
der endet, schadet Putin. | |
Sie warnen einerseits vor den Folgen eines Embargos. Andererseits erklären | |
Sie, dass wir darauf vorbereitet sind, falls Putin von sich aus die Exporte | |
stoppt; dass er dafür nur noch Rubel akzeptiert, könnte ja ein erster | |
Schritt in diese Richtung sein. Wie passt das zusammen? | |
Das klingt wie das Gleiche, es sind aber zwei verschiedene Dinge. Ich kann | |
ein Embargo nur beschließen, wenn ich die Folgen für unser Land | |
verantworten kann, das ist meine Pflicht als Minister. Stand jetzt hätte | |
ein sofortiges Embargo gravierende Folgen. Wenn Putin entscheidet, alle | |
Lieferungen zu stoppen, müssen wir damit umgehen. Und natürlich bereiten | |
wir uns auf verschiedene Szenarien vor. | |
Andere Szenarien sagen, die Folgen seien beherrschbar. Haben Sie dazu | |
eigene Rechnungen machen lassen? | |
Das Bundesamt für Katastrophenschutz hat 2018 einen Gas-Ausfall in einem | |
kalten Winter simuliert – im Rahmen einer bundesweiten Krisenübung. Deshalb | |
wissen wir, worauf wir uns vorbereiten müssen. Viele Studien, die | |
Entwarnung geben, gehen immer vom optimalen Szenario aus: davon, dass es im | |
Winter nicht zu kalt wird; von einem kurzfristigen Einbruch, bei dem die | |
Konsequenzen beherrschbar sind, weil die Kräfte des Marktes optimal wirken | |
– wenn eine Leitung wegfällt, kauft man halt woanders Gas, man stellt sein | |
Verhalten um oder findet effizientere Lösungen. Das ist alles zu kurz | |
gedacht. Raffinerien in Ostdeutschland können zum Beispiel nicht mal eben | |
ihre Pipelines umlegen, sie werden ihre Produktion erst einmal einstellen | |
müssen oder drastisch reduzieren. Das heißt, Lieferketten brechen zusammen, | |
weniger Benzin wird ausgeliefert und Menschen könnten ihre Arbeit | |
verlieren. Das scheint mir in diesen Studien nicht genug reflektiert worden | |
zu sein. Und das bestätigen auch viele der Fachleute, mit denen wir darüber | |
reden. | |
Deutschland ist immer noch nicht auf dem Pfad zu 1,5 Grad. Könnte da gerade | |
ein solcher Strukturbruch, das schlagartige Wegfallen von fossilen | |
Energien, nicht auch eine Chance sein? | |
Die Sehnsucht nach der Katastrophe teile ich nicht. Das ist weder sozial | |
noch politisch durchdacht. Wir können nicht mit Deflation und | |
Massenarbeitslosigkeit das Klima schützen. Wir müssen eine klimaneutrale | |
Gesellschaft aufbauen, ohne dabei soziale Krisen, Armut und politische | |
Handlungsunfähigkeit auszulösen. | |
Aber es gibt doch in der Bevölkerung und gerade bei Ihrer grünen Basis eine | |
breite Unterstützung für Tempolimit, höhere Benzinpreise, ein schnelles | |
Energieembargo. Gerade waren dafür wieder Zehntausende beim Klimastreik der | |
Fridays for Future auf der Straße. | |
Erstens sind die Umfragen eher fifty-fifty. Zweitens muss ich mich an | |
dieser Stelle im Zweifelsfall frei machen von der Mehrheitsmeinung. Ich | |
kann nur entlang dessen entscheiden, was ich für richtig halte im Lichte | |
all der Kenntnisse, die in diesem Haus mit hoher Kompetenz gesammelt | |
werden. Ich kann in so einer Sache nicht nach Stimmung entscheiden. Ich | |
fühle mich Wolodymir Selensky persönlich verbunden. Er war einer meiner | |
ersten politischen Besuche an einem heißen Sommertag in der Parteizentrale | |
der Grünen. Das war etwas Besonderes. Danach habe ich ihn in Kiew besucht … | |
(schweigt) … Ich war da und fühle mich dem Land und ihm persönlich | |
verpflichtet. Trotzdem muss ich mich dazu zwingen, jetzt nicht nur aus dem | |
Bauch zu handeln. Und schließlich muss man sehen: Das Szenario, über das | |
wir reden, lautet nicht: Wir zahlen noch ein bisschen mehr für den Liter | |
Benzin, das Heizöl oder das Gas. Sondern: Es gibt nicht mehr genug Benzin, | |
Heizöl oder Gas – also einen echten spürbaren Mangel. | |
Eine Stunde war für das Gespräch angesetzt, nach exakt 55 Minuten ist | |
Schluss. Noch fünf Minuten für Fotos, Habeck lässt sich bereitwillig von | |
der Fotografin dirigieren. Dann: der nächste Termin, Habeck rennt aus dem | |
Zimmer, kommt aber gleich wieder rein und komplimentiert Journalisten und | |
Fotografin raus: ein Telefonat mit dem Industrieminister der Vereinigten | |
Arabischen Emirate. Dann folgt eine Telefonkonferenz mit Unternehmenschefs. | |
Er sehe mit Staunen, sagt Habeck noch zwischen Tür und Angel, wie | |
Unternehmenschefs, „die wahrscheinlich noch nie Grün gewählt haben“, den | |
Weg der Regierung zur Klimaneutralität immer stärker unterstützten. Dann | |
tschüs. | |
Anmerkung der Redaktion: Die Antwort von Robert Habeck zur Verringerung des | |
Anteils des aus Russland importierten Gases enthielt durch ein Versehen | |
zunächst eine falsche Angabe; das Wirtschaftsministerium hat diese | |
korrigiert. Die Redaktion hat die Antwort entsprechend angepasst. | |
25 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
Bernhard Pötter | |
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