# taz.de -- Neuer Klimabericht: Anpassen oder aussterben | |
> Der Weltklimarat IPCC veröffentlicht seinen Bericht zu Folgen der | |
> Erderhitzung. Er sieht große Schäden, aber auch Chancen zur Anpassung. | |
Bild: Rettende Kühle aus kaputtem Rohr: In Pakistan tötete eine Hitzewelle 20… | |
Ab einem bestimmten Punkt bringt einen die Luft einfach um. Wenn Temperatur | |
und Feuchtigkeit sehr hoch liegen, kann Schweiß nicht mehr kühlen, die Luft | |
wird lebensfeindlich. „Es kann zum Beispiel in Bangladesch sein, dass mit | |
Fortschreiten des Klimawandels Regionen einfach unbewohnbar werden, weil | |
man sich draußen nicht mehr aufhalten kann“, sagt Klimaforscher Hans-Otto | |
Pörtner. „Es gibt Grenzen für die Anpassung.“ | |
Pörtner ist Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats IPCC, in | |
dem hunderte Wissenschaftler:innen wieder einmal zusammengetragen | |
haben, welche Auswirkungen der Klimawandel hat – und inwieweit eine | |
Anpassung möglich ist. Am Montag wurde der Bericht nach zwei Wochen | |
intensiver Abschlussdebatten zwischen Wissenschaft und den | |
Regierungsdelegationen aus den UN-Staaten veröffentlicht. Er dient als | |
Alarmzeichen, zeigt aber auch Möglichkeiten zur Anpassung an den Wandel und | |
zeichnet eine klimagerechte Entwicklung vor. Und: Er ist so politisch wie | |
noch nie. | |
Die erste Kernboschaft lautet: „Der menschengemachte Klimawandel inklusive | |
häufigeren und intensiveren Extremereignissen hat weit verbreite Störungen | |
und damit verbundenen Verlust sowie Schäden bei Natur und Menschen | |
verursacht, jenseits der natürlichen Variabilität“. Im Vergleich zu vorigen | |
Berichten sind die Daten klarer und die Schäden werden immer größer (siehe | |
Übersicht). | |
Zweite Botschaft: Nicht alle Menschen und Gesellschaften sind gleichermaßen | |
betroffen – am stärksten trifft es die Armen, Marginalisierten, die | |
Indigenen, Alte, Frauen und Kinder, überall, aber vor allem im Globalen | |
Süden. | |
## Der Knackpunkt ist oft Armut | |
Zum ersten Mal führt der sonst stark naturwissenschaftlich geprägte | |
IPCC-Bericht Begriffe wie „Gerechtigkeit“, „gute Regierungsführung“ od… | |
„Kolonialismus“ als relevant an. Denn wie stark das eigene Risiko ist, | |
hängt nicht nur vom Klimawandel ab – sondern vor allem davon, wie stark man | |
ihm ausgesetzt ist und wie „verwundbar“ Gesellschaften sind: Wer eine | |
Versicherung gegen Flutschäden hat, ist anders betroffen als Menschen, | |
denen sie fehlt. | |
„Wir haben für eine kleine Bevölkerungsgruppe im Ahrtal in zwei Wochen 30 | |
Milliarden Euro auf die Beine gestellt“, sagt Raumentwicklungsexperte Jörn | |
Birkmann, einer der Autor:innen des aktuellen Berichts. „Das kann man | |
von Somalia, Sudan oder Nigeria nicht erwarten.“ Der Knackpunkt beim Mangel | |
an der sogenannten Resilienz – oder anders gesagt: Reaktionsfähigkeit – ist | |
oft die Armut. „Armut ist ein Teiber der Verwundbarkeit“, formuliert es | |
Birkmann. | |
Der Bericht der Arbeitsgruppe II hat tausende von Studien ausgewertet, um | |
einen aktuellen Zustandsbericht über die Folgen des Klimawandels zu | |
präsentieren. Die Daten sind oft ernüchternd: So sei es zu mehr als 50 | |
Prozent wahrscheinlich, dass bis 2100 weltweit die Erwärmung über 1,5 Grad | |
Celsius steigt; schon jetzt sind demnach „hunderte von Arten“ von Tieren | |
und Pflanzen aufgrund des Klimawandels ausgestorben, mehr als die Hälfte | |
flieht vor der Hitze in kühlere Gegenden. | |
Ernährung und Gesundheit von Milliarden Menschen werden bereits geschädigt, | |
über 3 Milliarden Menschen leiden unter regelmäßigem Wassermangel, der auch | |
durch die Erhitzung verschlimmert wird. Die „Gründe für Besorgnis“, die d… | |
Wissenschaftler:innen formulieren, haben sich seit den letzten | |
Berichten verschoben: Die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen wie | |
Fluten, Starkregen, Hitzewellen oder Dürren oder „Kipp-Elementen“ hat | |
deutlich zugenommen. | |
## Eine riesige politische Lücke | |
„Etwas ganz grundlegend Neues ist vielleicht gar nicht unbedingt dabei“, | |
meint auch Hans-Otto Pörtner zu den Ergebnissen des neuen Berichts. „Es ist | |
eine Verstärkung der Botschaften.“ Damit schwingt auch eine heftige Kritik | |
an der Politik mit. Was soll auch neu sein, wenn sich kaum etwas verändert? | |
„Es ist ein ganz großes Problem, dass die Wissenschaft diese Botschaft nun | |
wieder auf den Tisch legt, aber es gibt eine riesige Lücke in der | |
Umsetzung“, sagt Pörtner diplomatisch. | |
Es kann aber noch viel getan werden, ist die nächste Botschaft: Anpassung | |
an den Klimawandel kann an vielen Orten stattfinden. Das brauche aber nicht | |
nur Geld, sondern auch ein Umdenken bei vielen Verantwortlichen, andere | |
Lebensstile. Es gebe aber auch eine große Chance, Städte etwa so zu planen, | |
dass sie besser mit Extremen zurechtkämen. Und der Bericht warnt auch vor | |
„schlechter Anpassung“: Ein Deich könne Menschen schützen, aber auch | |
Ökosysteme zerstören; Aufforstung sei gut als CO2-Speicher, könne aber | |
wertvolle biologische Systeme vernichten. | |
Ohnehin legt der Bericht einen großen Fokus auf den Erhalt der | |
Biodiversität, um das Klima zu schützen. „Naturbasierte Lösungen“ wie der | |
Schutz von Wäldern, Grünflächen und Mooren seien wichtig, um der Natur | |
Erholungsräume zu erhalten. Der IPCC unterstützt Forderungen, 30 bis 50 | |
Prozent der Oberfläche des Planeten zu Schutzgebieten für die Natur zu | |
machen – eine Forderung, die etwa in der nächsten UN-Konferenz zum | |
Artenschutz eine große Rolle spielen wird. | |
Die „Grenzen der Anpassung“ sind aber lange noch nicht erreicht. Gerade | |
dort, wo es nicht an Geld mangelt, gibt es Spielraum. „Ich hoffe wirklich, | |
dass die Leute, die diesen Bericht lesen, sehen werden, wie viele | |
Möglichkeiten wir haben“, sagt Klimaforscherin Daniela Schmidt, die | |
ebenfalls an dem Bericht mitgeschrieben und das Kapitel über Europa | |
koordiniert hat. „Wir können unsere Städte verändern, mit der Natur | |
arbeiten, wir können entscheiden, was wo angebaut wird in der | |
Landwirtschaft“, sagt sie. „Wir können die Auswirkungen zu reduzieren.“ … | |
schließe sich das Möglichkeitsfenster immer mehr, je länger man warte, je | |
wärmer es werde. | |
„Die oberste Prämisse ist, alles zu tun, dass wir nicht über 1,5 Grad | |
kommen“, bestätigt die Geografin Diana Reckien, auch Autorin im neuen | |
Bericht. Es geht um die durchschnittliche Erhitzung der Atmosphäre im | |
Vergleich zum vorindustriellen Niveau, also der Zeit vor den Unmengen von | |
menschlichen Treibhausgasemissionen. Die soll laut Pariser | |
Weltklimaabkommen möglichst bei 1,5 Grad gestoppt werden. | |
Die erste Arbeitsgruppe des Weltklimarats, die sich mit den physikalischen | |
Grundlagen des Klimawandels befasst, hat aber im vergangenen Jahr in einem | |
Bericht gewarnt: Es gibt kaum noch ein Szenario bei der Entwicklung des | |
weltweiten Treibhausgasausstoßes, in dem die Grenze nicht zumindest | |
temporär gerissen wird. Wahrscheinlich ist es demnach schon in den frühen | |
Dreißigern so weit. | |
Ein ganzes Kapitel widmet der Bericht der Warnung diesem entsprechend | |
wahrscheinlichen Fall, dass wir die Erderhitzung auf über 1,5 Grad Celsius | |
treiben und erst danach wieder senken. Diese Praxis, in der Fachwelt als | |
„overshoot“ bezeichnet, würde „schwere Folgen“ nach sich ziehen, manche | |
davon irreversibel. Das gefährde die Fähigkeit ganzer Ökosysteme zur | |
Erholung. | |
## Putins Krieg beeinträchtigte auch wissenschaftliche Arbeit | |
Die vergangenen zwei Wochen haben die Wissenschaftler:innen zusammen | |
mit Vertreter:innen der UN-Staaten an einer treffenden Zusammenfassung | |
für den neuen Bericht gewerkelt. Die soll mit nur 35 Seiten besser | |
verdaulich sein für Entscheidungsträger:innen in den Regierungen als | |
das dicke Original. | |
Dieses Prozedere ist üblich beim Weltklimarat, Satz für Satz wird das | |
Dokument durchgegangen. Die Regierungen versuchen dabei durchaus, den | |
Tonfall des Ganzen im eigenen Interesse zu verändern. „Es sind ja auch | |
politische Fragen berührt“, meint Pörtner. „Es geht ja zum Beispiel um das | |
Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, um historische | |
Verantwortung, diese Themen haben im Hintergrund eine Rolle gespielt.“ Das | |
letzte Wort haben aber die Wissenschaftler:innen. | |
Auch der Krieg von Russlands Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine hat | |
sich bemerkbar gemacht, und zwar nicht nur im Hintergrund. „Es gab sehr | |
viele Solidaritätsbekundungen der Delegationen untereinander“, berichtet | |
Pörtner. Man habe das Leid der Menschen in der Ukraine wahrgenommen. Die | |
russische Delegation habe bekundet, dass sie Putins Krieg ablehnt. | |
Ukrainische Teilnehmer:innen mussten sich aus dem pandemiebedingt | |
virtuellen Meeting dann allerdings verführt ausklinken. Der heimische | |
Schreibtisch war zu unsicher geworden. | |
28 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
Susanne Schwarz | |
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