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# taz.de -- Stand der Klimaforschung: Die Welt am Scheideweg
> Die Energiewende geht global viel zu langsam voran, zeigt ein neuer
> Bericht des Weltklimarats. Es gibt aber auch Fortschritte.
Bild: Die Welt geht bade: Freizeitidyll nahe dem Kohlekraftwerk Boxberg
Berlin taz | Ja, erneuerbare Energien sind in den vergangenen Jahren besser
und billiger geworden, und Klimaschutz ist in aller Munde. Eigentlich
sollte die Senkung der erderhitzenden Treibhausgas-Emissionen kein
umstrittenes Thema mehr sein, aber sie ist es eben doch.
„Wir haben das fossile Zeitalter leider immer noch nicht hinter uns
gelassen“, sagte der Umweltökonom Jan Christoph Minx vom Berliner
MCC-Institut. Zusammen mit Hunderten Kolleg:innen hat er an einem neuen
Bericht des Weltklimarats IPCC gearbeitet, der am Montag erschienen ist.
Minx war dabei Leitautor eines Kapitels über Trends der globalen
Emissionen.
Darin ist zu lesen: Die globalen Emissionen sind im vergangenen Jahrzehnt,
also von 2010 bis 2019, weiter gestiegen, wenn auch langsamer als im
Jahrzehnt davor. „Wir zeigen, dass die Dekarbonisierung der Energie viel zu
langsam voranschreitet“, sagte Minx. Dekarbonisierung bedeutet, etwas
CO2-frei zu gestalten, also zum Beispiel den Umstieg von Kohle- und
Gaskraftwerken auf Windräder und Solaranlagen.
Der geht aber deutlich zu langsam. „In 2-Grad-Szenarien erfolgt die
Energiewende etwa zehnmal schneller, als wir das zwischen 2010 und 2019
beobachtet haben“, meint Minx. Von den Szenarien, in denen die Welt sich
gegenüber vorindustriellen Zeiten bis zum Ende des Jahrhunderts nur um 1,5
Grad aufheizt, ganz zu schweigen. Dafür müsse es bei der Energiewende
weltweit 25-mal schneller gehen, sagt der Umweltökonom.
## Es wird gefährlich
Die Welt ist also absolut nicht dabei, ihre klimapolitischen Ziele zu
erreichen. Im Pariser Weltklimaabkommen haben alle Regierungen versprochen,
die Erhitzung der Erde bei 2 Grad zu begrenzen, möglichst sogar bei 1,5
Grad.
Mit jedem Zehntelgrad Erderhitzung wird die Welt gefährlicher. Das gilt
vor allem für diejenigen, die geografisch gesehen in besonders betroffenen
Regionen leben, und diejenigen, die wenig Geld haben, um mit den Folgen der
Klimakrise umzugehen. Diese hat das Potenzial, Orte unbewohnbar machen,
weil es zum Beispiel draußen zu heiß ist für Menschen, weil durch Dürren
Hungersnöte herrschen oder die Ozeane ganze Landstriche verschluckt haben.
Die neue Veröffentlichung des Weltklimarats ist Teil 3 eines vierteiligen
Berichts. Das Gesamtwerk soll den aktuellen Kenntnisstand der Menschheit
zur Klimakrise abbilden. Es ist der sechste große Bericht dieser Art. Alle
paar Jahre kommen dafür Hunderte Wissenschaftler:innen aus aller Welt
zusammen und werten alle relevanten Studien aus, weitere Tausende
Expert:innen begutachten das Ergebnis.
[1][Der erste Teil] befasst sich mit den physikalischen Grundlagen des
Klimawandels, [2][der zweite] mit dessen Folgen. Im dritten Teil geht es um
Klimaschutz – also um Strategien, die Emissionen zu senken. Das ist der
aktuelle Bericht. Der vierte Teil wird später alle vorherigen
zusammenbringen. Zuletzt gab es 2014 einen solchen Rundumschlag.
## Es gibt auch positive Entwicklungen
Seitdem hat sich allerdings nicht alles zum Schlechteren gewandt. „Wir
zeigen auch auf, dass es Anzeichen für Fortschritte gibt“, sagte
Umweltökonom Minx. Da wäre erst einmal die Tatsache, dass das Wachstum der
Emissionen sich global zumindest verlangsamt hat. In manchen Teilen der
Welt geht es aber auch schon bergab, also im guten Sinne.
„Es gibt Länder, die ihre Emissionen jetzt schon länger als zehn Jahre
immer gesenkt haben“, so der Experte. „Es gibt auch technologische
Entwicklungen, die besser verlaufen, als selbst Expert:innen das gedacht
haben.“ Windräder, Solaranlagen und Batterien stehen zur Verfügung, seit
2010 sind die Kosten dafür sogar um bis zu 85 Prozent gesunken.
Fehlende Technologien sind also nicht das Problem. „Es gibt noch
1,5-Grad-Pfade, aber dafür müssen wir einiges tun“, sagt Minx. „Wenn wir
beherzt in diese Richtung losmarschieren, dann steckt da noch viel Musik
drin.“
Um das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen, müsste es eine dramatische
Abwärtsentwicklung der Emissionen geben, und zwar sehr bald. Der globale
Höhepunkt beim CO2-Ausstoß müsste 2025 erreicht sein, schon bis 2030
müssten sich die Emissionen fast halbiert haben, um rund 2050 praktisch bei
null zu liegen.
Was dann noch an Emissionen übrig ist, muss der Atmosphäre wieder entzogen
werden – entweder durch natürliche Faktoren wie Wälder und Moore, [3][oder
aber durch Technologien], die bisher im großen Stil kaum erprobt sind.
In einem gewissen Ausmaß ist das laut Wissenschaftler Oliver Geden von der
Stiftung Wissenschaft und Politik, Leitautor des entsprechenden Kapitels im
aktuellen Bericht, nicht mehr zu verhindern. „Es ist bislang untergegangen
in der politischen Debatte, dass wir eigentlich schon Ja zur CO2-Entnahme
gesagt haben, wenn wir Netto-Null-Emissionen versprochen haben“, so Geden.
Und das haben die meisten Länder, auch Deutschland.
Der Bericht wurde im Übrigen deutlich später fertig als ursprünglich
geplant – oder zumindest die Kurzfassung, die die
Wissenschaftler:innen stets gemeinsam mit
Regierungsvertreter:innen erarbeiten. Der Weltklimarat ist kein rein
wissenschaftliches Gremium, sondern ein zwischenstaatliches Projekt.
Die Berichte selbst darf die Politik zwar nicht anrühren, aber bei den
Zusammenfassungen wird um Formulierungen gerungen, auch wenn die
Wissenschaftler:innen im Zweifel das letzte Wort haben. Auch die
Zusammenfassung ist also auf jeden Fall wissenschaftlich gedeckt, aber der
genaue Wortlaut steht zur Debatte.
Die Regierungen versuchen durchaus, das zu nutzen, um ihre eigenen
Strategien in ein gutes Licht zu rücken. Da die Interessen der
verschiedenen Länder aber teils konträr sind, wird darüber sehr gestritten.
So auch diesmal: Eigentlich hätten diese ohnehin mehrwöchigen Beratungen am
vergangenen Freitag abgeschlossen sein sollen, stattdessen wurde das
Wochenende durch verhandelt. Statt Montagmorgen erschien das Dokument dann
erst am späten Nachmittag.
Jetzt ist das Ergebnis also da: „Wir stehen am Scheideweg“, sagte
Weltklimaratschef Hoesung Lee. „Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen,
können eine lebenswerte Zukunft sichern – wir haben das Werkzeug und das
Know-how.“
4 Apr 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Susanne Schwarz
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