# taz.de -- Klimapolitik der Bundesregierung: Unbemerkt das Ziel erreicht | |
> Deutschlands Emissionen stiegen 2021, blieben aber unter dem gesetzlichen | |
> Limit. Ein neues Sofortprogramm soll helfen. Aber was heißt „sofort“? | |
Bild: Autobahn in Brandenburg: Ein Tempolimit wäre die einfachste Klimaschutzm… | |
BERLIN taz | Die Umweltgruppen sparten nicht mit Kritik: „Die Lücke | |
zwischen Klimazielen und emittierten Treibhausgasen wird immer größer“, | |
erklärte Greenpeace, nachdem am Dienstag [1][Bundeswirtschaftsministerium | |
und Umweltbundesamt die Treibhausgasbilanz für 2021] vorgestellt hatten. | |
Schließlich waren es schlechte Nachrichten in einem zentralen Politikfeld | |
der Ampelregierung, kurz vor der 100-Tage-Bilanz: Gegenüber 1990 hat | |
Deutschland die Emissionen um 38,7 Prozent gesenkt – obwohl das politische | |
Ziel bei minus 40 Prozent lag. Auch die Umweltstiftung WWF meldete: | |
„Klimaziel verfehlt“. | |
Die Politik übte sich in Selbstkritik. „Nach einem deutlichen Rückgang im | |
Vorjahr steigen die Treibhausgasemissionen in Deutschland wieder an“, | |
erklärten Wirtschaftsministerium und Behörde. Um 33 Millionen Tonnen oder | |
4,5 Prozent nahmen die Emissionen 2021 gegenüber dem coronabedingten | |
Einbruch von 2020 zu – auf jetzt 762 Millionen Tonnen. „Die Reduzierung von | |
2020 ist fast zur Häfte wieder verloren“, warnte UBA-Präsident Dirk | |
Messner. Und Klima-Staatsekretär Patrick Graichen kündigte an, die | |
Regierung „wird dem jetzt mit einem Klima-Sofortprogramm zügig | |
entgegenwirken. A und O ist ein wesentlich höheres Tempo beim Ausbau der | |
erneuerbaren Energien.“ | |
Nach 100 Tagen der „letzten Regierung, die noch aktiv Einfluss auf die | |
Klimakrise nehmen kann“ (so die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock | |
im Wahlkampf) steckt die deutsche Klimapolitik in einer absurden Situation: | |
Einerseits Rückschritte, doch das gesetzliche Klimaziel wurde auch 2021 | |
locker erreicht. Andererseits verstößt die Emissionsentwicklung der | |
einzelnen Sektoren im zweiten Jahr hintereinander gegen das | |
Klimaschutzgesetz (KSG). Diese zentrale Norm wiederum zeigt Schwächen und | |
soll deshalb beim umstrittenen Punkt der „Sofortprogramme“ geändert werden. | |
Und gleichzeitig wird deutlich: Mit ihrem Koalitionsvertrag hat sich die | |
Ampel den beim Verkehr einfachsten Weg verboten, das Gesetz zu erfüllen – | |
ein Tempolimit. | |
Das politische Klimaziel jedenfalls wird zwar verfehlt, die juristisch | |
entscheidende Marke aber erreicht. Denn die gesetzliche Marke für | |
Deutschland beträgt keineswegs minus 40 Prozent – das ist nur das | |
politische Versprechen. Im Gesetz steht etwas anderes: [2][Rechnet man die | |
Sektorziele für Energie (für 2021 ohne Zahl, aber im Mittel zwischen 2020 | |
und 2022), Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfall im KSG | |
für 2021] zusammen, ergibt sich eine Obergrenze von 786 Millionen Tonnen – | |
24 Millionen Tonnen höher als die 762 Millionen Tonnen, die 2021 | |
ausgestoßen wurden. Das Klimaziel im Gesetz steht damit für 2021 nur bei | |
minus 37,1 Prozent – minus 38,7 wurden aber erreicht. | |
## Emissionen nehmen zu | |
Obwohl der Bundestag hier das Klimaschutzgesetz so großzügig geschneidert | |
hat, reißen trotzdem viele Sektoren ihre Ziele: In praktisch allen | |
Bereichen legten die Emissionen gegenüber dem Coronajahr 2020 zu, besonders | |
in der Stromwirtschaft, weil teures Gas durch dreckige Kohle verdrängt | |
wurde und wenig Wind wehte. Der gesetzliche Emissionsdeckel wird allerdings | |
beim Verkehr und bereits zum zweiten Mal nach 2020 bei den Gebäuden | |
gerissen. Die Landwirtschaft wiederum hält ihren Rahmen ein, allerdings ist | |
das „vor allem durch methodische Verbesserungen in der Berechnung“ | |
begründet, erklärt das UBA – und die geringere Zahl von Rindern und | |
Schweinen resultiere nicht aus kluger Klimapolitik, sondern aus dem | |
Höfesterben, kritisiert die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche | |
Landwirtschaft.“ | |
Laut Gesetz ist für Verkehr und Gebäude nun ein Sofortprogramm nötig, wenn | |
der „Expertenrat für Klimafragen“ in einem Monat die Daten geprüft hat. E… | |
solches Notprogramm zur Einhaltung des Gesetzes hat die Regierung ja auch | |
schon angekündigt. Die Ministerien haben dafür ihre Vorschläge bereits ans | |
Wirtschafts- und Klimaministerium übermittelt, intern werde jetzt gesichtet | |
und geprüft, heißt es. Problemfälle sind vor allem die Bereiche Gebäude und | |
Verkehr. Hier wirken Maßnahmen nur langsam und in den vergangenen Jahren | |
ist wenig passiert – auch wenn im letzten Jahr zusätzliche Milliarden dafür | |
freigegeben wurden. | |
Konkrete Maßnahmen wollen die Ministerien noch nicht nennen, aber eine | |
Änderung zum Gesetz ist schon klar: Statt einzelner Ad-hoc-Pläne der | |
Ressorts will das Wirtschaftsministerium aus den Vorschlägen ein einziges | |
Sofortprogramm schneidern. Das kann die Regierung verordnen. Für einen | |
anderen Schritt plant sie eine Gesetzesänderung: die jahresscharfen | |
Klimaziele zu kassieren und die Obergrenzen der Sektoren auf mehrere Jahre | |
zu verteilen. „Wir sollten aus der Planwirtschaft der Jahresziele | |
aussteigen und uns im Einklang mit den EU-Zielen aus dem Pariser Abkommen | |
in Richtung mehrjährige Ziele bewegen“, fordert der FDP-Klimaexperte Lukas | |
Köhler. Auch im Koalitionsvertrag ist schließlich von einer | |
„sektorübergreifenden mehrjährigen Gesamtrechnung“ die Rede. | |
## Viele Stellschrauben | |
Was jetzt „sofort“ zu tun ist, ist relativ klar. In der Energiewirtschaft | |
muss sich das Tempo beim Bau von Wind- und PV-Anlagen verdreifachen. | |
Vereinfachte Regeln für den Windausbau an Land sollen schon im „Osterpaket“ | |
der Regierung beschlossen werden. Für den Gebäudebereich fordern | |
ExpertInnen eine große Informations- und Werbekampagne zum Energiesparen. | |
Das Wirtschaftsministerium hat bereits [3][im Januar angekündigt, mehr Geld | |
für effizientes Bauen zur Verfügung zu stellen und das | |
„Gebäudeenergiegesetz“ auf Klimaneutralität 2045 auszurichten.] Dann kann | |
das faktische Verbot von Gas- oder Ölheizungen ab 2025 vorgezogen werden – | |
das wäre dringend nötig, denn 2020 wurden nach Daten des UBA von 929.000 | |
neuen Heizungen immer noch 700.000 Gasanlagen eingebaut und nur 154.000 | |
elektrische Wärmepumpen, die Emissionen deutlich senken. Für schnelle | |
Einsparungen braucht es Verhaltensänderungen, die man nicht per Gesetz | |
erlassen kann: die Heizung runterdrehen oder die Einstellung der Heizanlage | |
optimieren. | |
Auch beim Verkehr gibt es viele Stellschrauben. [4][Das UBA hat kalkuliert, | |
was sie im Jahr 2030 an CO2-Minderungen bringen könnten:] etwa mehr | |
Elektro-Pkws (13 bis 15 Millionen Tonnen), Förderung von Elektro-Lkws (7 | |
bis 10 Mio. Tonnen), weniger ökofeindliche Subventionen (5 bis 6 Millionen | |
Tonnen) oder Stärkung von Bussen und Bahnen (jeweils 3 bis 5 Millionen). | |
Das Problem dabei: Die Maßnahmen wirken erst 2030, für ein Sofortprogramm | |
kommen alle diese Schritte zu spät. „Die einzige wirklich schnelle und | |
effektive Maßnahme wäre ein Tempolimit“, sagt Martin Schmied, | |
Fachbereichsleiter Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien beim UBA. | |
„Das brächte bei 120 km/h auf der Autobahn und 80 km/h auf Landstraßen etwa | |
3,5 Millionen Tonnen jährlich.“ | |
Das ist ziemlich genau die Menge, um die der Verkehr derzeit seine | |
gesetzliche Obergrenze überschreitet. Genau dieses Instrument aber hat sich | |
die Ampel auf Druck der FDP im Koalitionsvertrag selbst verboten. | |
21 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] imap://imap.taz.de:143/fetch%3EUID%3E.INBOX%3E302402?part=1.2&filename=… | |
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/ksg/anlage_2.html | |
[3] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Reden/2022/20220111-habeck-rede-eroeffnung… | |
[4] https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/klimaschutz-im-verkehr | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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