| # taz.de -- Ausbau erneuerbarer Energien: Hühner unter Strom | |
| > Unten Landwirtschaft, drüber Solarenergie: Die Grünen wollen | |
| > Agri-Photovoltaik-Anlagen fördern. Brandenburgs größte Anlage ist in | |
| > Steinhöfel geplant. | |
| Bild: Extensin oder intensiv: Unter Solaranlagen können auch Hühner futtern u… | |
| Wer vom malerischen [1][Steinhöfel] Richtung Neuhardenberg fährt und links | |
| nach Tempelberg abbiegt, steht kurz hinter dem Waldrand vor einem Feld. Ein | |
| abgeernteter Maisacker, der noch nicht wieder bestellt wurde. Warum auch: | |
| Schon im kommenden Jahr könnte hier im Brandenburger Landkreis Oder-Spree | |
| eine so genannte Agri-Photovoltaik-Anlage entstehen. Unten Landwirtschaft, | |
| oben Solarenegie. Ein neues Kapitel der Landnutzung. | |
| „Klimapark“ nennt die Firma [2][Sunfarming aus Erkner] das Vorhaben. Neben | |
| der Fläche in Tempelberg sollen in sieben weiteren Ortsteilen von | |
| Steinhöfel Agri-PV-Anlagen entstehen. „Insgesamt planen wir mit einer | |
| Fläche von 550 Hektar“, sagt Sunfarming- Geschäftsführer Martin Tauschke | |
| der taz. Fast 500 Megawatt Energie sollen die Photovoltaik-Anlagen | |
| erzeugen. Das ist mehr als das Heizkraftwerk Mitte in Berlin, das mit 440 | |
| Megawatt bis zu 600.000 Haushalte mit Strom versorgen kann. | |
| Der Clou dabei: Die Landwirte sollen die Felder weiter bestellen. „Bei | |
| unseren Agri-PV-Anlagen steht die Doppelnutzung im Vordergrund“, betont | |
| Tauschke. „Entweder extensiv, zum Beispiel mit Blühstreifen, oder intensiv | |
| mit Viehhaltung oder dem Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse.“ | |
| Inzwischen sind die ersten Vorentwürfe der Bebauungspläne ausgelegt worden. | |
| „Wir arbeiten gerade die Einwände ab und wollen dann den finalen | |
| Bebauungsplan erarbeiten, der danach in den Ortsbeiräten und im Gemeinderat | |
| beraten wird“, sagt Tauschke. | |
| Wenn alles gut gehe, könne der Ende des Jahres beschlossen werden. Für das | |
| kommende Jahr ist dann der erste Spatenstich in Tempelberg und auf den | |
| anderen Flächen geplant. | |
| ## Attraktiv für Landwirte | |
| Brandenburg ist Windland: Laut dem [3][Wirtschaftsministerium] sind im Land | |
| derzeit 3.890 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 7.320 | |
| Megawatt in Betrieb. Allerdings stockt der Ausbau: Die meisten | |
| Regionalpläne, die den Bau neuer Windräder regeln, sind vor Gericht | |
| gescheitert. | |
| Aber Brandenburg ist auch Solarland, wenngleich bisher eher in kleinem | |
| Maßstab. Mit mehr als 38.700 Photovoltaik-Anlagen und einer Leistung von | |
| 3.703 Megawatt lag das Land 2018 [4][auf dem fünften Platz] nach Bayern, | |
| Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Da ist also noch | |
| mehr möglich, zumal die meisten der Anlagen laut [5][Energie- und | |
| Klimaschutzatlas] nur Leistungen von unter zehn Megawatt vorweisen können. | |
| Der Klimapark in Steinhöfel wäre nicht nur Brandenburgs erste | |
| Agri-PV-Anlage, sondern auch die leistungsstärkste PV-Anlage im Land. | |
| Einen Teil der Flächen für den Klimapark hat die [6][Steinhöfeler | |
| Agrarbetriebsgesellschaft] zur Verfügung gestellt. „Wir haben in | |
| Ostbrandenburg schwache Böden“, sagt Geschäftsführer Fabian Meise der taz. | |
| „Über die letzten Jahre haben wir Stück für Stück an Ertragskraft | |
| verloren.“ Solange gedüngt werde und Regen falle, sei eine Bewirtschaftung | |
| noch möglich, so Meise. „Aber jetzt fällt beides weg. Das eine politisch, | |
| das andere wegen dem Klimawandel.“ | |
| Anders als andere Landwirte im Landkreis Oder-Spree, die ihre Flächen für | |
| die Aufforstung des [7][„Tesla-Waldes“] zur Verfügung stellen und nun | |
| hoffen müssen, dass der neue Wald nicht vertrocknet, geht Meise mit der | |
| Verpachtung seiner Flächen an Sunfarming nicht ins Risiko. „Ein | |
| Photovoltaik-Park ist eine Einnahmequelle, die klimaunabhängig | |
| funktioniert“, sagt der Landwirt. „Wir haben durch die Pacht einen höheren | |
| Ertrag pro Hektar als durch die landwirtschaftliche Nutzung, und das für | |
| eine Dauer von 30 Jahren.“ Und wenn die Sonne scheint, sagt Meise, | |
| „bekommen wir noch was dazu“. | |
| ## Große Akzeptanz | |
| Janina Messerschmidt ist vor einigen Jahren von Berlin nach Steinhöfel | |
| gezogen. Im Ortsteil Heinersdorf saniert sie mit drei weiteren Familien das | |
| ehemalige Gemeindegebäude. Auf dem Dach ist eine Photovoltaikanlage | |
| installiert. | |
| Messerschmidt, die für die Linke in der Gemeindevertretung sitzt, ist vom | |
| Fach. Als promovierte Klimaforscherin beschloss sie, die Wissenschaft zu | |
| verlassen und die Bürgerenergiegenossenschaft [8][BEOS eG in Steinhöfel] | |
| aufzubauen, um erneuerbare Energien in die Region zu bringen. „So wie | |
| bisher“, ist Messerschmidt überzeugt, „können wir nicht weitermachen.“ | |
| Dem Klimapark von Sunfarming steht sie positiv gegenüber: „Dort, wo es | |
| besonders trocken ist, können Agri-PV-Anlagen sogar gut sein für die | |
| Ernte.“ Wichtig sei „eine Diskussion, die nicht auf den alten Streit | |
| Energie oder Landwirtschaft hinausläuft, sondern beides verbindet“. Deshalb | |
| sei eine Agri-PV-Anlage etwas anderes als eine PV-Freiflächenanlage. | |
| Und sie bringt Vorteile für die Gemeinde, die finanziell am Klimapark | |
| beteiligt wird. Pro Kilowattstunde erzeugter erneuerbarer Energie, so will | |
| es das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sollen bis zu 0,2 Cent | |
| an die Kommunen gehen. Das bedeute für Steinhöfel zusätzliche Einnahmen von | |
| rund einer Million Euro im Jahr, hat Janina Messerschmidt ausgerechnet. | |
| Auch deshalb stoße das Vorhaben von Sunfarming in Steinhöfel auf viel | |
| Akzeptanz. Hinzu kommt das Angebot eines Bürgerstromtarifs für die | |
| Bewohnerinnen und Bewohner sowie Ladesäulen für Elektroautos in allen | |
| beteiligten Ortsteilen. Die Anlagen selbst sollen hinter Hecken versteckt | |
| oder in kaum einsehbaren Senken gebaut werden, so dass das Landschaftsbild | |
| nicht beeinträchtigt wird. | |
| „Die Sunfarming ist gut in ihrer Kommunikation“, sagt Messerschmidt. „Und | |
| sie reagieren auch. So ist eine Fläche herausgenommen worden, die sich an | |
| einer Hanglage befand, auf die man vom Dorf schauen konnte.“ | |
| ## Mehr Solarstrom gefordert | |
| 32 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Brandenburg sollen bis 2030 aus | |
| erneuerbaren Energien kommen. So sieht es die [9][Energiestrategie der | |
| Landesregierung] vor. 2045 soll das Land sogar [10][klimaneutral] sein. Bis | |
| dahin ist es aber noch ein weiter Weg. 2019 lag der Anteil der Erneuerbaren | |
| bei 22 Prozent, größtenteils Windkraft und Biomasse. Die Solarenergie | |
| rangierte mit zwei Prozent am Ende der Skala. | |
| Das wollen die Landesgrünen ändern. Schon 2020 haben sie in einem | |
| [11][Positionspapier] gefordert: „Der Ausbau der Photovoltaik ist ein | |
| wichtiger Baustein zur angestrebten vollständigen Versorgung von | |
| Brandenburg und Berlin aus erneuerbaren Energien und ein wichtiger Beitrag | |
| zum Klimaschutz.“ Um den Flächenentzug für die Lebensmittelproduktion in | |
| der Landwirtschaft zu minimieren, „sollen bevorzugt | |
| Agri-Photovoltaikanlagen mit einer Mehrfachnutzung für Stromerzeugung und | |
| landwirtschaftliche bzw. gartenbauliche Nutzung zum Einsatz kommen“. | |
| Mehr Agri-PV-Anlagen brauchen aber mehr Flächen, die Landwirte wie Fabian | |
| Meise zur Verfügung stellen. Deshalb fordert die grüne Landtagsabgeordnete | |
| Isabell Hiekel, dass die landwirtschaftlichen Betriebe die Flächenprämie | |
| der EU pro Hektar auch für Agri-PV-Anlagen bekommen. Nur die tatsächlich | |
| mit Solarmodulen bestanden Flächen müssen aus den Prämien im Rahmen der | |
| Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) herausgerechnet werden. „Schließlich | |
| wird bei Agri-PV unter oder zwischen den Solarmodulen weiter Landwirtschaft | |
| betrieben“, sagt die Sprecherin für Umwelt und Landwirtschaft der | |
| bündnisgrünen Landtagsfraktion. | |
| Damit die bis zu fünf Meter hohen Agri-PV-Anlagen wie in Steinhöfel auch | |
| andernorts akzeptiert werden, hat Hiekel mit den anderen Autoren des | |
| Positionspapiers Ausschlusskriterien formuliert. Für Nationalparks, Natur- | |
| und Landschaftsschutzgebiete sowie kleinräumige Schutzgebiete sollen die | |
| Anlagen tabu sein, ebenso für „landschaftsprägende Hänge und Kuppen. | |
| Und noch etwas könnte Brandenburgs Aufbruch zum Solarland voranbringen. | |
| Anders als beim Bau von Windparks sind bei der Errichtung von PV-Anlagen | |
| keine Regionalpläne erforderlich. Die Genehmigung liegt, wie in Steinhöfel, | |
| bei den Kommunen. | |
| ## Doppelte Förderung | |
| Startet Brandenburg nun also durch in Richtung solare Landwirtschaft? | |
| Zumindest das mit der Flächenprämie ist nicht so einfach, sagt Fabian Meise | |
| von der Steinhöfeler Agrarbetriebsgesellschaft. „Bisher hieß es immer, dass | |
| die Prämien nicht möglich wären, weil die Flächen für die Dauer der | |
| Verpachtung Bauland wären“, sagt er. Inzwischen ist aber Bewegung in die | |
| Sache gekommen. Ein Gericht in Augsburg hatte zuletzt einem Schäfer Recht | |
| gegeben, dessen Schafe unter einer Solaranlage weideten. Er bekommt nun | |
| zusätzlich auch die Flächenprämie der EU. | |
| Auch die drei grün geführten Bundesministerien für Wirtschaft und | |
| Klimaschutz, Landwirtschaft sowie Umwelt bauen auf den Erhalt der | |
| Flächenprämie für Agri-PV-Anlagen. In einem [12][Eckpunktepapier vom | |
| Februar] heißt es: „Die Förderung mit GAP-Mitteln ist weiterhin möglich, | |
| sofern die landwirtschaftliche Nutzung nur bis zu 15 Prozent durch die | |
| Stromerzeugung beeinträchtigt ist.“ Das Eckpunktepapier ist die Grundlage | |
| der Grünen für ein so genanntes Osterpaket, dass die Bundesregierung in | |
| dieser Woche beschließen soll. | |
| ## Hoffen auf Osterpaket | |
| Auch Sunfarming-Chef Martin Tauschke setzt auf dieses Paket. Allerdings | |
| nicht wegen der Flächenprämien für die Landwirte, sondern wegen einer | |
| möglichen Vergütung der in Steinhöfel geplanten Energieerzeugung: „Im | |
| Osterpaket ist auch ein Agri-PV-Bonus für die Einspeisung des Stroms im | |
| Rahmen des EEG geplant“, sagt Tauschke. Der sei aber aus seiner Sicht noch | |
| zu gering. „Wir haben deshalb unsere Stellungnahmen auch an die Ministerien | |
| von Herrn Habeck und Herrn Özdemir gestellt.“ | |
| Grüne, Landwirte, Solarindustrie und Kommunen ziehen an einem Strang. Im | |
| malerischen Steinhöfel ist das keine Wunschdenken, sondern Realität. „Wir | |
| müssen innovativ sein“, sagt Gemeindevertreterin Janina Messerschmidt. „Mit | |
| dem Klimapark kann ich die Region entwickeln und auch mal groß denken. | |
| Bisher ging das nicht.“ | |
| 3 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.gemeinde-steinhoefel.de/ | |
| [2] https://sunfarming.de/ | |
| [3] https://mwae.brandenburg.de/de/windenergie/bb1.c.478387.de | |
| [4] https://mwae.brandenburg.de/sixcms/detail.php/791427 | |
| [5] https://eks.brandenburg.de/ | |
| [6] https://www.agrafrisch.de/kontakt | |
| [7] /Ausgleich-fuer-die-Tesla-Rodungen/!5827360 | |
| [8] http://beos-energie.de/ | |
| [9] https://mwae.brandenburg.de/de/energiestrategie-2030/bb1.c.478377.de | |
| [10] https://mluk.brandenburg.de/mluk/de/klimaschutz/klimaschutz/ | |
| [11] https://gruene-fraktion-brandenburg.de/ueber-uns/positionspapiere/position… | |
| [12] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/eckpunktepapier-ausbau-photov… | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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